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Kultur: Die reine Leere

Flick-Relaunch in Berlin: Der zweite Teil der Sammlung überrascht mit minimalistischer Kunst

Fülle, gar Überfülle kennzeichnete die Eröffnungsausstellung der Friedrich Christian Flick Collection im Hamburger Bahnhof und den benachbarten Rieck-Hallen. Da wollte der Großsammler zeigen, was Geld und gute Beratung in einer kurzen Zeitspanne zusammenzutragen vermögen. Da war das Publikum überwältigt und bisweilen auch übersättigt.

Vorhang: Nun ist von heute an die zweite thematische Übersicht zu sehen. Und die ist das schiere Gegenteil des üppigen Eröffnungsbuffets. „Fast nichts“ lautet ihr Titel, und die Kuratoren Eugen Blume, Gabriele Knapstein und Catherine Nichols erläutern das knappe Wort präzise: „In den Blick genommen werden Werke der modernen und zeitgenössischen Kunst, die sich in ihrer Reduktion und ihrem Streben nach Einfachheit an der Grenze zwischen Kunst und Nicht-Kunst bewegen.“ Es geht um „minimalistische Werke“, nicht jedoch allein um Minimal Art als kunsthistorischem Epochenbegriff, wenngleich die Arbeiten dieser in den Sechzigerjahren aufgekommenen und in den Siebzigern entfalteten Richtung dominieren. Also keine kunsthistorische Ausstellung – derlei, so Blume, sei „in hohem Maße langweilig“ –, doch für Berlin eine Entdeckung. Denn West-Berlins Museen haben diese strengen und formalen Tendenzen seinerzeit schlichtweg verschlafen.

Kein aufgeschlagenes Lehrbuch also, aber doch ein überaus erhellender Parcours. Fast alle Namen sind in den Rieck-Hallen vertreten, auf die sich diese Teilpräsentation der Flick-Sammlung beschränkt. Wobei 6000 Quadratmeter kaum als Beschränkung wahrgenommen werden dürften, vielmehr den unabdingbar notwendigen, großzügigen Raum für 235 Arbeiten von 30 Künstlern gewähren. Man vermisst schmerzlich Donald Judd, dem aber – ein Trost – später eine umfassende Einzelausstellung mit allen den Staatlichen Museen zu Gebote stehenden Werken ausgerichtet werden soll. So hat die Ausstellung ihren Auftakt mit Arbeiten von Dan Flavin, Carl Andre und Sol LeWitt – und scheint im Falle LeWitts ihren Titel Lügen zu strafen. Was dessen gewaltiger Aufbau „Serial Project No. 1 (Set C)“ von 1966/85 demonstriert, ist nicht „fast nichts“, sondern eher „zu viel“. Da wird kein Raum aufgespannt, aller mathematischen Anordnung zum Trotz auch kein Gedankenraum, wie es die Minimal Art so oft aus dem Nichts heraus vermag, sondern eine Bühne aufgebaut, die Raum lediglich verbraucht. Dan Flavins grandios karge Leuchtröhren-Installation „Die nominale Drei (für William von Ockham)“ von 1963 kommt dagegen nicht an und hätte doch einen Saal für sich verdient.

Flavins Werktitel verweist auf die starke philosophische Unterströmung der hier gezeigten Kunst, die sich in ihrer – im Kopfe des Betrachters weiterzudenkenden – Reduktion auf letzte Fragen bezieht und damit über den Horizont der Kunst hinausweist. Die folgenden Säle machen das in ihrer Leere, in der Verlorenheit der in sich gekehrten Arbeiten auf beeindruckende Weise sichtbar. Da ist der Japaner On Kawara mit seinen Datumsbildern, die sich hier, ringsum an den vier Wänden angeordnet, zu einer Endlosschleife stillgestellter Zeit verdichten, bekräftigt von der monotonen Stimme des Künstlers, der fortlaufende Zahlen vorliest (keine eigentliche Klangarbeit übrigens, sondern Mitschnitt einer Performance). Dann der ohnehin großartige, schroffe Richard Serra, der hier mit seinen beängstigenden, an die Wand gelehnten frühen Stahlarbeiten den Raum geradezu wegdrückt, ein stummer Berserker der Grenzen von Raumerfahrung. Und da sich die Minimal Art stets mit der – zu ihrer Zeit gerade in heftigem Wandel begriffenen – Rolle des Museums befasst hat, kommt Bruce Naumans „Versiegelter Raum – kein Zugang“, ein hoher weißer, türloser Kubus von 1970, hier zu schönster Wirkung. Denn der White Cube als Ideal der Minimalisten, wie ihn die weiß-kargen Rieck-Hallen darstellen, fällt sogleich der philosophischen Kritik anheim: Ist der beste Museumsraum nicht der, den kein Besucher je betreten, dessen makellose Proportionen niemand je verunklaren könnte?

Dann weitet sich die Flick-Auswahl mit einem Mal in Gegenwart wie Vergangenheit zugleich. An den Wänden hängen streng komponierte Schwarz- Weiß-Fotografien der Zwanzigerjahre von Albert Renger-Patzsch, Hans Finsler und László Moholy-Nagy, im Raum läuft das kühl beobachtende, formal bemerkenswert mit der Bauhaus-Zeit verwobene Video „Shadow Piece“ des Belgiers David Claerbout von 2005. Passanten vor einer gläsernen Fassadenfront werfen Schatten in den Innenraum. Mit Licht und Schatten zu „malen“ war ein beliebtes Sujet der Zwanzigerjahre. Es lässt sich an den von Flick treffsicher gesammelten Fotografien dieser Zeit verfolgen. So auch an der großartigen, im düsteren Untergeschoss leider unter Wert präsentierten Serie der „Equivalents“, die der Nestor der amerikanischen Fotografie, Alfred Stieglitz, zu jener Zeit als Natur-Abstraktionen geschaffen hat, kaum denkbar übrigens ohne die amerikanische Philosophie des 19. Jahrhunderts.

Weiß, grau, schwarz – das sind die Nicht-Farben, die die Werke mit den Rieck-Hallen zum Gesamtkunstwerk fügen. Die wenigen farbigen Arbeiten im Untergeschoss, insbesondere die des 1977 allzu früh verstorbenen Blinky Palermo, durchbrechen unnötig die Strenge des Konzepts. Es ist keine sinnlich schwelgende Kunst, die hier aus den enormen Reichtümern der Flick-Collection geboten wird, sondern eine zerebrale. Kunst für den Kopf – für diejenigen, denen zwar das Schauen, aber nicht minder das Denken Vergnügen bereitet.

Hamburger Bahnhof (Rieck-Hallen), Invalidenstraße 50, bis 23. April 2006. Museumszeitung 3 €; Katalog bei DuMont, 38 €.

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