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Kultur: Die politische Bedeutung des Barbecue

Die amerikanische Performerin Laurie Anderson tritt mit „The End of the Moon“ in Berlin auf: Gespräch über Krieg und Schönheit, Bush und New York

Miss Anderson, Sie sagen, Sie wollen künftig weniger MultimediaShows inszenieren und lieber das schärfere Instrument des Worts einsetzen. Weshalb können Worte schärfer sein?

Mit nur einem Satz kann ich sechs Bilder hervorrufen. Ich kann das auch mit Multimedia tun, aber dann verschwimmen sie und berühren einen nicht. Worte können viel genauer treffen.

Ihr Solo-Programm „The End of the Moon“ handelt von Schönheit, aber auch vom Krieg. Wie geht das zusammen?

Schon der Futurist Marinetti pries den Krieg als die einzige Form der modernen Kunst. Er sagte, Schönheit gebe es nur noch im Kampf, in der Geschwindigkeit. Natürlich hat der Krieg eine ästhetische Komponente, die von denen, die ihn betreiben, betont wird. Schon die Griechen ästhetisierten ihre Kriege, während sie sie führten. Krieg ist ein Blutbad, aber auch eine Form der Energie.

Sie haben vor dem Irak-Krieg und während der US-Wahl gegen Bush protestiert, gleichzeitig waren Sie die erste Künstlerstipendiatin der Nasa. „The End of the Moon“ ist auch ein Bericht Ihrer Erfahrungen mit den Weltraumforschern der Nasa.

Ich nehme auf, was geschieht, aber ich schreibe es weniger nieder, als dass ich es montiere und schaue, ob es eine Spannung gibt. Ich liebe jump cuts, überraschende Wendungen. Ich versuche immer, eine solche Wendung in den ersten Minuten eines Stücks einzubauen. Damit die Zuschauer wissen, dass es garantiert nicht geradeaus weitergeht. Sie denken, oh, das ist ein Märchen – und schon urteilen sie, ob es zu ihrer Vorstellung von Märchen passt. Aber dann ist es auf einmal ein Popsong, und sie sind irritiert. Ich bringe die Dinge gerne aus dem Gleichgewicht und nenne „The End of the Moon“ deshalb keine Performance, sondern ein episches Gedicht – und schon wird das Stück anders wahrgenommen.

Bush hat die Wahl gewonnen. Gibt es unter den protestierenden Künstlern so etwas wie Resignation?

Es ist mehr ein Gefühl der Abwesenheit. Der Krieg existiert nicht in Amerika. In den Nachrichten taucht er nicht auf. Die Regierung hat dafür gesorgt, dass es keine Bilder gibt: Menschen werden getötet, aber es gibt keine Särge, keine Leichen, keinen Krieg. In meinen Augen war die letzte Wahl ein Staatsstreich nach amerikanischer Art; wir wissen ja schon von der ersten Bush-Wahl, wie sehr die Regierung nicht nur die Kontrolle über die Medien hat, sondern wohl auch über die Wahlmaschinen.

Sie sagen, sie hätten in dieser Zeit Ihr Land verloren. Was haben Sie verloren?

Ich habe mir nie große Illusionen über mein Land gemacht, aber mich interessiert der amerikanische Mythos. Ich liebe es, Mythen zu betrachten und zu sehen, was sie mit Menschen machen. Vor George W. Bush hatte ich eine andere Vorstellung davon, was in Amerika möglich ist und was nicht. Guantanamo hätte ich nicht für möglich gehalten, auch Guantanamo kam in den Nachrichten übrigens nicht vor. Man wusste irgendwie, dass dort gefoltert wird. Jetzt ist es öffentlich – und es wird akzeptiert, dass wir foltern, um Informationen zu erhalten.

Worin besteht in Ihren Augen der amerikanische Mythos?

Darin, immer mehr Sachen haben zu wollen. Wobei es diese Konsumenten-Mentalität nicht nur in Amerika gibt. Armeen von Leuten rackern sich für große Unternehmen ab. Und wozu? Um an mehr Sachen zu kommen. Alle Welt giert nach Dingen. Warum ist niemand genau so gierig nach Informationen?

Das klingt jetzt sehr missionarisch.

Ich habe keine Botschaft, ich hasse das! Meine Großmutter ging als Missionarin nach Japan, dabei konnte sie nicht einmal Japanisch. Manchmal passiert es mir, dass ich predige. Dann halte ich mir schnell den Mund zu. Trotzdem glaube ich an so etwas Fortschritt im Denken, an Erkenntnis. Wenn ich die richtigen Frage stelle, gelingt es mir ... ja was, gelingt mir dann? Vielleicht, dass ich mich weniger quäle.

Ist die Ambivalenz, ausgerechnet eine amerikanische Künstlerin zu sein, für Sie seit Ihrer sarkastischen Multimedia-Oper „United States I – IV“ größer geworden?

Ich mag einen guten Feind. Das ist ein echtes Plus. Während der gesamten Clinton-Ära habe ich nie über Politik nachgedacht. Er war ein guter Präsident.

Und schlechte Präsidenten sind gut für die Kunst?

Manche Leute sagen das. Aber es gibt in Amerika derzeit nicht viel politische Kunst, denn Bush ist auch ein zu einfacher Gegner. Es ist wie mit Reagan: Er mag ein schlechter Präsident sein, aber er wäre ein großartiger König. Nicht sehr klug, aber ein netter Texaner, der Barbecue mag und den die Leute mögen, den man mit harmlosen Aufgaben betrauen kann, aber bitte nicht mit der Macht. Die letzte Wahl wurde nicht durch die Irak-Kriegsfrage entschieden, sondern wegen der Liebe. Im Fernsehen wurden Bush und John Kerry gefragt: „Lieben Sie Ihre Frau?“ Eine sehr einfache Frage.

Und die Antworten?

Bush fing an, einen Country-&-Western- Song zu singen: wie er beim Barbecue das schönste Mädchen der Welt sah und gleich rüberging, um ihr zu sagen, dass er sie heiraten möchte. Und Kerry sagte: „I married up – ich habe hochgeheiratet.“ Und dann erwähnte er im nächsten Satz auch noch seine Mutter – als ob Ehefrauen und Mütter in die gleiche Kategorie gehörten! – , wie sie auf dem Sterbebett zu ihm sagte, Integrität sei das Allerwichtigste. In diesem Moment hatten wir die Wahl gleich zweimal hintereinander verloren.

Als New Yorkerin sagen Sie oft, man habe auf dieser Insel von Manhattan einen gewissen Abstand zum restlichen Amerika. Wie steht es mittlerweile um das Insel-Gefühl unter New Yorks Künstlern?

Ich wohne in Tribeca, in der Nähe von Ground Zero, mit Blick auf den Hudson. New York hat sich völlig verändert: Es ist ein Spielplatz geworden, mit Parks voller riesiger Bäume. Ich lebe nicht mehr in einem Niemandsland zwischen Highways, sondern im Grünen! Das ist geradezu schockierend schön. Außerdem wird New York Venedig immer ähnlicher.

Weil es noch europäischer wird?

Es ist schon jetzt sehr altmodisch. Es gibt keinen Platz mehr für neue Häuser, jede andere amerikanische Stadt ist moderner. Aber es gibt unglaublich viel Kunst dort, ganz New York wird allmählich ein Museum, ein Spielplatz auch für die Kultur. New York leistet der übrigen amerikanischen Kultur Widerstand, das tat die Stadt auch nach dem 11. September. Wir waren eigentlich keine guten Opfer, denn wir wurden sehr sentimental. Die ganze amerikanische Tapferkeit hatte bei uns ausgedient. Aber seit dieser Katastrophe hat sich auch herausgestellt, dass New York keine kalte Stadt ist. Ich war mir da vorher nicht so sicher. Es herrscht dort jetzt eine andere Mentalität. New York ist zärtlicher geworden.

Laurie Anderson ist Gast des Berliner Poesie-Festivals. Sie tritt mit Ihrem Solo-Programm „The End of the Moon“ heute noch einmal im Hebbel am Ufer auf (20 Uhr). Ebenfalls heute spricht sie im HAU 2 über „Das Gedicht in der Verwandlung: Lyrics and Stories“ (15 Uhr). –

Das Gespräch führte Christiane Peitz

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