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Kultur: Die Summe aller Teilchen

Manchmal gibt es gute Gründe, unterzutauchen und zu verschwinden. Wie im Fall des Ettore Majorana .

Manchmal gibt es gute Gründe, unterzutauchen und zu verschwinden. Wie im Fall des Ettore Majorana . Heute ist der Mann nur noch Physikern ein Begriff. Oder Lesern des sizilianischen Autors Leonardo Sciascia . Majorana, ein hochbegabter Teilchenphysiker, hatte sich im März 1938 von Neapel nach Palermo eingeschifft, war dort aber angeblich nie angekommen. Die Polizei zog sich hinter die These vom Selbstmord zurück. Doch Stimmen, die sein Verschwinden für „eine minutiös durchkalkulierte und gewagte Architektur“ halten, sind nie verstummt. Majorana forschte – zeitgleich mit Otto Hahn – zur Kernspaltung. Und er war Visionär genug, die Folgen seiner Entdeckungen abzuschätzen – und sich dem tödlich-atomaren Geschäft zu verweigern. Manche behaupten, Majorana habe noch jahrelang unerkannt in einem Kartäuser-Kloster in Palermo gelebt. Leonardo Sciascia hat die Geschichte 1975 in seinem Buch „Das Verschwinden des Ettore Majorana“ aufgerollt. Die Wahrheit fällt – wie meist bei Sciascia – Vertuschungen und Falschinformationen zum Opfer, versickert im Räderwerk der italienischen Justiz. Ganz wie in seinen großartigen Mafia-Krimis, die ihn seit dem „Tag der Eule“ (verfilmt mit Franco Nero und Claudia Cardinale) bekannt gemacht haben. Wer Sciascia gelesen hat, wird sich jedenfalls mit Camilleris Konsens-Kommissar Montalbano kaum anfreunden können. Dem Kasus Majorana/Sciascia widmet sich nun am 20.1. (17 Uhr 30) und 21.1. (13 Uhr) die Konferenz „Eine sizilianische Meta-Physik“ in der Werkstatt der Kulturen (Wissmannstr.32, Neukölln). Physiker und Literaturwissenschaftler debattieren das Verhältnis von Naturwissenschaft und Literatur, dazu gibt es Filme und eine Fotoausstellung.

Einer, der gegen seinen Willen verschwinden musste, war im Februar 1989 Salman Rushdie . Da rief der iranische Religionsführer Ayatollah Khomeini die Muslime auf, Rushdie wegen seiner vermeintlich blasphemischen „Satanischen Verse“ umzubringen. Lange lebte der indische Schriftsteller isoliert in verschiedenen Verstecken. Geschrieben hat er trotzdem. Zuletzt den dickleibigen Roman „Shalimar der Narr“ (Rowohlt), der in Los Angeles beginnt und in die Kaschmir-Region führt. Am Anfang steht der Mord an einem ehemaligen amerikanischen Botschafter in Indien, am Ende geht es ums ganze Universum der west- östlichen Unversöhnlichkeiten. Mit Rushdie startet das Literarische Colloquium (Am Sandwerder 5, Zehlendorf) am 20.1. (20 Uhr) ins diesjährige Lesungsprogramm. Zwar wurde der Druck auf Rushdie 1998 von einer moderaten iranischen Regierung gemildert, die „Fatwa“ jedoch besteht weiter.

Wer sich nur für ein halbes Stündchen verstecken möchte, kann das vom 19. bis 22.1. im Sony-Center am Potsdamer Platz tun. Dort öffnet Britta Gansebohms „Wintersalon“ schon zum fünften Mal seine spektakulären Lese-Jurten . „Grenzgänge(r) zwischen den Welten“ heißt das Thema, zu dem 35 Autoren in 100 Lesungen antreten. Wenigstens der klirrenden Kälte kann man sich hier entziehen.

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