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Kultur: Die spinnen, die Briten

"Hätte ich vorher etwas gegessen, würde ich es wieder auskotzen und als Kunst ausstellen", schmiert ein verärgerter Besucher ins Gästebuch der Ausstellung junger britischer Kunst im Hamburger Bahnhof.Da sich die Besucher von "Sensation" ihren Frust und ihre Begeisterung munter von der Seele schrieben, mußte das erste Buch schon durch ein neues ersetzt werden.

"Hätte ich vorher etwas gegessen, würde ich es wieder auskotzen und als Kunst ausstellen", schmiert ein verärgerter Besucher ins Gästebuch der Ausstellung junger britischer Kunst im Hamburger Bahnhof.Da sich die Besucher von "Sensation" ihren Frust und ihre Begeisterung munter von der Seele schrieben, mußte das erste Buch schon durch ein neues ersetzt werden.Die Mitteilung "Ich liebe den Totengeruch von Damian", niedergeschrieben von einem "Nick Roman, Zürich" ist da eine der wenigen positiven Äußerungen zu den aufgeschnittenen Kühen und Schweinen, die der Künstler Damian Hirst in Formaldehyd konserviert präsentiert.Die meiste Kritik entzündet sich an seinem lebenden Fliegenkäfig, in dem ein echter Rinderkopf langsam von den lieben Tierchen abgenagt wird.So aufgebracht sind manche Besucher, daß ihnen Schrift und Rechtschreibung ins Schwimmen gerät und das meistgebrauchte Wort zwischen "eglich" und "ecklich" changiert.

Noch am harmlosesten äußern sich die Traditionalisten, deren Kommentar "Kunst kommt von Können" seit dem Beginn der Moderne zu hören ist.Variationen waren "pubertär", "pervers", "prätenziöser Müll" und die immer wiederkehrende Frage, warum man dafür so viel Geld bezahlen soll.Bei den Enthusiasmierten ist auf der anderen Seite immer eine gewisse Ambivalenz spürbar: "Sensationell scheußlich, ich bin begeistert" schreiben sie, oder: "Meine Sensationsgeilheit wurde befriedigt".Doch manch Jüngerer meint, daß "Sensation" nur die Wirklichkeit in ihrer Widerlichkeit abbilde, oder sogar dahinter zurückbleibe.Der shocking-Faktor sei also gar nicht so beträchtlich.-Dies gilt auch für den Typ des Naturwissenschaftlers, der meint, Bauchspiegelungen seien heute doch ganz normal (siehe "Deep Throat" von Mona Hatoum) und sich höchstens wundert: "Ich habe mir ein Schweinehirn immer größer vorgestellt".Folgerichtig somit die Ansicht eines Besuchers, die Ausstellung sei "eine faszinierende und neuzeitliche Fortsetzung des medizinisch-historischen Museums in der Charité schräg gegenüber." Ob die Wortmeldung "dies ist alles das Endstadium von BSE" noch unter diese Kategorie zu zählen ist, sei dahingestellt.

Ernsthaftere Kritik am künstlerischen Konzept bemängelte, die Werke seien "ästhetisch banal und schnell alternd", manche Besucher hielten gar die Berlin Biennale für aufregender."Epigonen, nur Epigonen, langweilig, wirklich langweilig" war der Stoßseufzer eines Kunstkritikers.Daß sich die Attitüde der Provokation schon seit längerem totgelaufen hat und nur noch bei Traditionalisten und Feinnervigen zu den erwünschten Pawlowschen Reflexen führt, ist aus vielen Beiträgen herauszuhören: "Diese Ausstellung soll wohl provozieren, aber das passiert nun schon zum 150.Mal, ist also nichts als ermüdend und langweilig".Andere hatten aber durchaus Mitleid mit den Künstlern, schließlich "ist es schwer, heute noch zu provozieren", die Kunst mithin ein "dreckiges Geschäft, das aber irgend jemand betreiben muß".

Obwohl am Eingang zu "Sensation" extra eine Plakette angebracht war, die darauf hinwies, daß die Ausstellung sowohl die Gefühle Erwachsener als auch die von Kindern verletzen könnte, sind unter den Besuchern viele Jugendliche.Fabian, 15, meinte nach seinem Besuch: "Für Kinder unter 16 nicht geeignet.Die Museumswärter sollten sich überlegen, Kotzeimer aufzustellen." Apropos Museumswärter, in keiner Hinsicht waren sich die Besucher so einig, mit vereinzelten Gegenstimmen, wie über die Unfreundlichkeit des Personals.Nur der Mohnkuchen der Cafeteria (ein running gag) erhielt noch schlechtere Noten.Neben Wutausbrüchen und Elogen finden sich im Besucherbuch aber auch einige konkrete Anregungen.Weil bemängelt wird, daß die Besucher mit den Kunstwerken allein gelassen würden, empfehlen einige Besucher, Prospekte zu drucken, in denen auch derjenige etwas über die gezeigten Werke erfährt, der nicht gleich den ganzen Katalog kaufen möchte.

70 000 Besucher haben "Sensation" bis jetzt gesehen, doppelt soviele sollen es werden.Deshalb wird die Ausstellung voraussichtlich bis Mitte Februar verlängert.Somit dürften noch viele Besucher die Gelegenheit haben, zu Erkenntnissen wie der von Janina Beis zu gelangen: "Kunst ist Kacke und Kacke ist Kunst".

"Sensation" im Hamburger Bahnhof, Invalidenstraße 50-51.Bis zum 17.Januar, eventuell bis Mitte Februar verlängert.Di, Mi, Fr 10-18 Uhr, Do 10-20 Uhr, Sa, So 11-20 Uhr.

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