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Kultur: Die starke Mitte

Alles nochmal gut gegangen: die deutsche Frühjahrssaison bei Lempertz, Ketterer und der Villa Grisebach

„Nur das Beste garantiert Erfolg“, bringt der Berliner Galerist und Kunsthändler Hendrik Berinson seine Philosophie und zugleich eine alte Marktweisheit auf den Punkt. Das Beste in Form von hochpreisigen Glanzstücken blieb zu den Frühjahrsversteigerungen in Deutschland allerdings weitgehend aus. „Die Einlieferer trennen sich momentan nicht von teuren Arbeiten, aus Angst, die könnten zurückgehen. Wir hatten kein einziges Angebot um 500 000 Euro“, so Henrik Hanstein, Inhaber und Auktionator des Kölner Kunsthauses Lempertz. Denn ein durchgefallenes Los gilt auf dem Markt als „verbrannt“ und zumindest in naher Zukunft als schwer absetzbar. Wer nicht zum Verkauf gezwungen ist, bewahrt seine Schätze für aussichtsreichere Zeiten auf.

Doch wenn der einheimische Auktionsmarkt die Saison mit insgesamt guten Abschlüssen beendet, so war die Krisenstimmung im Vorfeld größer als es die reale Situation nun widerspiegelt. Denn mit Ergebnissen von rund 6 Millionen Euro bei Lempertz und 8,4 Millionen in der Villa Grisebach ist die allgemeine Zufriedenheit nicht unbedingt einem Zweckoptimismus gezollt. Zwar lagen die Schätzungen höher, doch der befürchtete Einbruch blieb aus. „Ein erfreuliches und unerwartet starkes Mittelfeld“, verzeichnete der geschäftsführende Gesellschafter Bernd Schultz von der Villa Grisebach für sein Haus.

Mit den vier Bewertungen zwischen 500 000 und 1,2 Millionen Euro konnte man in Berlin allerdings nicht reüssieren. Lediglich Max Beckmanns in Grün-, Blau- und Ockertönen gehaltene „Landschaft bei Saint-Cyr-Sur-Mer“ aus dem Jahr 1931 konnte das Interesse eines deutschen Museums wecken. Zunächst unter Vorbehalt zugeschlagen, wurde es schließlich für 921 500 Euro verkauft. Als unüberwindbare Hürde für die zwei Top-Lose von Emil Nolde sowie einen frühen Gerhard Richter macht Bernd Schultz nicht nur das „schwierige wirtschaftliche Umfeld“ in Deutschland verantwortlich, sondern in erster Linie die derzeitige Dollarschwäche: „Normalerweise haben wir ein 25-prozentiges Engagement aus Amerika. Jetzt haben die wenigen Bieter gleich am Telefon umgerechnet und sind prompt wieder ausgestiegen.“ Ganz abstinent waren die USA dann doch nicht, und so geht Alexej Jawlenskys faszinierendes „Heilandsgesicht: Gebet“ für 289 000 Euro in eine amerikanische Privatsammlung.

Das nationale und vor allem internationale Sammler- und Händlerpublikum hatte das Auktionshaus Ketterer in seinem Münchener Stammhaus Anfang Mai auf den Plan gerufen und bestens versorgt. Die 764 Lose der Sammlung Tremmel – von Alten Meistern bis zu Papierarbeiten des Expressionismus – wurden samt und sonders für insgesamt 5,7 Millionen Euro versteigert und die Auktion zur wohl spektakulärsten des Jahres. Ausreißer, wie eine Handzeichnung aus dem 16. Jahrhundert, die auf 300 Euro eingestuft war und auf fast 260 000 Euro hochschnellte, waren allerdings nicht zuletzt das Resultat der extrem niedrigen Einschätzungen im Vorfeld, die an der Grenze der üblichen Gepflogenheiten lagen.

Die Schallgrenze war auch für Lempertz bei 244 000 Euro erreicht, die August Mackes „Gelbes Segel“ von 1913 einspielte. Die allgemeine Lage hatte Henrik Hanstein bereits im Vorfeld zu vorsichtigen Schätzungen bewogen: „Da haben wir Auktionshäuser den Vorteil, schneller auf den Markt reagieren zu können als die Händler, die langfristig kalkulieren müssen.“ Reaktion zeigt man im rheinländischen Auktionshaus außerdem auf die sich wandelnde Hauptstadt. Zwar ist das Potenzial an hiesigen Sammlern nach wie vor spärlich, während das Rhein-Ruhr-Gebiet immer noch mit einem Drittel der Kunden aufwartet, und auch in der Villa Grisebach Erich Heckels betörende Zeichnung „Liegende“ für 100 000 Euro an einen nordrhein-westfälischen Privatier ging. Gleichwohl attestiert Hanstein Berlin langfristig eine Zukunft als Kunstmetropole mit internationaler Ausstrahlung, die sein Auktionshaus mitgestalten möchte: Seit Mitte der achtziger Jahre ist Lempertz hier mit einer Repräsentanz vertreten, und im April verlegte man zum ersten Mal eine Fotografie-Auktion an die Spree – für den Auktionator „ein bestandener Testlauf, der nicht folgenlos bleiben wird.“

Mit einer Verkaufsquote von knapp 94 Prozent war das Fotografie-Angebot der Villa Grisebach ebenfalls überaus erfolgreich, was nicht zuletzt auf den vergleichsweise moderaten Preisen des Mediums beruht. Wie überhaupt auch bei den Gemälden und Skulpturen der Hammer vornehmlich unter 200 000 Euro fiel, und die Käufer in dieser Kategorie manch solide Entwicklung nach oben bewilligten. Max Beckmanns Aquarell „Stillleben mit Lampe“ für 225 750 Euro sowie Gabriele Münters „Bäumende Wolke Tennisplatz“ für 208 500 Euro fanden Abnehmer weit über den Schätzungen. Einen kräftigen Zuwachs ermöglichte etwa ein englischer Händler einem Terrakotta-Bildnis von Wilhelm Lehmbruck. 1990 war die „Büste der Knienden (Geneigter Frauenkopf)“ schon einmal in der Villa Grisebach versteigert worden, nun konnte der damalige Zuschlag verdoppelt werden und mit 225 750 Euro überflügelte die Skulptur , die zwischen 1912 und 1914 entstanden ist, den Schätzpreis.

Für Überraschungen im lebhaften Auditorium sorgten zwei Außenseiter: ein „Selbstbildnis als Raucher“ des Dresdener Expressionisten Walter Jacob verfünffachte die Erwartungen und kletterte auf stolze 107 300 Euro. Zum Highlight avancierte eine mit 5000 bis 7000 Euro eher als Marginalie beurteilte Leinwand von Lajos Tihanyi. Zu Beginn der zwanziger Jahre hatte der 1885 in Budapest geborene Maler einige Zeit in Berlin verbracht, wo 1921 „Ufer/Le Pont“ entstand. In seiner eigenwilligen Synthese aus konstruktiven und expressiven Elementen sorgte der Blick über die Mühlendammbrücke für ein selten spannendes Gefecht zwischen zahlreichen Telefonbietern sowie Interessenten in beiden Sälen der Villa Grisebach. Als Auktionator Peter Graf zu Eltz bei 85 000 Euro fast schon „zum Dritten“ zuschlagen wollte, stieg Hendrik Berinson als neuer Bieter ein und die Spannung auf den Höhepunkt. Der war dann bei 128 000 Euro erreicht, mit denen sich Berinson gegen ungarische ebenso wie gegen französische und spanische Konkurrenz hartnäckig durchgesetzt hatte, „weil es einfach ein sehr gutes Bild ist und unterbewertet war“ – der Berliner Kunsthändler kauft halt nur das Beste. Wenn das in diesem Frühjahr etwas rar gesät war, gibt es zwar keinen Anlass zur Euphorie, aber allemal ist die Stimmung besser als der ihr vorauseilende Ruf. „Immerhin haben wir unsere erste Auktion 1986 mit umgerechnet 1,9 Millionen Euro abgeschlossen; da ist der jetzige Gesamterlös ein durchaus gesundes Wachstum“, resümiert Bernd Schultz.

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