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Kultur: Die Schule als urbanes Monument

Neues Bauen in Berlin: Grund- und Gesamtschule von Max Dudler in HohenschönhausenVON CLAUS KÄPPLINGERGroß ist sie, die erste Schule, die Max Dudler entworfen hat; und zwar in Berlin-Hohenschönhausen.Mehr als 300 Meter lang und für rund 1800 Schüler vorgesehen, zeigt sie auf den ersten Blick eine Architektur ungewohnter Maßstäbe.

Neues Bauen in Berlin: Grund- und Gesamtschule von Max Dudler in HohenschönhausenVON CLAUS KÄPPLINGERGroß ist sie, die erste Schule, die Max Dudler entworfen hat; und zwar in Berlin-Hohenschönhausen.Mehr als 300 Meter lang und für rund 1800 Schüler vorgesehen, zeigt sie auf den ersten Blick eine Architektur ungewohnter Maßstäbe.Im städtebaulichen Niemandsland der Großsiedlung weist sie mit einem mächtigen Block und einer langen, geschwungenen Wand dem Besucher bereits von weitem den Weg.Monolithisch wirkt sie mit ihrem Kleid aus einem hier nie zuvor gesehenen grünen Betonstein, dem sich nicht weniger beeindruckend ein nahezu haushohes Schaufenster anschließt, das Einblick in die Schule gewährt. Gut eine halbe Stunde Fahrzeit vom Alexanderplatz entfernt baute Max Dudler in Hohenschönhausen eine Grund- und Gesamtschule, die wenig mit der Schularchitektur der Nachkriegszeit, aber viel mit dem Schulbau der alten Weimarer Republik gemein hat.Keine verspielte Erlebnislandschaft, keine freie Komposition verschiedenartiger Körper, vielmehr eine Schule als städtisches Monument, die vorbehaltlos der großen Form huldigt und damit eine unverwechselbare Identität schafft. Genug Platz wäre dabei auf dem Grundstück gewesen, das dem Raumprogramm für Grundschule, Gesamtschule und mehrere Turnhallen mit separaten Bauten hätte entsprechen können.Doch nicht nur die unbestreitbare Neigung des Deutschschweizers zu einem nüchternen Rationalismus der großen Einheit ließ Max Dudler zu der Anlage eines einzigen Gebäude greifen.Vielmehr war es der Ort selbst, der ihn dazu drängte.Denn am Ende der Falkenberger Chaussee und am Rande der DDR-Retortensiedlung, die solitäre Wohnbauten, aber keine Stadt hervorbrachte, schien ihm eine Architektur des großen Maßstabs geboten. Groß genug mußte sie sein, um der ausufernden Peripherie ein deutlich erkennbar neues Zeichen von Stadt entgegenzusetzen, aber auch groß, um hier wieder die Grenze zwischen Stadt und Landschaft erfahrbar zu machen.Dudlers Angebot: entlang der Straße nur ein einziges, leicht geschwungenes Gebäude, dessen Kopf zwei gestapelte Dreifachturnhallen aufnimmt, dem erst die Gesamtschule als langgestreckter Körper und dann die Grundschule als kurzer Schwanz folgen.Hinter diesem Riegel verbergen sich dann, völlig abgeschirmt, vier unterschiedliche Querflügel in Form quaderförmiger, abgetreppter Häuser, die im Übergang zum freien Landschaftsraum überraschend urbane Höfe und Plätze entstehen ließen. Zur eigentlichen Stadt hin zog Dudler eine überaus deutliche Grenze.Dort gleicht die Schule mehr einer großen Mauer.Entlang der Straße sind seine einzigen Gesten des Willkommens der über die ersten zwei Etagen hinweg transparent geöffnete Kopfbau, eine breite vorgelagerte Terrasse sowie ein in die Mauer eingeschnittener, über drei Etagen sowie 200 Meter Länge reichender Glasvorhang, der die Wege der Gesamtschüler zu ihren Klassenräumen freilegt. So klar und eindeutig sich hier auch Dudlers Architektur gibt, so seltsam unbestimmt bleiben die Eingänge ins Gebäude.Der Geste des Kopfbaus folgt so keineswegs das erwartete große Foyer oder der ehemals hier vorgesehene Jugendclub, der einer der zahllosen Berliner Haushaltskürzungen zum Opfer fiel, sondern allein - Umkleidekabinen.Die Eingänge beider Schulen verschwinden ohne jede Akzentuierung in den großen Dimensionen der Mauer. Über diese Schwächen wird man jedoch nach Eintritt bald mehr als nur versöhnt.Breite, überaus angenehme Flure, eine zurückhaltende Farbigkeit aus Weiß, Anthrazit und Graugrün, die selbst die eigens gefertigten Einbaumöbel der Klassenzimmer einschließt, schaffen hier einen überaus beruhigenden Hintergrund für das bunte Treiben der Schüler.Zahlreiche Durchgänge und Austritte gewähren im Erdgeschoß abwechslungsreiche Ausblicke auf Höfe und Landschaft.Und viel Ausblick bieten ebenso die durchwegs zum Landschaftsraum hin orientierten Klassenzimmer mit ihren breitgelagerten Fenstern. Allein die beiden Aulen im Erdgeschoß wirken etwas zu kompakt, ja sogar gedrängt untergebracht.Nicht sie, sondern die langen Wege der weitgehend einbündigen Gesamtschule bieten die eindringlichsten Raumerfahrungen des Gebäudes, wie etwa die einzigartigen Korridore entlang des großen Schaufensters.Über 200 Meter folgen sie mit einer nicht endenden Bewegung der leichten Krümmung des Riegels und eröffnen dabei mit jedem weiteren Schritt neue Perspektiven auf die Trabantenstadt. Max Dudlers Schule fasziniert, verbindet Größe mit Erhabenheit.Kein Schulbau der letzten Jahrzehnte folgte derart vorbehaltlos einer städtebaulich-architektonischen Idee.Doch seine Schule als städtisches Monument, als Verkörperung des Gemeinwesens und einer Institution muß fast zwangsläufig all diejenigen gegen sich aufbringen, die von der Reformpädagogik und ihrem Schulbauer Günter Behnisch geprägt wurden.Zu groß, zu rationalistisch und zu steinern muß ihnen seine Architektur erscheinen, als ein Rückschritt vom Credo kindgerechter Kleinteiligkeit.Ist ihre Ablehnung ideologisch begründet, so tun sich nicht wenige Ostdeutsche aus anderem Grunde mit der Schule schwer: Unfreiwillig erinnert sie der grüne Betonstein an die Farbe der NVA.Doch ihre anfängliche Distanz weicht meist vorbehaltloser Anerkennung, die wohl auch auf einer besseren Kenntnis der bedeutendsten Schulbauten der Weimarer Republik beruht, auf Hannes Meyers Schule des Gewerkschaftsbundes im nahen Bernau beispielsweise oder Max Tauts Schulgruppe am Lichtenberger Nöldnerplatz.Diese Tradition und nicht die eines autoritären Wilhelminismus war es denn auch, die Max Dudler in Hohenschönhausen aufgriff und fortsetzte.

CLAUS KÄPPLINGER

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