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Kultur: Die Songs als das Salz in der Suppe

Eben mal schnell eine Geschichte zu erzählen, auf und unter dem Baugerüst, das könnte die Absicht sein.Es ist ja alles im Umbruch, ob in Berlin oder im Berliner Ensemble.

Eben mal schnell eine Geschichte zu erzählen, auf und unter dem Baugerüst, das könnte die Absicht sein.Es ist ja alles im Umbruch, ob in Berlin oder im Berliner Ensemble.Die Komödianten spielen nicht zuerst die Rolle, sondern sich selbst, wie der Programmzettel verkündet (Beispiel: Veit Schubert spielt Veit Schubert als Anwalt der Familie de Guzman).Ein paar Bretter und Leitern vor dem Eisernen genügen also, Kostüme braucht es eigentlich auch nicht, die Alltagskleidung, sparsam verfremdet, reicht durchaus.Und mit den paar Quadratmetern des Proszeniums kann man doch gut auskommen, dieser staubig-graue, schmale Streifen Bühnenland steht als einziger Ort für alle Orte.Die Spieler kommen einfach aus dem Zuschauerraum oder durch ein kleines Türchen in der Stahlwand, und wenn schon mal gesessen werden muß, reichen die Bretter des Gerüsts oder ein paar Getränkekisten, aus Plastik.Auch an Personal wird gespart, und von ein paar hundert Seiten Textmaterial bleibt nur ein stenographisches Protokoll.

Der Kommunismus sei das Einfache, das schwer zu machen ist, hat Brecht gedichtet.Sein Greuelmärchen "Die Rundköpfe und die Spitzköpfe" ist sehr schwer zu machen, aber Klaus Emmerich (Regie und Bühnenbild) will den Beweis antreten, daß es ein ganz einfaches Stück ist.Die Lasten der vielen Arbeitsstufen (1931 bis 1938) mit mehreren abgeschlossenen, selbständigen Fassungen, Varianten und Versuchen werden abgeworfen.Was Brecht in sein poetisches Material hineinzuzwingen versuchte - Revolution und Klassenkampf, politische Manipulation und Rassenlüge, Profitgier und Kriegslüsternheit -, ist bei der Aufführung im Berliner Ensemble buchstäblich nur noch "im Gerüst" vorhanden.Bärbel Jaksch, die brechterfahrene Dramaturgin, macht daraus, sagen wir es mal küchentechnisch, eine "Einbrenne": Der Vizekönig übergibt die Macht an einen Statthalter (von Shakespeares "Maß für Maß" ging Brechts Arbeit aus), damit der alle unangenehmen "Arbeiten" übernimmt, unter zweitweiliger Duldung der von ihm erfundenen Lehre von den guten rundköpfigen Tschuchen und den bösen spitzköpfigen Tschichen.Ein Bauern-Aufstand wird, verbal nur, niedergeschlagen.Es bleibt dabei - reich geht vor arm, und reich bestimmt die Geschäfte.Auch Iberin, der Statthalter, muß sich arrangieren: Der Vizekönig, so plötzlich wieder da wie vorher verschwunden, zwingt den Eingesetzten, im nun "befriedeten" Staat die verhaßte Salzsteuer zu verkünden.

Aber so schlüssig wird auf der Bühne nicht erzählt.Schauspielerinnen sagen die Szenen an, mit den aufgeschlagenen Textbüchern in der Hand, es ist, als finde eine Probe statt.Man arrangiert sich, man probiert, man kommt und geht.Der rote Faden, wenn es ihn denn gibt, verbindet nicht Glieder einer Handlung, sondern Lieder.Die Musik Hanns Eislers, zum ersten Mal in der anspruchsvollen Orchesterfassung gespielt, tritt beherrschend in den Mittelpunkt.Brechts "Rundköpfe" werden zum Vehikel, diese Folge von Kompositionen zu den lyrischen Einlagen in ihrer überraschenden Selbständigkeit zu behaupten.Das Lied von der Tünche, die Ballade vom Wasserrad und die vom Knopfwurf, das Kuppellied, der Rundgesang der Pachtherren, die Beichte der Prostituierten Nanna und das Lied eines Großen, aus der Handlung herausgenommen und doch auch in sie integriert, erweisen sich als reizvolle Möglichkeit zur übergreifenden Analyse menschlichen Seins und Verhaltens in politisch aufgeregten Zeiten.Eislers Musik hat einen treibenden Rhythmus, sie schluchzt und schmettert, sie hat den Schmelz und die herbe Süße tänzerischer Ekstase und die mit Ironie aufgenommene Wucht alter Choräle.Das Orchester unter Leitung von Jürgen Bruns: vorzüglich.

Für die Darsteller waren die Brecht-Eisler-Songs das Salz in der Suppe.Spöttischer, kurzangebundener Sarkasmus (Carmen-Maja Antoni) stand dabei neben ingrimmig ungezügelter Kraftentladung (Catherine Stoyan), zu genießen war, im Liedgesang, die Eleganz kluger Argumentation (Götz Schulte) oder eine geradezu erschütternd biedere Naivität (Uwe Steinbruch).Der "Tausch" von Nonne in Freudenmädchen, unter der kundigen Leitung von Ruth Glöss als Kuppelmutter von Margarita Broich und Catherine Stoyan ausgeführt, wurde dabei zur eindrucksvollsten Szene des Abends.Das Aufblitzen von Lüsternheit bei der Schamhaften, das Hineinfinden in kitschig romantisches Fühlen bei der Schamlosen, im Kleiderwechsel und der Übernahme des Liedes (Aller Tugenden schönste...) zelebriert, hatten untergründigen Witz und ein ganz unschuldiges Vergnügen am komödiantischen Kunststück.Solche virtuosen Einlagen wurden auch sonst versucht, machten aber immer wieder auch auf die bröselnde, schleppende Handlung aufmerksam.

Immerhin bemerkenswert waren Veit Schuberts ruckhaftes Denken als Anwalt, gepaart mit Stolpern, Stürzen, Akten-Explosionen, die breitlächelnde, hinreißend liebenswerte Blödigkeit des Pächters Callas von Uwe Steinbruch und die stoische Versteinerung des Pachtherrn de Guzman von Martin Seifert.Oben, auf dem Gerüst, später in der rechten Rangloge, agierten die großen Politiker: der deftig fette, raffiniert verschlagene Vizekönig des Martin Spengler, der zurückhaltend, klug und spöttisch beobachtende Staatsrat Missena des Dieter Montag - und der Angelo Iberin des Uwe Fischer.Das war nicht, wie in Alexander Langs "Rundköpfe"-Inszenierung am Deutschen Theater 1983, ein Biedermann auf dem Fahrrad, sondern ein schneidiger Agitator in Lederjacke und mit Koppelschloß, ein Fanatiker, der sich im Winde dreht, den die Herrschenden wehen lassen.

"Der Senat von Berlin baut mit Mitteln des Bundes das neue BE" verkündete ein weißes Stoff-Plakat am Gerüst, bevor das Spiel von den Rundköpfen und den Spitzköpfen begann.Warten wir ab, was aus der provokativen (Wahl)Verkündigung wird - am Ende der Premiere gab es erst einmal sehr herzlichen Beifall.

Wieder vom 24.bis 26.9., jeweils 19.30 Uhr - nicht, wie angekündigt, am 27.9.

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