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Kultur: Die Pferde sind los

KLASSIK

Das kennen wir doch. Tausendmal gehört, abgenudelt, ausgeleiert. Und was machen die Berliner Philharmoniker mit den Schlagern der Klassik? Mit Bachs 2. Brandenburgischem Konzert, Beethovens C-Dur-Klavierkonzert und dem ebenfalls zu Tode gespielten „Rondo alla zingarese“ aus Brahms’ g-moll- Klavierquartett? Simon Rattle empfiehlt ein paar Mittel gegen die Routine.

1. Geschwindigkeit hilft. Bach wird zum Jagen gejagt, mit hurtigen Haken, federleichtem Schritt und Phrasierungen auf engstem Raum. Windstöße zerzausen die Melodie: Rattle verordnet eine Frischluftkur. Auch wenn der Patient vor lauter Sauerstoff gelegentlich hyperventiliert: Eine Extradosis Nervosität tut dem alten Bach sichtlich gut.

2. Geschmeidig bleiben. Auch Brahms’ Klavierquartett (in Schönbergs Orchesterbearbeitung) nimmt Rattle nicht schwerer als nötig. Die Abwärts-Seufzer des Intermezzos, die dunkle Wolke im Andante, hier ist’s ein Wachtraum unter halb geschlossenen Lidern.

3. Übertreiben Sie ruhig. Das Rondo mit seinen satten, schwelgenden, fetzigen Passagen macht Rattle zur wilden Zirkusnummer: Die Pferde sind los in der Philharmonie!

4. Werden Sie Anarchist. Wie Lars Vogt am Klavier. Er nimmt Beethoven beim Wort, hat der doch den Solistenpart seines ersten Klavierkonzerts als musikalische Unabhängigkeitserklärung angelegt. Das Orchester mag die Themen wie im Lehrbuch extemporieren, der Pianist schert sich nicht drum: flüstert und faucht, brilliert und sinniert, virtuos, verschmitzt. Voigts schwereloser Anschlag, die Präzision seiner Spiellaune, seine winzigen Widerhaken und Überraschungscoups, die grandios selbstvergessene Kadenz im 1. Satz – all das verrät: Musik ist die Kunst der Unberechenbarkeit. Und das Glück liegt gleich um die Ecke.

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