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Kultur: Die Sonnenuhr, Berlins Kunstwerkstatt für Behinderte, und ihr Theater RambaZamba feiern zehnjähriges Bestehen

Im Dschungel, so heißt es, erscheint einem nichts mehr natürlich. Die Pflanzen dort sind so wuchtig und bunt, als spielten sie selbst Theater.

Im Dschungel, so heißt es, erscheint einem nichts mehr natürlich. Die Pflanzen dort sind so wuchtig und bunt, als spielten sie selbst Theater. Die Legenden der Indianer, so berichtete der Ethnologe Koch-Grünberg schon vor 100 Jahren, erzählen etwas Ähnliches: Als die Mutter Brasiliens einen der ersten Menschen gebar, Macunaima, da galt nur ein Prinzip im Dschungel: Alles ist Mensch, auch die Steine, Pflanzen und Tiere. Menschliche Züge trägt auch der Dschungel, der in diesen Wochen in der Berliner Kulturbrauerei aufgebaut wird.

Weiß bemalte Äste sind an einen Bauzaun im Hof gebunden, in einem Erdhaufen daneben liegen aus Ton geformte Menschenfiguren gedrückt - als ob sie da heraus kämen. Auch dies ist der Legenden-Dschungel des Macunaima, erzählt wird er von den Behinderten der Kunstwerkstatt Sonnenuhr und seinem Theater RambaZamba, das mit dem Theaterfestival "Unkraut, Erde, Mensch" noch bis zum 17. Juni ihr 10jähriges Bestehen feiert. Mit dem Theaterstück "Macunaima" von Klaus Erforth und Stephan Müller nach dem Roman des brasilianischen Autors Mario de Andrade, hat RambaZamba das Festival vor knapp zwei Wochen eröffnet.

Zweige liegen an der Treppe, die hinaufführt in das Theater im Pferdestall, rote Fußabdrücke auf Papier hängen an den Wänden neben Gebilden aus Pappe, die wie von Kinderhand ausgeschnitten, bemalt und mit Federn beklebt sind: Blumen, Masken und Vögel. Sie kommen, wie auch das Theaterspiel später, aus einer anderen Wahrnehmungswelt. Weit weg von bekannter Natürlichkeit und ihrer Simulation und ganz eins mit ihren Schöpfern. RambaZamba versteht sich, wie seine künstlerische Leiterin Gisela Höhne sagt, respektlos als das, was der Titel des Festivals benennt: Unkraut. Es sät sich an den Rändern der Gesellschaft selbst und wächst störend in ihre sorgfältig gepflegte Kultur hinein. Ein Theater, in dessen Zentrum immer der beschädigte Mensch steht, aber - und das ist seine Kraft - nie die Behinderung seiner Schauspieler.

"Macunaima" zeigt das einmal mehr, auch wenn unter den 31 Darstellern zumeist das blanke Chaos herrscht. Außer Macunaima, der, ganz Indianer, nur mit Lendenschurz und Weste bekleidet ist, laufen alle anderen in schwarzen Fräcken herum: Macunaima wird mitten in eine Totenfeier geworfen. Sein Leben lang wird ihm diese Gesellschaft eine Gemeinschaft der Toten bleiben, weshalb die befrackten Darsteller fast immer auf der Bühne bleiben. Auf der Suche nach Menschen wird Macunaima keine Menschen finden, denn sie sind lange schon nicht mehr wie er auch Stein, Elefant oder Nashorn, sondern arbeitende Maschinen.

In diesen Momenten, in denen die fast 30 Darsteller auf der kleinen Bühnenfläche in eine präzise mechanische Bewegungschoreografie eingebunden werden, leuchtet so etwas wie Zusammenhang im Spiel auf, der sich ansonsten allzu oft in der übermütigen Spielfreude der Darsteller zerstreut. Die kurzen, konzentrierten Momente aber, in denen plötzlich aufscheint, wie künstlich jede Vorstellung von Natürlichkeit immer schon ist, entschädigen für alles heillose Chaos. Und wenn man sieht, mit welcher Selbstüberzeugung und Kraft der mit dem Down-Syndrom geborene Moritz Höhne den Macunaima spielt, diesen störrischen, gierigen Ur-Menschen, wie er seine Sätze lallt und brüllt ohne jeden Gedanken an Verstehbarkeit, dann spürt man sich in seiner eigenenWelt plötzlich weit ärmer als Macunaima - obwohl man sich ihm weit überlegen glaubt.

Man meint das dämonische Geheimnis, die Kraft der Weltschöpfung in diesem festen, runden Körper verankert zu sehen, dem niemand anders Maß ist, als er selbst. Die archaische Welt des Macunaima, für den keine Körpergrenzen gelten, der von Natur aus alles ist und in der Zivilisation nichts sein kann, streift thematisch auch die Produktionen aller eingeladenen Gastspiele. Das Blaumeier-Atelier aus Bremen wird am Freitag und Samstag den "Grindkopf" von Tankret Dorst in seiner poetisch skurrilen Inszenierung zeigen, und die Bilderwerfer aus Wien werden in ihrer Tanzperformance "Chat in progress" nächste Woche ihre Körper zwischen virtuellem und realem Raum hin und herschicken.

All diese Theatergruppen arbeiten wie RambaZamba mit Behinderten. So auch das Londoner Ensemble Echo City, das am Sonntag riesige Röhren und Tonnen als Instrumente nutzen und ein ungewöhnliches Konzert geben wird, und das Berliner Theater Thikwa, das in seinem Stück "Ver-richtungen" die Handlungen des Alltags neu abmisst. Ein Höhepunkt des Festivals, das nächsten Samstag mit einem großen Macunaima-Abschlussfest endet, werden die beiden Vorstellungen des Stuffed Puppet Theatre von Neville Tranter sein. "RE: Frankenstein", das im vergangenen Jahr für die europäische Kulturhauptstadt Weimar produziert wurde, traf schon damals durch sein fantasievolles, todernstes Spiel auch die trägsten Theatermonster unter den Zuschauern tief ins Mark.

Doris Meierhenrich

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