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Kultur: Die Spinne im Zentrum des Verkehrsnetzes

Unfreiwillige Koinzidenz der Ereignisse: "Solange es in Deutschland Baustellen gibt, geht es uns gut", ließ sich Franz Müntefering zur Eröffnung des neuen Fernbahnhofs am Frankfurter Flughafen vernehmen. Entsprechend dieser Diagnose müßte es der Deutschen Bahn bestens gehen, unterhält sie doch Baustellen en masse, wie die, zu deren Eröffnung die Verkehrs- und Politprominenz der Republik angereist war.

Unfreiwillige Koinzidenz der Ereignisse: "Solange es in Deutschland Baustellen gibt, geht es uns gut", ließ sich Franz Müntefering zur Eröffnung des neuen Fernbahnhofs am Frankfurter Flughafen vernehmen. Entsprechend dieser Diagnose müßte es der Deutschen Bahn bestens gehen, unterhält sie doch Baustellen en masse, wie die, zu deren Eröffnung die Verkehrs- und Politprominenz der Republik angereist war.Der neue Bahnhof hat Verspätung. Zum Fahrplanwechsel im Mai sollte er fertig sein, wird indes die Ziellinie erst im nächsten Jahr überfahren und dann noch immer ein Torso sein. Anders als die neue Bahnhofslinie "21" oder das Konzept "Renaissance der Bahnhöfe" vorgeben, wird der Flughafenbahnhof von Frankfurt nicht, dem Leitbild "Shopping-Station" entsprechend, Reisen und Rasten miteinander verknüpfen. Gleichwohl: Zum Fahrplanwechsel am 30. Mai ging die funktionale Baustelle in Betrieb.Positioniert zwischen vier hochfrequenten Autobahn-Strängen am Nordrand des Flugfeldes, sitzt der ICE-Terminal vor dem Entree zur Haupthalle "Eins" des Airports wie die Spinne im Zentrum des Netzes. Das Plus der kurzen Wege und des verkehrsstrategisch günstigen Standorts freilich gab es allein um den Preis eines extrem ungünstig geschnittenen Grundstücks. 700 Meter lang, maximal 65 Meter breit, konnten die Funktionen einzig in Länge und Höhe des Bahnhofsbandwurms gestemmt werden. Nach Ansicht der Bauherren bot das in einem Wettbewerb erkorene Modell des Hamburger Architekturbüros BRT (Bothe Richter Teherani) die optimale Lösung. Wohl hatten auch andere Wettbewerber Ankommen und Abfahren der Bahn-Passagiere im Erdgeschoß, Abfertigen und Umsteigen zum und vom Flug in der ersten Etage vorgesehen, doch BRT spannten über die gesamte Gleisfläche ein bombenstarkes, betoniertes "Bügelbrett", auf dem bis zu neun Etagen hohe Gebäude erdbebensicher alle Neben-Nutzungen behausen können. Die Hamburger Shootingstars bauen mit mittlerweile einer Hundertschaft Mitarbeitern landauf, landab. Techno-Trendy: Glasstählerne Shoppingmalls und Büroparks, Freizeit- und Flaniercenter mit Gleisanschluß. In Dortmund lassen sie anstelle des obsoleten Hauptbahnhofs ein "Multi-Themen-Center" mit Arena, Aquarium, Lifestyle-Gastro in Gestalt einer Fliegenden Untertasse landen. Frankfurt wollten sie dieselben Funktionen als "Unbegrenztes-Freizeit-Objekt" in Form einer Zigarre auf Stelzen verpassen. Doch so rasch wie BRT anstelle eines nur anfänglich erfolgreicheren Vorgängerbüros aus Rentabilitätsrücksichten geheuert, wurde ihr Terminalüberbau mit eben dieser Begründung verfeuert: Die Hamburger bauen lediglich die Relaisfunktion mit Basisplatte; was darauf errichtet wird, steht vorerst im Kaffeesatz eines Folgewettbewerbs.Gleichwohl bewahrt der Grundbau einiges von der Eleganz des dynamischen Gesamtentwurfs. Vier Gleisbetten an zwei Bahnsteigen, die Schnittstelle zwischen Zug und Flug, werden stützenfrei überdacht von der Trägerplatte. Aufgeständert auf schrägen Pfeilern, scheint die inklusive Hohlräumen fünf Meter mächtige Betonplatte schwerelos über der Erde zu schweben. Unterstrichen wird dieser Eindruck von der über die gesamten Längsfronten reichenden stützenhohen Verglasung, durch die sich die beiden landgebundenen Verkehrsmittel auf Schiene und Straße zum optischen Rendezvous begegnen. Im östlichen Drittel ist die Trägerplatte durchbrochen von einer elliptischen Öffnung, dem Transitweg für den Transfer von Passagieren, Gepäck - und Licht: Über der sich hier öffnenden, eigentlichen Bahnhofshalle wölbt sich eine Glaskuppel, deren Schuppenkleid aus rechteckigen Scheiben von filigranen Greifern am feingliedrigen Stahlskelett gehalten wird. Von hier aus führt ein gläserner Tunnel mit ellipsoidem Querschnitt - erbaut nach den Plänen des ursprünglichen Siegerbüros, der Frankfurter Architektengemeinschaft BSK und MM (Braun & Schlockermann und Köhler/Menzel Moosbrugger) - direkt ins Flughafenterminal. Noch freilich fällt das verschwenderisch durch die elegante Glaskuppel strömende Licht vor allem auf das Gewusel des Innenausbaus. In dem eine Etage messenden Raum zwischen Ober- und Unterkante der Deckplatte entstehen großzügig verglaste "Lounges". Von denen aus werden die Passagiere in Wartestellung schwebend über den Gleisen gleichsam zum Publikum ihrer eigenen Vorstellung. Sommers wie winters nämlich können die Reisenden in ihrem gläsernen Bühnenhaus entspannt promenieren: Luftschleusen an beiden Enden des Terminals gewähren zwar den Zügen Einlaß, verbannen aber den Zug aus der Halle, garantieren so ein von Wind und Wetter unabhängig wohltemperiertes Klima. Seine volle Funktionstüchtigkeit muß das "AiRailterminal" frühestens im Mai 2002 beweisen, wenn die neue Hochgeschwindigkeits-Strecke zwischen Köln und Frankfurt/Main fertiggestellt sein wird. Ob dann der Überbau für Handel, Gewerbe und Freizeit fertiggestellt sein wird, ist ebenso ungewiß wie die Formen, in die diese Funktionen gepackt werden sollen. Nach den vorausgegangenen Überraschungen, Querelen und Kehrtwenden ist den gemeinsam bauenden Herren von Deutscher Bahn und Flughafen AG ein sicheres Urteil für den Folgeentwurf zu wünschen. Und ein gutes Management für den Fahrplan seiner Umsetzung.

WERNER JACOB

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