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Berliner Stiftungswoche: Die Stadt braucht das Engagement der Bürger

Spätestens jetzt, zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer, ist die Zeit gekommen, sich strategisch um den Aufbau einer bürgerschaftlichen Gesellschaft zu bemühen.

Eine Stadt wie Berlin braucht eine selbstbewusste Bürgerschaft. Bis 1933 war eine solche Bürgerschaft das Rückgrat und die Energiequelle der Stadt. Die Nationalsozialisten haben diese Basis zerstört und vertrieben. Nach dem Krieg gab es sicherlich viel persönliches Interesse, wieder in die Stadt zurückzukehren. In der geteilten Stadt aber waren private Wirtschaft und öffentliche Betätigung so substanziell behindert, dass viele Akteure den Weg zurück nicht fanden. Im Gegenteil: Weitere wanderten aus diesen Gründen ab.

Ergebnis waren in beiden Hälften Berlins ungewöhnlich staatsorientierte gesellschaftliche Wirklichkeiten. Weder im Osten noch im Westen der Stadt konnte an die bürgerschaftliche Tradition angeknüpft werden. Das war einer der strukturellen Schwachpunkte der geteilten Stadt. Seit 1989 sind nun zum ersten Mal die Bedingungen für den Aufbau einer produktiven Bürgergesellschaft wieder hergestellt. Neue Akteure sind gekommen. Die Hälfte der heutigen Berliner kamen seit der Wende in die Stadt. Mit ihnen hat sich die Stadt verändert, neue Impulse haben sich auf wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene entwickelt.

Spätestens jetzt, zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer, ist die Zeit gekommen, sich strategisch um den Aufbau einer solchen bürgerschaftlichen Gesellschaft zu bemühen. Berlin ist die interessanteste Stadt Deutschlands. Sie fordert gesellschaftliche Mitverantwortung heraus. Politik, will sie wirkungskräftig sein, bedarf des bürgerschaftlichen Engagements als Ergänzung und Korrektiv. Eine Gesellschaft, die in der immer mehr zusammenrückenden Welt des 21. Jahrhunderts vor völlig neuen Herausforderungen steht, muss sich zu Wort melden und mitwirken.

Vor allem ist das auch eine Teilnahme an den Zukunftsmöglichkeiten Berlins: ob sie geöffnet oder verbaut werden. Eine Teilnahme und zugleich eine Teilhabe. Dieser Anspruch auf bürgerschaftliche Mitverantwortung stellt die Politik nicht infrage, er schmälert auch nicht deren Verantwortung und Zuständigkeit. Er hat aber zum Ziel, dass aus der Gesellschaft heraus mit Kompetenz, mit Hartnäckigkeit und mit Ideen die Entscheidungen durch bürgerschaftliches Vermögen verbessert werden. Und dies kann nicht allein in Form von Steuern und Abgaben geschehen, sondern in Form vom Besten, was wir haben: unseren Gedanken und Vorstellungen.

Bürgerschaftliche Mitverantwortung zielt auf das Gemeinwesen, will eine bessere Entwicklung der öffentlichen, der gemeinsamen Dinge. Ihre Überparteilichkeit dokumentiert sie, indem sie vielfältigen Sachverstand und unterschiedliche Standpunkte zu Gehör bringt. Sie will denen, die es wollen, Gelegenheit geben, sich inhaltlich und strategisch für Berlin zu interessieren und zu engagieren. Es genügt im Einzelfall zuweilen, wenn Themen auf den Tisch kommen, wenn sie wieder neu auf den Tisch gezwungen werden und die unmittelbaren Akteure sich dazu verhalten müssen.

Bei der „Stiftung Zukunft Berlin“ versuchen wir solche Arbeit seit einigen Jahren. Mit „Europa eine Seele geben“ starteten wir ein von Berlin ausgehendes Projekt mit jungen Entscheidungsträgern aus über zwanzig europäischen Ländern. Aktuell beschäftigen wir uns mit der Qualifizierung der Aufgabe des Humboldt-Forums ebenso wie mit der zukünftigen Nutzung des Tempelhofer Felds.

Es sind beeindruckende Zahlen: Rund 600 Vereine und Initiativen haben sich allein zur Unterstützung der kulturellen Einrichtungen der Stadt gebildet. Ermutigend auch die Zahl der großen deutschen Stiftungen, die mit seit 1989 ständig wachsenden Engagements ihre Arbeit in der deutschen Hauptstadt profilieren. Inzwischen haben rund 700 Stiftungen ihren Sitz in Berlin.

Die Stiftungswoche wird vom 1. bis 10. Juni 2010 die Vielfalt bürgerschaftlichen Engagements und die gesellschaftliche Funktion der Stiftungswelt in der Stadt zeigen. In dieser Zeit machen Stiftungen dort, wo sie aktiv sind, die Türen auf und laden alle Berliner zu Veranstaltungen ein oder stellen Projekte vor, die sie selbst organisieren oder die von ihnen gefördert werden. Dabei soll auch die Wirksamkeit der Stiftungsarbeit reflektiert werden, beispielsweise beim Thema Effektivität von Stiftungshandeln oder auch der Aktivierung von bürgerschaftlichem Engagement.

Die Berliner Stiftungsrunde hat alle in Berlin aktiven Stiftungen eingeladen, sich zu beteiligen. Denn Berlin hat vieles nicht, was vergleichbare Hauptstädte ganz selbstverständlich haben. Könnte es nicht ein erstrebenswertes Ziel sein, die in Deutschland wichtigste Stadt für Stiftungen zu werden? Wo sich so viele erstrangige Stränge des Kulturellen, des Wissenschaftlichen, des Gesellschaftlichen, des Politischen und des Ökonomischen kreuzen, könnte auch für Stiftungen ein bevorzugter Platz entstehen.

Volker Hassemer war Berliner Senator für Stadtentwicklung und für Kultur. Er ist Vorstandsvorsitzender der Stiftung Zukunft Berlin. Infos zur Berliner Stiftungswoche: www.berlinerstiftungswoche.eu

Volker Hassemer

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