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Kultur: Die Reinheit des Klagens

Was ist Flamenco? Der Streit um seine Ursprünge hat TraditionVON ROMAN RHODEFlamenco bedeutet Fusion, seit eh und je.

Was ist Flamenco? Der Streit um seine Ursprünge hat TraditionVON ROMAN RHODEFlamenco bedeutet Fusion, seit eh und je.Sein historischer Ursprung führt zurück auf sephardische Lieder und arabische Melismen.Dazu kamen, irgendwann in der Neuzeit, die lyrischen Klagen der nach Spanien eingewanderten Zigeuner.Seit 150 Jahren ist außerdem das Liedgut aus Hispanoamerika in den Flamenco eingeflossen: Guajiras, Tangos oder Milongas.Trotzdem gibt es bis heute Musiker und Flamencologen, die eine ungebrochene Reinheit des Flamenco beschwören.Es sind die Fundamentalisten aus Jerez und Sevilla, betagte Patriarchen, die mit ihren massiven Holzstöcken noch immer den Takt einer Ghetto-Musik aus dem 19.Jahrhundert in den Boden klopfen.Die Fraktion der ehernen Flamenco-Puristen hatte bereits in den zwanziger Jahren für einen Eklat gesorgt.Damals organisierte der Komponist Manuel de Falla zusammen mit dem Dichter Federico García Lorca ein Festival, um den Cante Jondo, den herzergreifenden Gesang der spanischen Zigeuner, wiederzubeleben.Daß jenes Vorhaben von der bürgerlichen Kultur verschmäht wurde, lag auf der Hand.Heftige Kritik kam allerdings auch aus den Reihen der Zigeuner: Antonio Mairena, einer der großen orthodoxen Flamenco-Sänger, wandte sich gegen das Festival, weil er es als einen intellektuellen Kunstgriff von oben herab verstand.Seither gehört der Streit um die Authentizität des Flamenco ebenso zum Genre wie der Gesang und die Gitarre.Unumstritten dagegen ist die Ausstrahlung, die der Flamenco auf andere Musikstile, vor allem im Ausland, ausgeübt hat.Von dort kamen zugleich die ersten Versuche einer Fusion.Ausgerechnet der Jazz-Trompeter Miles Davis gilt als deren Pionier: Ende der fünfziger Jahre veröffentlichte er seine Stücke "Flamenco Sketches" und "Blues for Pablo", 1960 erschien sein Album "Sketches of Spain".Miles bläst darin eine bedrückende Soleá, die so tieftraurig klingt wie der leidenserschütterte Gesang Antonio Mairenas.Zwischen diesen frühen Versuchen und dem "Siesta"-Album von 1987, in dem Miles noch einmal das Thema spanischer Folklore aufnimmt, liegt jedoch der eigentliche Boom der Flamenco-Fusion.Das Fieber setzte mit dr Rockgruppe The Doors und deren Song "Spanish Caravan" ein, in dem Robby Krieger auf seiner Gitarre haargenau der Struktur einer beschwingten Granaína folgt.In den siebziger Jahren waren es dann schon unzählige Musiker, die ihre Stücke mit exotischen Flamenco-Motiven koloriert hatten.Als Chick Corea schließlich "My Spanish Heart" produzierte und die Gitarristen Al DiMeola, John McLaughlin und Paco de Lucía gemeinsam auf ihrer Welttournee gefeiert wurden, war die Klimax der Flamenco-Fusion erreicht."Das war jedoch weder Flamenco noch Jazz", so Paco de Luc¿¤a im Rückblick, "es war eher eine Fusion von Musikern als von Musikstilen".Im Vordergrund dieser Begegnungen stand die Gitarre, jenes in Spanien scheinbar selbstverständliche Begleitinstrument der Flamenco-Sänger, dessen Interpreten erst seit den fünfziger Jahren namentlich auf den Platten aufgeführt wurden.Diese Aufwertung der Flamenco-Gitarre ist zuerst Ramón Montoya zu verdanken.Er hatte ihre Spielart in der ersten Hälfte des Jahrhunderts radikal verändert, indem er sie um die Techniken des klassischen Instruments bereicherte.Paco de Lucía setzte dann eine zweite Revolution in Gang: Auf der Suche nach neuen Harmonien und Rhythmen reiste er nach Brasilien und in die USA und kehrte dann nach Spanien zurück, wo er mit Jazz, erneuertem Flamenco und der modernen Klassik von Joaquín Rodrigo hantierte.Im Gegensatz zu Miles Davis, der den Flamenco mit seiner einsamen Soleá-Trompete nur meisterhaft ausgeleuchtet hat, ist es Paco de Lucía jedoch gelungen, ihn von Grund auf zu modernisieren.Was aber ist neu am "neuen" Flamenco? Zunächst einmal: der Mut zum Experiment.Und die Erkenntnis, daß der duende, der urgewaltige Geist des Flamenco, nicht nur in der Marsch des Guadalquivir-Deltas zu Hause ist.Flamenco ohne Grenzen - das haben sich auch die jungen Musiker von Ketama auf ihre Fahnen geschrieben.Ketama, seit Jahren die erfolgreichste Fusion-Band Spaniens, wird von den Brüdern Carmona angeführt, die dem angesehenen Flamenco-Clan der Habichuela entstammen und somit für reichlich Originalität bürgen können.Gleichzeitig aber sind sie inmitten der Madrider movida aufgewachsen, jener kulturellen Bewegung, die nach dem Tod Francos alle typischen Elemente der spanischen Folklore aufs Korn genommen und neu interpretiert hatte.So sind Ketama dem provinziellen Ambiente Sevillas entkommen, haben sich vom frischen Wind der Metropole Madrid inspirieren lassen und erforschen ständig neue Ufer.Die Küsten des Maghreb zum Beispiel, westafrikanische Länder oder die Großen Antillen.Auf solchen Reisen führen Ketama den Flamenco, also das vielschichtige Genre aus alten Tangos, Rumbas oder Fandangos, erneut seinen fern verwandten Musikkulturen zu.Dem kommerziellen Lolailo-Pop der französischen Gipsy Kings allerdings setzen sie den duende und einen fachgerechten Umgang mit Gitarre und Gesang entgegen.Hier bewahrt der Flamenco auch im Folk-Jazz seinen tieferen oder höheren Geist.Und das Kunststück des "neuen" Flamenco gelingt, indem es die Parodie vermeidet: als eine echte Kon-Fusion für Aficionados und Flamencoholiker, Skeptiker und Neugierige. Ketama im Quasimodo, 1.und 2.Mai jeweils 22 Uhr

ROMAN RHODE

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