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Kultur: Die ungleichen Schwestern

Frühling in Sibirien, Winter in Moskau: zum Abschluss der Deutsch-Russischen Kulturbegegnungen

Das jüngste Männerfreundschaftstreffen von Gerhard Schröder und Wladimir Putin in der vergangenen Woche wurde einmal mehr mit der Mitteilung garniert, beide Seiten strebten in der Frage der Beutekunst pragmatische Lösungen an. Die Öffentlichkeit ist derlei Nicht-Nachrichten müde. Zu wenig hat sich in den vergangenen Jahren bewegt; und wo es hoffnungsvolle Ansätze zu geben schien, wurden sie russischerseits alsbald unter selbstgerechten Einwänden begraben.

Kaum eine Nachricht wert ist bisher hingegen der zweite Teil der Deutsch-Russischen Kulturbegegnungen 2003/04. Dabei verdient gerade das für Russland konzipierte Programm Beachtung. Die Klammer beider Programmjahre bildete die große Ausstellung „Berlin–Moskau 1950–2000“, die im vergangenen Jahr im Berliner Martin-Gropius-Bau und in diesem Frühjahr im Moskauer Historischen Museum gezeigt worden war. Mitte Januar nun wird das Anfang 2003 von Putin und Johannes Rau im Berliner Konzerthaus eröffnete Doppeljahr in St.Petersburg in Anwesenheit des russischen Präsidenten und seines deutschen Amtskollegen Horst Köhler feierlich abgeschlossen. Zuvor schon gibt ein Feuerwerk von Ereignissen kurz vor Jahresschluss Gelegenheit zu einer Bilanz.

Hintereinander waren in Moskau die Berliner Schaubühne zu Gast, dann Pina Bausch mit ihrem Tanztheater, schließlich die Bayerische Staatsoper mit dem „Fliegenden Holländer“, einer Koproduktion mit dem Bolschoi-Theater. Dazu zeigen sich die Deutsche Bank mit ihrer Sammlung zeitgenössischer Kunst im Puschkin-Museum und die DZ-Bank mit ihrer großartigen Fotografie-Kollektion im Moskauer Haus der Fotografie. Die Tretjakow-Galerie, das riesige, der russischen Kunst gewidmete Moskauer Haus, beleuchtet das „Russische München“, im Mittelpunkt die gewaltige „Komposition VII“ (1913) von Wassili Kandinsky, die der Künstler bei seiner Ausreise als „feindlicher Ausländer“ 1914 mitnahm und später in Sowjetrussland ließ.

Für den deutschen Besucher unbekannter sind allerdings die Bilder der zahlreichen russischen Künstler des 19. Jahrhunderts, die in München studierten oder aktiv waren wie Wladimir Serow, seit 1898 ordentliches Mitglied der Münchner „Secession“. Oder die zumindest an der Isar ausstellten, wie 1895 der hoch geschätzte Ilja Repin – dessen Berliner Retrospektive zu den hiesigen Höhepunkten des Deutsch-Russischen Kulturjahres zählte.

Unmittelbar am Nerv der pulsierenden Metropole Moskau setzt die Ausstellung „Moskau – Berlin. Architektur 1950 – 2000“ an, die das (staatliche) Schtschussew-Architekturmuseum unweit des Kreml veranstaltet. Erstaunliche Parallelen tun sich auf, nicht allein zwischen Sowjet-Moskau und DDR-Berlin. Auch mit West-Berlin als dem „Schaufenster des Westens“ gibt es, wie die Vergleichsbeispiele dieser Ausstellung zeigen, große Ähnlichkeiten.

Erst das Ende des Staatssozialismus zeitigte in beiden Städten unterschiedliche Entwicklungen, wobei Moskau eine eigene, ausschweifende Form der Postmoderne hervorbrachte und nach den Zwängen des industrialisierten Bauens wohl auch hervorbringen musste. Nicht zuletzt der ausgezeichnete Katalog lässt wünschen, diese in Moskau begonnene Diskussion in Berlin fortzusetzen.

Am Nerv Moskaus setzt auch die parallele Ausstellung des Architekturmuseums an. Der in Berlin lebende und (auch) in Moskau bauende Architekt Sergej Tchoban nimmt die atemberaubenden Wandlungen unter die Lupe, die prägnante Orte der russischen Hauptstadt im Laufe eines Jahrhunderts erfahren haben, von der Zarenzeit über die sowjetischen Abrisse bis hin zu grandiosen Vorhaben, die nach Stalins Tod Makulatur wurden. Oder sie wurden, wie im Falle des legendären Hotel „Moskwa“, unter dem ins Baugeschehen heftig verstrickten Bürgermeisters Luschkow abgerissen.

Ereignisse in Moskau: Darin steckt allerdings ein Problem. Denn wahrgenommen wird im Ausland nur, was in Moskau und allenfalls, was in St.Petersburg stattfindet. Das russische Riesenreich mit seinen 88 Regionen gilt hierzulande in toto als Provinz – und nicht nur hierzulande. Russland selbst als seit jeher zentralistisch und autokratisch regiertes Staatswesen missachtet, was sich außerhalb seiner beiden ungleichen Metropolen, der jetzigen Hauptstadt Moskau und dem traditionell westlich orientierten St.Petersburg ereignet.

So war denn die wichtigste Leitlinie des von der Deutschen Botschaft in Moskau koordinierten Programms, tatsächlich die Regionen in denkbar größter Breite zu erreichen. So gab es – jahreszeitgemäß – einen „Kulturfrühling“ in Sibirien und einen „Kulturherbst“ an der Wolga“. Insgesamt lassen sich um die 1000 Veranstaltungen auflisten. „Noch kein Land“ – so Botschaftssprecher und Programm-Mitorganisator Cord Meier-Klodt – „hat sich hier so breit präsentiert wie wir. Wir haben die Latte sehr hoch gelegt – und es geschafft, sie zu überspringen!“

Solch breite Streuung machte es allerdings erforderlich – zweite Leitlinie –, einen möglichst breiten Kulturbegriff zu verwenden. Dargestellt werden sollte „das moderne Deutschland in allen Facetten“. Die Präsentation des Ausbildungsstandortes Deutschland, die Veranstaltung von lokalen „Sprach-Olympiaden“ – mit Preisvergabe durch den weit herumreisenden Botschafter – sowie Informationsveranstaltungen für Journalisten zielten, so darf man wohl interpretieren, auf ein besseres Deutschland-Marketing.

Dazu passt – als dritte Leitlinie – der starke Akzent auf ein jüngeres Publikum. Es galt, „die Jungen überhaupt erst einmal zu erreichen. Dabei spielte auch der Spaßfaktor eine Rolle“ – etwa bei den gut besuchten Rockkonzerten. Auch die Vorgabe, ein sich modernisierendes Deutschland inmitten der globalisierten Welt zu zeigen, richtet sich eher an eine jüngere Generation. Deren Denken ist nicht mehr vom traumatischen Erlebnis des Krieges und der anschließenden Blockteilung geprägt – allerdings auch nicht mehr von der in Russland so häufig anzutreffenden, bewundernswert tiefen Kenntnis der klassischen deutschen Kultur.

Wie weiter? Die Frage stellt sich noch nach jedem Kulturfestival, das mit deutschen Kräften und Geldern – hier betrugen sie rund eine Million Euro, die ein Mehrfaches an Drittmitteln generierten – ausgerichtet wurde. Über die Kultur hinaus wird das Deutschlandbild der Russen, wie auch das Russlandbild der Deutschen, im kommenden Jahr erneut zu befragen sein. Dann steht der 60. Jahrestag des Kriegsendes an. Gospodin Schröder hat sich bereits zur Teilnahme an den Moskauer Feierlichkeiten am 8. und 9. Mai 2005 angemeldet. Die Politik, wenn sie nicht gänzlich blind ist für die subkutanen Wirkungen der Kultur, wird dann den Ertrag zu schätzen wissen, den die beiden Jahre des deutsch-russischen Austauschprogramms gezeitigt haben.

Tretjakow-Galerie, „Russisches München“, bis 23. Januar, Katalog 700 Rubel; Schtschussew-Museum, „Moskau–Berlin“, bis 20. Januar, Katalog 300 Rubel.

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