zum Hauptinhalt

Kultur: Die Spitzenklöppler

Rückkehr der Wolle: Statt zum Pinsel greifen Künstler zur Stricknadel.

Frauen stricken, Männer auch. Oder lassen stricken – wie der Musiker und Künstler Robert Lippok. Im Künstlerhaus Bethanien zeigt er zuletzt einen Pullover aus taubengrauer Wolle mit dunkelblauem Zickzackmuster, das wie der Ausschlag auf der Pegelanzeige eines Mischpults aussah. Tatsächlich hatte Lippok den Pullover nach Musik der Band Can stricken lassen, von einer computergesteuerten Strickmaschine, deren Geräusche aus zwei Lautsprechern zu hören waren: ein leises Rattern, ein meditatives Stück Industriesound.

Die Wolle ist zurück in der Kunst, und Männer ziehen mit. In Darmstadt und Zürich fanden 2011 zwei Ausstellungen mit Textilkunst statt, an denen auch Künstler wie der Schweizer Figurenhäkler Jürg Benninger teilnahmen. „Stricken ist auf dem Weg zu einer geschlechtsunabhängigen Technik“, so Anja Claudia Pentrop. Die 31-jährige Künstlerin aus Potsdam strickt Plastiken und Bilder und lehrt zudem Textiles Gestalten. Die Studentinnen, sagt sie, bringen jetzt ihren Freunden das Stricken bei.

Doch noch ist es nicht ganz so weit, wie Pentrop sich erhofft. Die Liste der Berliner Ausstellungen, in denen Kunst aus Wolle auftaucht, wird immer länger, aber an ihnen beteiligen sich vornehmlich Künstlerinnen. So zeigte Pia Lindman im Sommer menschliche Organe, die sie ohne Nadeln, nur mit den Händen gestrickt hatte, Sejla Kameric stellte Netze von bosnischen Klöpplerinnen aus. Monika Drozynska präsentierte im Projektraum uqbar gestickte Zierdeckchen, deren Vorlage Grafitti an Hauswänden waren und ließ in Polen Fotos von den Handarbeiten auf LED-Werbewänden leuchten. Von Özlem Dalga ist derzeit im Museum Tempelhof (Alt-Mariendorf 43, bis 15.1.; Di/Do 15–18, So 11–15 Uhr) eine handgeknüpfte Weltkarte aus Industriegarn zu sehen, die einem Netz globaler Fluglinien oder Datenströme gleicht.

Den Maschenrekord aber hält Anja Claudia Pentrop. In die Jahresausstellung des Goldrausch-Weiterbildungsprogramms für Künstlerinnen hatte sie ein handgestricktes Bild gehängt, zwölf Quadratmeter groß, aus buntem Mohair, Alpaka und Kunststoffgarn. „Ein ganz normaler Tag“ heißt das Werk, das sich in fünf Spalten gliedert wie ein Familienkalender in der Küche. Kind, Papa, Mama, Kind, Kind steht über jeder Rubrik, darunter dann Termine wie Konferenz, Mutter-Kind-Turnen, Gitarre üben, Sex. Jede Tätigkeit ist in einer anderen Wollsorte ausgeführt. Nur die bunt geringelte Spalte des Kindes ganz links blieb frei. Es gehe ihr um unsere eng verplante Zeit, sagt Pentrop, darum, dass schon Kinder durch den Tag hetzen müssen.

Doch genauso gut lassen sich in dem Bild die alten Rollenklischees erkennen. Papa verschwindet im Büro, Mama macht das Mittagessen. Das Material legt diese Interpretation nahe. Textilarbeit gilt als schlecht bezahlte Frauensache, seit Männer in der Fabrik arbeiten gehen, oder gleich als Müßiggang, weil besser gestellte Töchter einst mit Stickarbeiten züchtigen Fleiß demonstrieren sollten. Noch am Bauhaus gehörten Künstlerinnen in die Textilklassen. Erst Annette Messager und Louise Bourgeois befreiten Stoff und Wolle von ihrem Ruf, drittklassiger Werkstoff zu sein. Und Rosemarie Trockel machte mit ihren maschinellen Strickbildern Karrieren.

Doch ganz geheuer ist die neue Masche dem Kunstbetrieb noch nicht. Pentrop weist nachdrücklich darauf hin, dass auch Männer sie um Strickanleitungen bitten. Und Özlem Dalga erinnert sich daran, dass sie lange Zeit partout keine Handarbeit anfassen wollte: „Ein türkisches Mädchen, das strickt, das wäre doch das totale Klischee gewesen!“ Erst nachdem sie sich als Textildesignerin bei einer Sportartikelfirma bewiesen hatte, war sie bereit für ihre Kunst aus Garn.

Dabei geht es bei Textilkunst längst um mehr als Geschlechterrollen. Etwa um die Verknüpfung von Handwerk mit digitalen Medien wie bei Monika Drozynska, oder darum, der Kurzlebigkeit von Dingen und Informationen etwas Beständiges entgegenzusetzen, wie Pentrop sagt. Nicht zuletzt, um die Umwelt zu schonen. Hier treffen sich die Künstlerinnen mit den Protagonisten der neuen Do-it-yourself-Bewegungen. Hunderte Internetforen zeugen davon, dass auch jenseits der Kunst gestrickt, gestickt, gehäkelt wird, was das Knäuel hergibt. Man pflegt sogar „Guerilla-Knitting“, die ungenehmigte Verzierung von Bäumen und Brückengeländern mit Strickschläuchen.

Das erinnert an die siebziger Jahre, als schon einmal heftig gestrickt wurde: Friedensbewegte und Kernkraftgegner, die später als bärtige Abgeordnete im Bonner Bundestag mit Nadeln klapperten. Damals schien ein Atomkrieg zu drohen, die Flüsse stanken zum Himmel. Heute lassen Computer Börsenkurse krachen und errechnen immer düstere Modelle zum Klimawandel. Gesetzt, die Korrelation zwischen sinkender Stimmung und Präsenz strickender Männer stimmt, könnte Anja Claudia Pentrop doch noch recht behalten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false