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Kultur: Die Schwalbe

Zum 70. Geburtstag von Friedrich Dieckmann

Schon vor der Wende kündigten Klopfzeichen diesen Autor an, vom Osten herüberdringend, vermittelt vor allem durch den „Merkur“, die renommierte Kulturzeitschrift. Im tollen Jahr 1989/90 tauchte Friedrich Dieckmann dann im geistigen Leben der Bundesrepublik auf, sogleich in dessen Olymp, als Fellow im Wissenschaftskolleg, eine neugierig beäugte Schwalbe aus Treptow, die einen eigenen Ton in den Grunewald brachte. Seither ist er nicht mehr wegzudenken aus dem Selbstgespräch der Republik: eine der raren Stimmen aus ihrem Osten, den er weder verleugnen kann noch will, aber ganz auf der Höhe bildungsbürgerlichen Denkens und dessen Debattenkultur. Ein Kopf von solcher Eigenständigkeit, dass man immer wieder ins Staunen kommt, wie ihn die Zeitläufte hervorgebracht haben.

Wobei es nicht ganz einfach ist, zu sagen, was Dieckmann ist. Ein Musikschriftsteller? Gewiss, denn er hat Bücher über Wagner, Mozart und Schubert geschrieben. In der deutschen Geisteswelt zwischen Kant, Goethe und Brecht bewegt er sich wie ein Fisch im Wasser; ein luzides Buch über den jungen Schiller ist das letzte Zeugnis dieser Passion. Doch von ihm stammen auch eindringliche Stadtbilder, aus Berlin, dem Wohn- und Lebensort, wie aus Dresden, der Heimat seiner jungen Jahre. Der Prototyp eines schon sehr frei schwebenden Intellektuellen ist er auch noch. Denn nachdem er in den sechziger Jahren das Studium in Leipzig beendete – vor allem bei Ernst Bloch –, führt er mit Ausnahme von vier Jahren als Dramaturg beim Berliner Ensemble die mühsame Existenz eines freien Autors.

Aber ganz zu sich selbst kommt Dieckmann vielleicht doch als kulturell-politische Essayist. Als solcher trat er nach der Wende wie ein Phönix aus Umbrüchen und Ost-West-Kontroversen hervor. Geschrieben in einer brillanten Mischung aus scharfsinniger Analyse und hohem Ton, gelegentlich altmeisterlich grundiert, lassen sich seine Aufsätze und Kritiken lesen als ein großer Versuch der Selbstbehauptung eines einstigen Bewohners des anderen deutschen Staates – der, wie Dieckmann gern ironisiert, „saxoborussischen sozialistischen Republik“ – in dem vereinten, westdeutsch dominierten Land. Aber geboren sind sie nicht aus dem Geist der Dissidenz oder einer sauer gewordenen Ideologie, sondern aus dem leidenschaftlichen Bewusstsein von Kultur und Geschichte: einklagend für das andere Deutschland die Teilhabe am Gang der deutschen Dinge aus eigenem Recht und Erfahrung (man wüsste gern, wie in der dahinterstehenden Biografie die Herkunft aus dem LDP-Blockpartei-Establishment figuriert – der Vater war Präsident der DDR-Volkskammer). Mit dem Wort vom „inwendigen Kulturleben“ der DDR hat Dieckmann einmal einen Fingerzeig auf den möglichen Grund solcher Eigenständigkeit gegeben. Es wäre zu wünschen, dass er, der heute siebzig Jahre alt wird, Zeit und Bedingungen findet, eine Geschichte dieses Teils des Innenlebens der DDR zu schreiben. Hermann Rudolph

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