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Kultur: Die schnöde Gefangene

Da ist diese Wut im Bauch. Dieser Hunger auf die Welt, den ersten Sex, die erste Liebe vielleicht.

Da ist diese Wut im Bauch. Dieser Hunger auf die Welt, den ersten Sex, die erste Liebe vielleicht. Aber die Wut ist diffus und die Aussicht trübe. Rita sitzt vor der Mustertapete ihres Jugendzimmers und schaut nach draußen. Da ist der Dachfirst des Nachbarhauses, eine Baumspitze, eine Ecke vom Himmel. Mehr nicht. Die Eltern haben sie wieder mal eingesperrt: Rita hat die Schule geschwänzt, Rita hat gelogen, nie schließt sie den Klodeckel, wenn sie das Bad verlässt. Machst du wieder dein Gesicht, sagt der Vater, wenn Rita schmollt. Sie wehrt sich nicht, trotzt nicht, schweigt.

"Lovely Rita" von Jessica Hausner ist ein leiser Film. Momentaufnahmen aus dem Alltag eines 15-jährigen Mädchens in der österreichischen Provinz, eine Serie von Standbildern fast. Kein Erzählfluss, sondern ruppig montierte Szenen. Wenn dieser Film eine Geschichte wäre, bestünde sie aus knappen Hauptsätzen. Dabei legt sich das Schweigen zwischen Rita und den Eltern, Rita und den Klassenkameradinnen in der Nonnenschule, Rita und dem Busfahrer, den sie durch beharrliche Blicke in den Rückspiegel auf sich aufmerksam macht, wie ein Albdruck auf die Bilder. Eine zähe, bleierne, manchmal schreiende Stille.

Der Rest ist falsche Freundlichkeit: Wenn Rita wie immer abseits steht, mit eingezogenen Schultern, Acryl-Pulli und fettigem Haar, deklamiert ihre Mitschülerin ein Gebet, auf dass Gott Mädchen wie Rita auf den rechten Weg zurückführen möge. Wenn die Erwachsenen über Sofakauf und Urlaub quasseln, reicht Rita die Kartoffelschüssel herum, und niemand nimmt sie zur Kenntnis. Abends, wenn der Vater im Schießkeller übt, holt sie ihn hoch zum Essen.

Die österreichische Filmemacherin Jessica Hausner gehört mit Barbara Albert, Valeska Grisebach und Angela Schanelec zu jener jungen deutschsprachigen Regie-Generation, die den Realismus der Dogma-Filme einer strengen Stilisierung unterziehen. Ihre Ästhetik gehorcht der Langsamkeit und der Reduktion: Auch "Lovely Rita" ist elliptisch erzählt, sortiert Fragmente einer brüchigen Existenz. Vom Familienstreit zeigt Hausner nur, wie sich danach der Schlüssel zu Ritas Zimmer im Schloss herumdreht. Jedes noch so unscheinbare Bild wird so zum Stillleben einer freudlosen Pubertät. Auch die Spießigkeit der Erwachsenen, ihre von Schrankwänden und Benimmregeln versiegelte Welt konzentriert sich in wenigen Szenen.

Die Laiendarstellerin Barbara Osika ist mutig genug, aus Rita eine plumpe, ungelenke junge Frau zu machen, die fremdelt in der eigenen Haut. Ebenso linkisch bewegt sich die Kamera und nähert sich den Protagonisten in ruckartigen Zooms, dass die festgefügte Kleinstadtwelt für Sekunden aus den Fugen gerät. Auch Rita wagt kleine, vergebliche Fluchten, etwa wenn sie mit dem 13-jährigen asthmakranken Nachbarsjungen Fexi anbandelt und unter der Bettdecke Doktorspiele zu spielen beginnt.

Immerhin tanzen sie zusammen, riskieren ein Stück eigenes Leben - bis die Erwachsenen sie auseinanderreißen. Ebenso wie Rita ihre Affäre mit dem Busfahrer für Liebe hält, verwechselt sie auch hier Freundschaft mit Leidenschaft. Sie entführt den Jungen aus dem Krankenhaus, wird erneut eingefangen, bestraft. Und wehrt sich am Ende - ein einziges Mal, in einem abrupten, mörderischen Akt. Als habe Michael Haneke das Drehbuch zu Ende geschrieben. Das ist schade, denn zwischen Hanekes Fatalismus und Hausners Unerbittlichkeit ist ein himmelweiter Unterschied. Nein, man mag diese Rita nicht, ahnt aber doch, was sie umtreibt. So viel Empathie würde Haneke seinen Helden nicht entgegenbringen.

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