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Kultur: Die Stille nach dem Schluss

Nach 14 Jahren schließt Berlins dienstältester Techno-Club seine Gittertüren: Der Tresor muss einem Büroturm weichen

Er war kein Ort für Klaustrophobe. Die Lautstärke wurde nicht in Dezibel gemessen, sondern am Flattern der Hosenbeine. Doch wenn es eine Adresse gibt, die Berlin auf der Weltkarte der Technomusik verzeichnet hat, dann diese. Unter der tropfenden Decke des Tresors an der Leipziger Straße legte in dichten Kunstnebelschwaden auf, wer in der Technowelt Rang und Namen hat: Juan Atkins. Jeff Mills. Westbam. Marshall Jefferson. Und so ziemlich alle anderen auch. Wenn Sven Väth zur Loveparade den staubigen Vorplatz beschallte, musste die Leipziger Straße gesperrt werden. Doch nun steht auch dieses Kapitel der Techno-Geschichte vor seinem jähen Ende: Die Metalltüren des 1991 eröffneten Clubs schließen sich noch in diesem Monat – endgültig. Die Bauwelt Property Group verkaufte die Immobilie, neuer Bauherr ist die Volksfürsorge, die hier einen Büroturm errichten will.

Das Ende kommt plötzlich, aber nicht überraschend. Über dem Techno-Tempel hing bereits seit Jahren das Damoklesschwert der Kündigung. Der Mietvertrag sieht eine Räumungsfrist von zwei Monaten vor. Schon 1995 wollte der Unternehmer Peter Kottmair den Tresor kaufen, zog dann aber zurück. Und als vor fünf Jahren der Bund die Immobilie ausschrieb, gab sich die Geschäftsführerin Regina Baer noch optimistisch, man hoffte auf Kooperation mit einem neuen Vermieter. Ein „Tresor-Tower“ sollte entstehen, der Architekt Sören Roehrs entwarf ein 28 Meter hohes Glasgebäude, das Platz für Labels und Trend-Büros bieten sollte. Daraus wurde nichts, und zwei Jahre später stand der Laden abermals vor dem Aus. „Bleiben, bis die Bagger kommen“, lautete die Parole. Nun ist es so weit.

Die Geschichte von Berlins dienstältestem Techno-Club ragt in die Tiefensedimente der Stadt hinein. Das von dem Architekten Albert Messel errichtete Gebäude aus meterdickem Stahlbeton beherbergte einst das Wertheim-Kaufhaus. Als Teil des enteigneten jüdischen Vermögens der Wertheim-Dynastie war es Gegenstand des von der Jewish Claims Conference erst kürzlich erstrittenen Restitutionsverfahrens.

Die jüngere Geschichte des Gebäudes aber beginnt 1991 – mit Dietmar-Maria Hegemann, den alle nur Dimitri nennen. Damals erkundete der geborene Westfale mit seinem Partner Johnnie Stieler den verlassenen Keller. Im flackernden Schein eines Feuerzeuges, der über die rostigen Schließfächer huschte, verschlug es beiden den Atem. In diesem historischen Moment, so erinnert sich Hegemann heute, wusste er, dass er endlich genau den richtigen Ort zur richtigen Zeit gefunden hatte.

Hegemann hatte bereits eine Untergrundkarriere hinter sich. 1977 nach Berlin gekommen, hatte der Student der klassischen Musikwissenschaft sich in die lärmenden Abgründe der Avantgarde gestürzt. Im SO 36 hatte er 1982 das „Berlin Atonal“-Festival gegründet, Konzerte mit damals unbekannten Bands wie Die tödliche Doris oder Einstürzende Neubauten organisiert sowie eine Hand voll obskurer Projekte organisiert wie das Fischbüro mit seinen Telefonbuchlesungen.

Dimitri Hegemann sitzt im Kreuzberger „Weltrestaurant Markthalle“ und sieht nicht aus, wie man sich den typischen Raver vorstellt. Er trägt einen abgewetzten Seemannspullover unter dem verbeulten Leinensakko, darüber leuchtet ein weiß gewordener Haarschopf: Hegemann ist bereits Großvater und hat die fünfzig überschritten. Seine Rede ist ein Fluss ohne Ufer. Er zitiert in einem Atemzug Seneca, hält einen Vortrag über zeitgenössische Kunst, philosophiert über Karthago und Eskimos, und am Ende kommt dann irgendein Projekt dabei heraus. Momentan beschäftige er sich mit Tierfilmen, plant einen gigantischen Ruheraum in Lankwitz und fügt hinzu: „Ich will eine Waldwiese in die Stadt transportieren, aber indoormäßig.“ So viel Fantasie könnte man leichtfertig als bekifftes Denken abtun.

Wenn man nicht wüsste, dass Hegemann vielleicht nicht die meisten, aber etliche seiner nur grob zusammenhängenden Ideen auch in die Tat umsetzt. Er ist Kinderbuchverleger, betreibt ein Plattenlabel, lässt sein eigenes Bier brauen, organisiert Kunstausstellungen und besitzt eine Hand voll Clubs, Bars und Restaurants. Zum Beispiel den Privatclub und den Goldenen Hahn in Kreuzberg, das Schwarzenraben in Mitte und die Trompete in Tiergarten, die er mit dem Schauspieler Ben Becker betreibt. Die Markthalle, in der er gerade sitzt, hätte er in der Aufzählung fast vergessen, aber man kann sich ja schließlich nicht alles merken.

Früher oder später aber kommt Hegemann auf den Tresor zurück, das Herz seines Imperiums. „Die Gewinne, die der Tresor abgeworfen hat, habe ich alle reinvestiert.“ Der Club beschäftigt 47 Mitarbeiter, allen wurde nun gekündigt. An Ideen für einen Umzug des Tresors mangelt es nicht. Hegemann denkt ernsthaft darüber nach, die meterdicken Wände aufzusägen und den historischen Tresorraum auszubuddeln. Dann will er sie originalgetreu woanders wieder aufstellen.

Für die „Raving Society“ (Jürgen Laarmann) ist all dies ein schwerer Schlag. Bis zur Schließung am 16. April werden die Fans noch einmal feiern. Jede Nacht. Es sind mittlerweile die 18- bis 24-Jährigen, die der seit 14 Jahren im gleichen Takt stampfenden Musik die Treue halten. Als der Tresor öffnete, waren die Jüngeren vier. Für sie ist der Club nicht das Museum einer sterbenden Musik, sondern das lebendige, schlagende Herz der Technokultur. Droht ihr nun der endgültige Tod?

Dimitri Hegemann schüttelt energisch den Kopf. „Sturheit als Programm“ sei nun mal sein Lebensmotto. Wer 14 Jahre lang im Keller den harten Viervierteltakt hämmern ließ, während oben die Moden kamen und gingen, der gibt so schnell nicht auf. Der Tresor wird weiterleben. Woanders. Vielleicht in Berlin. Vielleicht auch, so sinniert Hegemann einen Moment lang gedankenverloren, auf dem Mond. Man traut ihm auch dieses Projekt ohne weiteres zu.

Der Tresor (Leipziger Str. 126 a, Mitte), schließt am 16. April. Infos unter: www.tresorberlin.de

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