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Kultur: Die unfaßbare Gleichzeitigkeit

"Die Bäume auf dem Gipfel des Ettersberges troffen vor Nässe und ragten reglos in das Schweigen hinein, das den Berg umhüllte und absonderte von der Landschaft ringsum.Laub, vom Winter ausgelaugt und verbraucht, moderte naßglänzend am Boden.

"Die Bäume auf dem Gipfel des Ettersberges troffen vor Nässe und ragten reglos in das Schweigen hinein, das den Berg umhüllte und absonderte von der Landschaft ringsum.Laub, vom Winter ausgelaugt und verbraucht, moderte naßglänzend am Boden.Hier kam der Frühling nur zögernd hinauf." Die Menschen, die am Freitag schweigend und ernst durch den Wald bei Weimar wandern, die Besucher und Journalisten, fühlen sich erfaßt von jener Stimmung, die Bruno Apitz am Anfang seines KZ-Romans "Nackt unter Wölfen" beschreibt.Der Lehm, der schwarze, schwere Matsch, über den die Häftlinge klagten, klebt in dicken Brocken am Schuhwerk.Der Wald umher, kaum Buchen zwar, wohl aber Eichen und Birken, versinkt im Nebel.

1300 Meter durch den Wald - eine knappe halbe Stunde über Berg und Tal verbindet beide Extreme und markiert die Fallhöhe, die der Begriff "Weimar" umschließt.Auf der einen Seite die klassizistische Ettersburg, Sommersitz der Herzogin Anna Amalia, die hier einen Musenhof versammelte.Fünf Jahre lang, zwischen 1776 und 1780, wurde dort musiziert, gelesen, diskutiert.Goethe spielte hier den Orest in seiner "Iphigenie", und Herder trug seine Idee einer "humanitären Gesellschaft" vor.Auf der anderen Seite, gut verborgen im Wald, entstand ab 1937 das Konzentrationslager Buchenwald.Jorge Semprun, Imre Kertész, Elie Wiesel und Bruno Apitz haben in ihren Erinnerungen von den unmenschlichen Verbrechen gezeugt, die sie hier am eigenen Leib erfahren haben.1300 Meter liegen zwischen den Orten - und eine Sprung durch die Zeit.

Die Eröffnung der "Zeitschneise" zwischen Buchenwald und der Ettersburg geht auf die Initiative des Berliner Architekten Walther Grunwald zurück.Seit 1990 ist er mit der Renovierung und Sicherung von Anna Amaliens ruinösem Musenhof befaßt.Auf einer seiner Wanderungen, an einem sonnigen Apriltag 1996, folgte er anhand einer SS-Karte den alten Jagdschneisen durch den Ettersberger Forst und stand plötzlich vor dem äußeren Zaun der KZ-Gedenkstätte.Die SS-Schergen, die das Lager anlegen ließen, hatten sich in Umfassungsmauern und Lagerstraßen am kurfürstlichen Schneisensystem orientiert.

"Die Gleichzeitigkeit von dem, was in diesem Moment in meinem Kopf war, erfahrbar machen": Das war seither Ziel Grunwalds, der sich mit der Unterstützung von "Weimar 1999.Kulturstadt Europas" dafür einsetzte, die überwucherte Schneise wieder freizulegen.Keine Kunst solle dort stehen, hat sich der Architekt gewünscht, keine erläuternden Tafeln oder Gedenksteine.Nur ein "Weg der Stille" sollte es sein, "eine Schneise durch den Wald - durch die Zeit." Grunwald möchte sie nicht allein räumlich, als zufällige geographische Nähe, verstanden wissen, sondern als Zeitschneise, als chronologische Folge des einen auf das andere.

Denn es waren die deutschen Bildungsbürger, Goethe-geschult, die nur allzu bereitwillig den Pakt mit dem Teufel unterschrieben, betont Volkhart Knigge, Direktor der Gedenkstätte Buchenwald, in seiner Ansprache.Und auch die NS-Ideologen beriefen sich auf die klassizistischen Ideale von Schönheit und Reinheit, und tauften in "zynischer Sensibilität" das Konzentrationslager aus Rücksicht auf Goethe nicht "Ettersberg", sondern "Buchenwald", wie Thüringens Ministerpräsident Bernhard Vogel in seinem Grußwort erinnert.Jorge Semprun erzählt in seinem Roman, daß in der Häftlingsbücherei zu Buchenwald neben Herder, Schiller und Hegel auch Goethes "Iphigenie" stand, und Grunwald malt sich mit Schaudern aus, wer sie wohl ausgeliehen haben mag: Die Häftlinge oder die SS-Schergen.Beides ist möglich.

Semprun selbst, der für seine Buchenwald-Erinnerungen "Die große Reise" den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhielt, ließ sich zur Eröffnung der "Zeitschneise" entschuldigen.Termine verhinderten, daß er die große Reise von Frankreich nach Weimar noch einmal antrat.In einem Grußtext, den Bernd Kauffmann, Generalbeauftragter der Kulturstadt GmbH verlas, malt Semprun einen Spaziergang Goethes bis nach Buchenwald aus.Dort stand und steht bis heute jene Buche, in die er damals gemeinsam mit Schiller seine Initialen ritzte: Beweis für die "unheimliche Nähe" zwischen moderner Barbarei und klassischer Kultur, die dank der Zeitschneise nun "durch nichts und niemanden mehr zu verbergen ist".Erst recht nicht, wenn dereinst Sempruns Idee Wirklichkeit wird, im Schloß Ettersburg ein Europäisches Kolleg einzurichten, das die Zusammenhänge zwischen Demokratie und Diktatur untersucht.

Es heißt, die Bewohner von Weimar seien von jeher gern im Ettersberger Wald spazieren gegangen."Hier sind wir als Kinder Schlitten gefahren" erinnern sich zwei Besucher bei der Eröffnung.Schon Goethe hatte gern auf dem Ettersberg gerastet, dort, wo man "die weite Aussicht über das halbe Thüringen hat".Dort entstand ab 1937 das Konzentrationslager.Diese Nähe ist es, die untrennbare Zusammengehörigkeit zwischen höchster Kultur und tiefster Barbarei, die den Fall "Buchenwald" für Weimar - und für das deutsche Selbstverständnis - so schwierig macht."Zwei Seiten einer Medaille" nannt Norbert Miller die Gedenkstätten Goethehaus und Buchenwald, und Kauffmann zitiert bei der Eröffnung Rilkes Duineser Elegien: "Das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang".

Die gefährliche Nähe von Schönheit und Schuld, das Unikum einer menschlichen Hölle in einer himmlischen Landschaft verdeutlichen auch zwei Aussprüche von "Besuchern" des Ettersberges: "Es war durchaus sonnig und anmutig umher" schwärmte Goethe bei einem seiner Besuche am Musenhof.Und Imre Kertész faßte die Monstrosität eines Konzentrationslagers inmitten einer von Kultur geprägten Landschaft in seinem ersten Eindruck von Buchenwald zusammen: "Ich sah in der Gegend viel natürliches Grün, hübsche Gebäude, weiter entfernt, zwischen Bäumen versteckte Villen, Gärten, Parks, und die ganze Landschaft, ihre Ausmaße, ihre Proportionen, erschienen mir gemäßigt, ja, ich darf sagen lieblich - zumindest für das an Auschwitz gewöhnte Auge."

CHRISTINA TILMANN

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