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Kultur: Die Türkei streitet über Auftritt bei der Buchmesse

Eine bessere Bühne kann sich die Literaturszene eines Landes eigentlich nicht wünschen: Die Türkei wird in diesem Jahr Gastland der Frankfurter Buchmesse sein – das größte türkische Kulturereignis seit der Verleihung des Nobelpreises an Orhan Pamuk. Und doch gibt es Krach am Bosporus, denn der Machtkampf zwischen Laizisten und gemäßigten Islamisten in der Türkei hat die Kulturszene erreicht.

Eine bessere Bühne kann sich die Literaturszene eines Landes eigentlich nicht wünschen: Die Türkei wird in diesem Jahr Gastland der Frankfurter Buchmesse sein – das größte türkische Kulturereignis seit der Verleihung des Nobelpreises an Orhan Pamuk. Und doch gibt es Krach am Bosporus, denn der Machtkampf zwischen Laizisten und gemäßigten Islamisten in der Türkei hat die Kulturszene erreicht. Aus Protest gegen die ihrer Meinung nach islamisch ausgerichtete Politik der Regierung in Ankara will eine Gruppe türkischer Autoren die Buchmesse boykottieren. Die Regierung wolle die Türkei als Land des „gemäßigten Islam“ präsentieren, sagen die Kritiker.

Füsun Akatli, eine respektierte Literaturkritikerin, zählt zu den Wortführerinnen des Boykotts, den sie mit ihrer Ablehnung der Regierungspartei AKP von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan begründet. „Diese Regierung will die Türkei von ihrer 80-jährigen Linie des Fortschritts und der Modernität abbringen, sie will mit einem sogenannten gemäßigten Islam den laizistischen Charakter der türkischen Republik verändern“, sagt Akatli. In Frankfurt werden etwa 200 türkische Autoren mit Pamuk an der Spitze erwartet. Doch bei der Messe werde man sehen, dass die Türkei als „Modell des gemäßigten Islam“ präsentiert werde, prophezeit Akatli. Als besonders verwerflich wertet sie den angeblichen Versuch der Regierung, jene türkischen Schriftsteller, die anders als sie selbst etwa für die Freigabe des Kopftuchverbotes eintreten, „als ebenbürtig“ mit den kemalistischen Autoren zu präsentieren. Wie Akatli haben inzwischen an die zwanzig Schrifsteller eine Erklärung unterzeichnet, in der sie ihren Boykott ankündigen – darunter die Autorin Leyla Erbil, der Dichter Ahmet Oktay und der Romancier Tahsin Yücel, allesamt Klassiker der modernen türkischen Literatur und alle fast so alt wie die Republik.

Die türkischen Schriftstellerverbände und das Organisationskomitee weisen hingegen darauf hin, dass es sich bei der Frankfurter Buchmesse nicht um eine Veranstaltung der türkischen Regierung handele. Auch viele türkische Schriftsteller kritisieren den Boykott als widersinnig, etwa Ahmet Ümit, dessen sozialkritische Polit-Krimis zu den meistverkauften Büchern des Landes zählen. Die Buchmesse sei eine große Chance für die türkische Literatur. Das Kulturministerium allerdings bestärkt die Kritiker in ihrem Argwohn. In Ankara wurde entschieden, das für die Eröffnungsfeier in Frankfurt vorgesehene Oratorium des regierungskritischen Pianisten und Komponisten Fazil Say über Nazim Hikmet, den wohl bekanntesten türkischen Dichter der Moderne, aus dem Programm zu streichen. Fazil Say, der mit der AKP-Regierung schon länger über Kreuz liegt, reagierte wütend auf diese Einmischung. Susanne Güsten

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