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Kultur: Die Toteninsel

Thomas Langhoff gräbt am Berliner Ensemble Gerhart Hauptmanns „Michael Kramer“ aus

Ein Widerling, dieser junge Mensch. Bis tief in die Nacht hat er sich in Bumslokalen herumgetrieben, jetzt bequemt er sich, barfuß, ein weites Hemd über der Hose, an den Kaffeetisch. Vater, pflichtbewusst, ist schon zur Arbeit aufgebrochen, so bleibt dem Sohn nur Mutter und Schwester als Objekt seiner Flegeleien. Schwesterherz triezt er mit dem Ansinnen, ihm eine Mark zu pumpen, Mutterherz quält er mit clownesken Faxen – der ganze Mann eine Karikatur. So wie die Karikaturen, die er des Nachts in der Kneipe von den Herren am Nebentisch anfertigt, zu deren Ärger, ja Wut, denn verletzlich treffsicher ist seine Feder. Arnold, das hat auch sein Vater Michael Kramer, Lehrer an der Kunstschule der Provinzialhauptstadt, schon erkannt, ist eine geniale Begabung, dem Vater ebenso überlegen wie der gleichfalls malenden Schwester. Vaters Urteil über den Sohn: „Du bist ein verlorener Mensch.“

Vor hundert Jahren, als Gerhart Hauptmanns „Michael Kramer“ am Deutschen Theater uraufgeführt wurde, spielte der 27-jährige Max Reinhardt, auf Altmännerrollen spezialisiert, den Vater mit dem um ein Jahr jüngeren Friedrich Kayssler in der Sohnesrolle – ein Misserfolg, der gleichwohl den Siegeszug des Stückes nicht hindern konnte. Jetzt, an Claus Peymanns Theater am Schiffbauerdamm, ist eine Mixtur aus Kräften allerlei Bühnen der Stadt zu Gange: Thomas Langhoff führt Regie, Karl-Ernst Herrmann hat Bühnenbilder in feinem Nebelgrau geschaffen, Petra Kray Kostüme im Stil des frühen 20. Jahrhunderts entworfen. Peter Fitz spielt den Vater, David Bennent den Sohn; dazu kommen Ulrike Krumbiegel und Götz Schubert. Wahrhaftig, ein Berliner Ensemble.

Alles in allem stellt sich die Frage, was an dem Stück für ein Publikum von heute noch interessant sein kann: Ist es das Drama eines Vater-Sohn-Konflikts oder, allgemeiner, das Verhältnis des bildenden Künstlers zur Gesellschaft seiner Zeit? In jedem Fall hat eine Aufführung zwangsläufig mit dem Handicap zu kämpfen, dass die Bühne sich schwerer tut, das qualitative Niveau von Malerei zu verhandeln als dasjenige von Theater selbst. Tschechows „Möwe“ oder auch Hauptmanns „Ratten“ führen anschaulich vor Augen, wie sich Generationenkonflikte um altes und neues Theater begründen. In „Michael Kramer“ wird zwar einmal eine authentische malerische Instanz wie Böcklin heraufbeschworen, von welcher Qualität die Produktion der Figuren selbst sein mag, bleibt dagegen pure Behauptung. Vater Kramers „feierlich ruhiges Christusbild“ kriegen wir ebensowenig zu Gesicht wie des Sohnes Skizzen. „Da sind seine Peiniger alle versammelt“, erläutert er die Karikaturen der gut-spießbürgerlichen Herren, die Arnold in den Tod getrieben haben. „Das ist der wahrhaftige böse Blick, aber es ist doch ein Blick!“ Arnold – ein Vorläufer von George Grosz?

Den Respekt, den eine solche künstlerische Leistung verdienen würde, für den Darsteller aufzubringen, der sie angeblich erbracht hat, fällt allerdings schwer: David Bennent begnügt sich damit, den rotzfrechen Jungen zu spielen, lässt den genialen „Funken“, den sein Vater ihm nachsagt, jedoch vermissen. Immerhin, es gibt ein paar Momente von Mitmenschlichkeit, die mit dem Flegel versöhnen: eine tröstende Geste für die Mutter (gluckenhaft besorgt: Gudrun Ritter), eine zärtliche für die Schankmaid (so naiv wie kokett: Annika Kuhl), um die er vergeblich wirbt. Dem Vater gegenüber verhält er sich, wie es der Autor gebietet, absonderlich stur – umso verwunderlicher erscheint die Großherzigkeit, mit der sich Michael Kramer im letzten Akt, bei der Klage um den verlorenen Sohn, zu eigenen Fehlern und Versäumnissen bekennt. Peter Fitz, anfangs mal gut zuredend, mal barsch aufbrausend, leistet jetzt eine ehrliche, das heißt auch nüchterne Trauerarbeit, die sich in ablenkenden Alltagskram, Papiere sortieren, Kerzen anzünden, eine Stulle verzehren, flüchten darf. Dass der Regisseur dem Darsteller erspart hat, sich zum höheren Ruhme des Sohnes auf die von Gerhart Hauptmann bemühte Beethoven-Totenmaske zu berufen, ist löblich. Unangemessen komisch indes mutet an, dass Fitz an der Bahre des Sohnes seinen Hinweis „Ich war die Hülse, dort liegt der Kern“ mit einem Faustschlag unterstreicht, der den Leichnam ins Rutschen bringt – zum Glück greift Kollege Lachmann bremsend zu.

Götz Schubert nimmt in dieser Rolle eines eingestanden mittelmäßigen Künstlers eben dadurch für sich ein, dass er auf jegliches komödiantische Auftrumpfen verzichtet, und genau dies gilt auch für Ulrike Krumbiegel als Michaline Kramer, ein spätes Mädchen. Der fatale dritte Akt, in dem Arnold mit seinen Widersachern aneinander gerät, zwingt Langhoffs Personenführung zu einer Zerreißprobe: grob das Rencontre mit den vier trunkenen Herren in der Kneipe; zart das Rendezvous, bei dem Schubert/Krumbiegel als frustriertes Paar ihr Wiedersehen feiern. Wie die beiden hier Abstand in der Nähe wahren und zugleich Nähe im Abstand suchen – sehenswert! Hauptmanns betagtes Künstlerdrama abermals zur Schau zu stellen, wäre entbehrlich gewesen, diese Szene einer Liebe, die sich ausspricht im Verschweigen, aber reißt den Abend fast heraus.

Wieder am 4., 10., 14., 15. und 22. März .

Günther Grack

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