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Kultur: Die Überlebensbörse mit Büfett

Schwere, leinengebundene Bücher, eine Vitrine mit allerlei Zierwerk, Leuchter und Kristallkaraffen, Antiquitäten, Skulpturen, Büsten und Gemälde, dazu - dicht gedrängt - Fotos aus den 20er und 30er Jahren, die das elegante Treiben in den Luxus-Hotels aller Welt festhalten: Hat man den engen Seiteneinlass zu den beiden Räumen des Schwulen Museums passiert, umfängt einen die opulente Atmosphäre eines Wohnraums, der uneingeschränkt den Geist wilhelminischer Bürgerlichkeit zu atmen scheint. Erst auf den zweiten Blick erschließt sich die spezielle Melange des Interieurs, das für die Ausstellung über den "Literarischen Salon bei Richard Schultz" aus dessen Nachlass arrangiert wurde.

Schwere, leinengebundene Bücher, eine Vitrine mit allerlei Zierwerk, Leuchter und Kristallkaraffen, Antiquitäten, Skulpturen, Büsten und Gemälde, dazu - dicht gedrängt - Fotos aus den 20er und 30er Jahren, die das elegante Treiben in den Luxus-Hotels aller Welt festhalten: Hat man den engen Seiteneinlass zu den beiden Räumen des Schwulen Museums passiert, umfängt einen die opulente Atmosphäre eines Wohnraums, der uneingeschränkt den Geist wilhelminischer Bürgerlichkeit zu atmen scheint. Erst auf den zweiten Blick erschließt sich die spezielle Melange des Interieurs, das für die Ausstellung über den "Literarischen Salon bei Richard Schultz" aus dessen Nachlass arrangiert wurde. Neben Ikonen der "besseren Gesellschaft" finden sich Fotoserien, die von jugendbewegten Fahrten erzählen oder den nackten Körper im Stil der Lebensreform-Bewegung feiern.

Der "Salon", den Wahl-Berliner Richard Schultz in seiner Wohnung, Berlin-Charlottenburg, Fredericiastr. 5A, von 1925 bis 1975 unterhielt, erfuhr seine Prägung durch die beiden großen Grenzüberschreitungen im Leben des Chef-Kellners. Der Sohn eines Schusters aus dem mecklenburgischen Städtchen Rhena schaffte den Sprung in die "bessere Gesellschaft": Er durchlief ab 1906 eine Ausbildung in den Kur- und Luxushotels von Bad Pyrmont, London, Paris, Luxor und Karthum und arbeitete sich ab 1914 im Berliner Grandhotel Bristol zum Chef de Rang hinauf. Zugleich überschritt er die Enge und Verklemmtheit eben dieser wilhelminischen Großbürgerlichkeit, tauchte ein in den Kreis um den Herausgeber der ersten Homosexuellenzeitschrift Adolf Brand und lernte, seine Homosexualität selbstbewusst zu leben.

Die Jours fixes in seinem Salon bildeten eine Konstante im Netzwerk der Berliner Homosexuellenbewegung, die vom Aufbruch in der Weimarer Republik über die Schwulenverfolgung in der Nazi-Zeit bis in die vermuffte Adenauer-Ära bestehen wird. Der Salon, ein festes Ritual mit Aperitif, kaltem Büfett und intellektuellem Gespräch bei Wein und Likör, war ein Ort homosexueller Selbstvergewisserung im Medium der Kultur. Während der Verfolgung durch die Nazis wird dieser Treffpunkt zu einer überlebenswichtigen Informationsbörse und zu einem Schutzraum für Protagonisten der Bewegung wie Hans Henninger, Arnold Bauer oder Otto Warlich. Auch Flüchtlinge, Ausgebombte oder Juden fanden in der Fredericiastraße Unterschlupf. Möglich war das, weil Schultz sich nie als politischer Homosexueller exponiert hatte und weil der Kreis der Vertrauten sich an Sicherheitsregeln hielt, die man nach den ersten Verhaftungen im Freundeskreis verabredet hatte. Schultz reinigte seine Korrespondenz, Fotoalben und die Kunstsammlung von verfänglichen homosexuellen Darstellungen. Seine Lieblingsgemälde "Mann mit Peitsche" und "Angler in arkadischer Landschaft" ersetzte er durch einen "Weiblichen Akt". Adressenlisten wurden vernichtet, die Korrespondenz führte man in verschlüsselter Sprache. Scheinehen wurden geschlossen, befreundete Ehepaare zur Tarnung der Zusammenkünfte eingeladen. Diese Vorkehrungen haben nicht nur in den Nachlass Lücken gerissen, die in der Ausstellung zu bemerken sind. Auch jene Fotos, die noch aus der Nazi-Zeit vorhanden sind, hat Schultz "gesichert": Die Bilder, die das Interieur des Salons zeigen, sind menschenleer.

Gerwin Klinger

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