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Kultur: Die Stadt als Stoff

Das Dresdner Staatsschauspiel feiert mit der „Dreigroschenoper“ seinen hundertsten Geburtstag.

Mackie Messer, der populärste Edelkriminelle der deutschen Dramatik, wird bekanntermaßen im Bordell überführt. Seine Lieblingsprostituierte Jenny verrät ihn an die Polizei. „So mancher Mann sah manchen Mann verrecken: Ein großer Geist blieb in ’ner Hure stecken“, fasst Bertolt Brecht den Sachverhalt in seiner „Dreigroschenoper“ lapidar zusammen.

In Friederike Hellers Dresdner Inszenierung bleibt der „große Geist“ jetzt eher in einem bekennenden Huren-Darsteller stecken. Schaukeln mit aufgerüschten Showgirls senken sich in der Bordellszene vom Schnürboden herab. Unten angekommen, greifen die Schauspieler (es sind tatsächlich größtenteils Männer) zu Uniformmützen und verwickeln Macheath in ein schäbiges kleines Polizistinnen-Rollenspiel: ein Klassiker der professionellen Entblätterungskunst. Dass einer der Politessen-Darsteller den Verbrecherkönig am Ende trotzdem werktreu ins Gefängnis schleppt, dürfte den nicht wirklich schrecken. Es dauert keine halbe Stunde, bis Mackie Messer in einer stilechten Michael-Jackson-Pose hinter den Gittern von Old Bailey reüssiert.

Was ist ein solider Strafvollzug gegen den allgegenwärtigen Unterhaltungsterror, in dem alle immer schon lebenslänglich festsitzen, fragt Friederike Heller sozusagen mit Brecht. Entsprechend lösen sich die Grenzen zwischen Politik und Politiksimulation, Prekariat und Prekariatsdarstellung, deren Durchlässigkeit die „Dreigroschenoper“ mit dicken Ausrufezeichen vorführt, vollends in einer Art Verwandlungs-Perpetuum-Mobile auf. Polizeichef Brown mutiert auf offener Bühne zu einem Mitglied von Mackie Messers Verbrecherbande, die hier unter den Masken aus der Muppet Show steckt, sich bei Bedarf aber auch zu einer Bettlerarmee von Splattermovie-Gnaden umrüsten lässt.

Hellers Idee, die längst im Unterhaltungsmainstream angekommene „Dreigroschenoper“ als selbstbezügliche Revue der frei schwebenden Entertainment-Verweise anzulegen, ist doppelt clever. Einerseits verschiebt die Regisseurin damit Brechts plakative Gesellschaftskritik, ohne sie direkt als erledigt abzutun, so elegant wie realitätsnah in den (Anarcho-)Lifestyle-Bereich. Regelmäßig turnt ein Sprayer über die Bühne und verewigt Brecht’sche Gassenhauer à la „Die Welt ist arm, der Mensch ist schlecht“ als Graffiti an den Bühnenwänden. Und zum Zweiten verschafft der mehrbödige Show-Ansatz dem Dresdner Ensemble die Lizenz zum hemmungslosen Aufdrehen. Mit Hingabe schmeißen sich die Akteure – allen voran Christian Friedel als wunderbar androgyn-halbseidener Unterhaltungsschmierant Macheath und Sebastian Wendelin als bemerkenswert koketteriefreie Jenny – in die gesammelten Hits von der „Moritat“ bis zum „Salomonsong“.

Unterhaltungsoffensive mit konzeptionellem Gütesiegel: Besser hätte die Saisonauftakt-Inszenierung, die gleichzeitig die 100. Spielzeit des Dresdner Schauspielhauses einläutete, kaum ausfallen können. Dramatisch betrachtet, steht die sächsische Landeshauptstadt zum Jubiläum sowieso hervorragend da. Seit Wilfried Schulz im Herbst 2009 die Intendanz von seinem eher blassen Vorgänger Holk Freytag übernahm, vermeldet das Haus permanent Zuschauerrekorde. Und Einladungen zum Berliner Theatertreffen und zu den Mülheimer Theatertagen, dem wichtigsten deutschsprachigen Gegenwartsdramatik-Festival, weisen die Stadt als Rückkehrerin in die theatrale Bundesliga aus. Tatsächlich scheint es Schulz gelungen zu sein, der viel zitierten Dresdner Befindlichkeit, einer Mischung aus überdurchschnittlichem Kulturinteresse auf der einen und ebensolchem Traditionsbewusstsein auf der anderen Seite, produktiv zu begegnen.

Der 60-jährige Intendant, der vom Niedersächsischen Staatstheater Hannover nach Dresden kam und vorher Chefdramaturg bei Frank Baumbauer in Basel und am Hamburger Schauspielhaus war, hat den Terminus „Stadttheater“ in der sächsischen Elbmetropole so konkret interpretiert wie kaum ein anderer Theaterleiter. Spezifisch Dresdner Stoffe wie Uwe Tellkamps „Turm“, Dresdner Autoren wie Ingo Schulze oder auch romantische Sujets wie E. T. A. Hoffmanns Novelle „Der goldne Topf“, in dem die Stadt quasi die Hauptrolle spielt, sind feste Spielplangrößen. Dafür engagiert Schulz allerdings immer wieder Regisseure, die gleichsam als ästhetische Türöffner fungieren. In Sebastian Baumgartens Hoffmann-Dramatisierung wird die Barockstadt zwar permanent aufgerufen, ihr Mythos aber gleichzeitig bildstark dekonstruiert und mit allerlei Exkursen aufgesprengt.

Neben Baumgarten und Friederike Heller prägen zurzeit vor allem die Hausregisseure Julia Hölscher und Tilmann Köhler und Namen wie Roger Vontobel, Stefan Bachmann oder Simon Solberg die Dresdner Theater-Ästhetik. In der Jubiläumssaison kommen noch einige andere Handschriften hinzu. Mit „KapiTal der Puppen“ wird sich der Diskurstheatraliker René Pollesch erstmals dort vorstellen. Der dänische Dramatiker Christian Lollike hat auf Einladung des Staatsschauspiels einige Zeit in Dresden verbracht, seine Beobachtungen stellt er unter das Motto „Das normale Leben oder Körper und Kampfplatz“ vor. Und das Regiekollektiv Rimini Protokoll will seine dokumentarische Stasi-Spurensuche im öffentlichen Raum, die letztes Jahr in Berlin Premiere hatte, unter dem Titel „10 Akten-Kilometer“ auf die Elbstadt ausweiten.

Außerdem gibt es natürlich zahlreiche Möglichkeiten, per Buch oder Theater-Parcours tiefer in die wechselvolle Geschichte der Theaterstadt Dresden einzusteigen, die eng mit Namen wie Erich Ponto, dem deutschen Expressionismus oder der friedlichen Revolution im Herbst 1989 verbunden ist, aber auch mit der „1. Reichstheaterfestwoche“. Sie war 1934 von den Nationalsozialisten in der Stadt ausgerichtet worden, die damals noch in ihrer ganzen Barockpracht glänzte.

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