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Kultur: Die Stadt als Raumschiff

Ein Schweizer sucht die vergessene Architektur des Raketenzeitalters – und findet Friseursalons, UFO-Pavillons, Bars

Es gibt drei Typen von Berlinern: Den Stuck-Berliner, der von sich behauptet nur im Altbau lebensfähig zu sein. Dielenboden, Messingklinken und Flügeltüren sind ihm ästhetisches Programm. Dann gibt es noch den Loft-Berliner, der durch eine vollverglaste Fensterfront in die Stadt blicken möchte, Dachterrasse und Tiefgarage möglichst inklusive. Dem dritten Typus, meist der Eingeborene, ist all dies vollkommen schnuppe, Hauptsache Preis und Wohnlage stimmen.

Lurker Grand fällt aus diesem Raster heraus. Der in Graubünden und Zürich aufgewachsene Schweizer interessiert sich weder für den Stein und Gips gewordenen Plüsch der Gründerzeit, noch für die kalten Glas- und Stahlpaläste unserer Tage. Seine Epoche liegt in einem Zwischenreich. „Moderne Architektur“ sagte man in Berlin dazu, und es klang meist wie ein Schimpfwort.

Lurker Grand ist ein Großstadtfanatiker, vielleicht, weil er auf dem Lande aufwuchs. Kommt er in eine Stadt, so beginnt er sofort sie zu erkunden. Das begann in Barcelona. Als er durch die runden Bullaugenfenster des „Flash Flash“ in eine weiße Polsterlandschaft aus den Siebzigerjahren blickte, kam ihm eine Idee. Wie viele Orte, die den Geist dieser vergangenen Epoche atmen, mochte es noch geben?

Grand sammelte Adressen. Immer mehr Fähnchen steckte er in seinen Stadtplan. Ein befreundeter Fotograf nahm die Bauten auf, die Grand notiert hatte: Kioske, Foyers, Tresen. Am Ende war das Projekt so umfangreich, dass es ein Buch werden musste. Als es einen Verlag gefunden hatte, verließ Lurker Grand die Stadt. Mit Barcelona war er fertig. Er zog nach Berlin. Auch in Berlin begann er, Gebäude aufzuspüren. Dazu legte der gelernte Schreiner, Dekorateur und Grafiker sich ein strenges, wie er selbst sagt, „unberlinisches“ Arbeitspensum auf: alte Filme sehen, Vorträge besuchen. Sechs bis acht Stunden am Tag Fahrrad fahren, auch in die entlegensten Winkel.

Nach knapp drei Jahren ist seine Arbeit fertig und abermals ein Buch geworden. „Berlin – City in Space“ zeigt nicht nur die Architektur der in den USA als „Vintage“ bezeichneten Epoche zwischen 1950 und 1980, sondern würdigt die oftmals verfemten Bauten mit Liebhaberaugen. Auf den großformatigen Fotos, aufgenommen von Tobias Madörin, blinkt der „Panzerkreuzer Charlottenburg“, das ICC, metallisch im Nachthimmel, als würde er durchs Weltall kreuzen. Aus der Froschperspektive betrachtet schwingen sich die Kronleuchter des Kinos International wie golden glitzernde Blütenblätter und man blickt ins Rund des Fernsehturms, als öffne sich das fein ziselierte Innere eines riesigen Schneckenhauses.

Zwei Kriterien hat sich der Schweizer für seine Auswahl auferlegt: Fassade und Interieur müssen in originalem oder historisch korrekt restauriertem Zustand sein. Und sie müssen öffentlich zugänglich sein. Ausnahmen sind die Sitzlandschaften in der Tschechischen Botschaft und der UFO-förmige Pavillon „Futuro“ in Treptow, der in Privatbesitz ist.

Um den ornamentalen Charakter zu betonen, wartete der Fotograf Tobias Madörin auf den idealen Augenblick: das Spiegeln der Wasseroberfläche der Schwimmbäder früh um sechs, die menschenleeren Plastiklandschaften des U-Bahnhofes Schloßstraße nach Betriebsschluss. Um die Rotunde des Steglitzer Auto-Pavillons leer zu fotografieren, warteten die Großstadtarchäologen ein ganzes Jahr – bis zur Renovierung.

Ein herkömmlicher Architekturführer ist es nicht geworden, obwohl das Buch eine Karte und mehrsprachige Hefte für die Jackentasche des Entdeckungsreisenden enthält. Die Verfasser sind keine Architekturhistoriker. In ihren Augen steht ein furnierter Friseursalon aus den Fünfzigern oder eine Eisdiele im abgerundeten Formenkanon der Siebziger gleichberechtigt neben einem Repräsentationsbau wie dem Palast der Republik. Das Buch vermisst die Stadtlandschaft aus der Perspektive des Modernisten. Es blickt neugierig auf eine zukunftsgläubige Epoche, in der Häuser noch Raketen gleichen wollten.

Vielleicht schärft dieser Blick das Bewusstsein für die Schätze der Nachkriegszeit, denen oft die Abrisskugel droht, wie das traurige Beispiel des „Ahornblattes“ an der Leipziger Straße zeigt. Von den in Grands Barcelona-Buch abgebildeten Ensembles ist allein in den vergangenen drei Jahren bereits ein Drittel verschwunden.

Lurker Grand (Hg.): Berlin – City in Space. Architecture and Design from the 50ies to the 70ies. Berlin: Vice Versa Verlag 2004. 83 Seiten, 35 € (mit Stadtführern 40 €). Info: www.cityinspace.de

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