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Kultur: Die Schweizermacher

Züri brännt? Marthaler wankt?

Züri brännt? Marthaler wankt? Nicht in Berlin: Mit drei (!) Inszenierungen wird das Schauspiel Zürich beim kommenden Theatertreffen vertreten sein. Das ist eine dicke Überraschung - oder auch nicht. Intendant Christoph Marthaler steht wegen seines für Schweizer Abonnenten gewöhnungsbedürftigen Programms arg unter Druck, die Zuschauerzahlen sind herbe gesunken. Da will ihm die Theatertreffen-Jury kräftig unter die Arme greifen. Sie hat Meg Stuarts Tanztheater-Stück "Alibi", Stefan Puchers Tschechow-Inszenierung "Drei Schwestern" und Marthalers Schubert-Abend "Die schöne Müllerin" für das Festival (3. bis 20. Mai) nominiert. Zürich leuchtet...

Neu und deutlich verjüngt ist zwar die Kritiker-Jury (mit Georg Diez, Simone Meier, Gerhard Preußer, Franz Wille sowie Veteran Gerhard Jörder), doch kulturpolitische Stützungsaktionen gehören zu den alt bekannten Riten des Theatertreffens, das 2002 seinen 39. Geburtstag feiert. Frank Baumbauers Neustart an den Münchner Kammerspielen will man gleichfalls freundlichst begleiten. Dort fanden die Juroren Luk Percevals Jon-Fosse-Aufführung "Traum im Herbst" und Jossi Wielers "Alkestis" von Euripides bemerkenswert. Ein anderes Antike-Stück kommt aus Stuttgart - "Thyestes" von Hugo Claus nach Seneca in der Regie von Stephan Kimmig. Aus Basel wird ein Ibsen eingeladen, "John Gabriel Borkman", Regie: Sebastian Nübling.

Diese beiden gehören zu den Debütanten wie auch der Hannoveraner "Hamlet" von Nicolas Stemann und René Polleschs Berliner Prater-Trilogie "Stadt als Beute / Insourcing / Sex". Frank Castorfs Volksbühne wurde erwartungsgemäß mit dem Dostojewski-Longseller "Erniedrigte und Beleidigte" ausgewählt. Damit hat die Volksbühne wieder einmal die Berliner Stadtmeisterschaft gewonnen - nichts von Schaubühne oder vom Berliner Ensemble, auch nichts vom Deutschen Theater. Dabei hätte sich Michael Thalheimers radikal verschlankte "Emilia Galotti" aufgedrängt. Doch diesen Regisseur lässt die Jury fallen, nachdem Thalheimer im vergangenen Jahr als Theatertreffen-Neuling gleich mit zwei Inszenierungen vertreten war.

Die Liste der Theater, die keine Gnade fanden, spricht Bände. Hamburgs Deutsches Schauspielhaus sowie das Thalia Theater gehen leer aus, auch Dieter Dorn und das Bayerische Staatsschauspiel bleiben zu Hause, und nichts fand sich im Ruhrgebiet und den neuen Bundesländern. Die dickste Überraschung aber - oder auch nicht - ist Wien. Das Burgtheater, zuletzt mit vier Stücken dabei - Theatertreffen-Rekord - wurde abgestraft, die Sicht der alten Jury mit dickem Stift korrigiert. Kein Zadek, kein Grüber, keine Breth, nicht einmal Zadeks gepriesenes Hamburger "Bash". So schnell verpuffen Theaterwunder.

Der Wille zu neueren Namen ist augenfällig, damit verbunden aber auch die Tendenz zu kleinteiligen, kurzen Abenden. Verglichen mit dem Wiener Jahr 2001, als sich die Zuschauer in Berlin um die Karten für die Stars Luc Body und Peter Zadek schlugen, dürfte es diesmal ruhiger zugehen (Vorverkauf ab Ende März). Hauptspielort ist das Haus der Festspiele - sofern die ehemalige Freie Volksbühne nicht zu groß ist.

Eine Menge Schweiz, viel Volksbühne und manches Abgelegene: ein strenges Tableau.

Rüdiger Schaper

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