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Kultur: "Die Veranstaltung ist zu Ende, es wird zusammengekehrt"

Ein Gespräch mit Janos Frecot und Ulrich Domröse von der Berlinischen Galerie über die Kunst der FotografieDie Berlinische Galerie besitzt eine der größten und bedeutendsten deutschen Fotografiesammlungen: 120 000 Bilder, die in Berlin entstanden oder von Berliner Fotografen anderenorts aufgenommen wurden. In ihnen spiegelt sich die Geschichte des gerade zu Ende gegangenen Jahrhunderts.

Ein Gespräch mit Janos Frecot und Ulrich Domröse von der Berlinischen Galerie über die Kunst der Fotografie

Die Berlinische Galerie besitzt eine der größten und bedeutendsten deutschen Fotografiesammlungen: 120 000 Bilder, die in Berlin entstanden oder von Berliner Fotografen anderenorts aufgenommen wurden. In ihnen spiegelt sich die Geschichte des gerade zu Ende gegangenen Jahrhunderts. Die Sammlung, bis 1998 im Gropius-Bau beheimatet, ist derzeit provisorisch in einer Halle auf dem ehemaligen Borsig-Gelände in Tegel untergebracht. Ob sie - wie geplant - zu Beginn des neuen Jahrhunderts in die ehemalige Schultheiss-Brauerei in Kreuzberg einziehen kann, ist immer noch ungewiss. Mit Janos Frecot, dem Leiter der Fotografischen Sammlung, und Ulrich Domröse, dem Kurator für Fotografie, sprachen Christian Schröder und Moritz Schuller.

Was ist ein gutes Foto?

FRECOT: Marianne Breslauer, die Hannah-Höch-Preisträgerin 1999, hat gesagt, dass eine gute Fotografie eine ist, die im Gedächtnis bleibt. Das ist eine schöne Definition. In einer guten Fotografie verdichtet sich zweierlei: die Fähigkeit eines Künstlers, die fotografischen Gestaltungsmittel optimal einzusetzen, und sein Blick für den richtigen Gegenstand.

DOMRÖSE: Ein Bild hört nicht bei der Ästhetik auf. Bei guter Kunst ist die Form mit Inhalt unterlegt. Ein Kunstwerk ist aus mehreren Schichten zusammengesetzt: Es gibt die Oberfläche des Dargestellten und darunter etwas Tieferes, das mit uns selbst zu tun hat.

Was macht einen guten Fotografen aus?

FRECOT: Der gute, der große Fotograf muss sein Handwerk beherrschen, das ist selbstverständlich. Und er muss eine Nähe zu den Dingen haben, die er fotografiert. Erich Salomon zum Beispiel hatte ein besonderes Gespür für Gespräche. Er merkte genau, wenn eine Dramatik entstand und die Teilnehmer sich zu streiten begannen. Salomon wusste, wann eine dramatische Geste entstehen würde. Das muss ein guter Fotograf vorraussehen, in diesem Moment muss er seine Kamera schon präpariert, die Schärfe und das Licht eingestellt haben.

Er muss den Moment einfangen?

DOMRÖSE: Handwerk ist die Voraussetzung, dazu kommen Instinkt und Idee. Instinkt ist besonders wichtig bei Fotografie, die einen schnellen Zugriff braucht, bei der man aus dem Bauch heraus arbeitet, ohne Nachzudenken agiert. Jeder Künstler braucht aber auch eine Idee, sonst wird sein Kunstwerk hohl.

Wir hatten Sie gebeten, für uns einige "Bilder des Jahrhunderts" auszusuchen. Was waren die Kriterien Ihrer Auswahl?

FRECOT: Wir haben versucht, Zeitpunkte zu setzen. Jedes Bild in unserer Auswahl repräsentiert eine künstlerisch-historische Position und darüber hinaus jeweils einen Sammlungskomplex. Zille und Salomon stehen für einen Nachlass, Moholy-Nagy für eine gewichtige Sammlung von Avantgarde-Fotografie der zwanziger und frühen dreißiger Jahre. Petrussow repräsentiert eine Sammlung von Kriegs- und Nachkriegsfotografie, Arno Fischer die Fotografie in der DDR. Und mit Michael Schmidt kommt ein Vertreter der zeitgenössischen Autorenfotografie hinzu.

Lassen Sie uns über die einzelnen Bilder sprechen, angefangen mit einem Foto von Heinrich Zille aus dem Jahr 1900. Was ist das Besondere an diesem Bild?

FRECOT: "Rosen aus dem Süden" - der Titel stammt von uns - zeigt verschlossene Rummelplatzbuden mit einem heruntergefallenen Transparent. Es sieht aus, als ob die Veranstaltung gerade zu Ende sei, es wird zusammengekehrt. Das Aufregendste an diesem Bild ist seine grafische Gestaltung, diese Kulmination von schrägen Linien, den Diagonalen des Bodens, das entgegengesetzte Plakat und den Streifen der Markisen. Im Vordergrund sehen wir den Schatten des Fotografen, eingesetzt wie eine Signatur. Das hat Zille übrigens oft gemacht: sich selber mit aufs Bild genommen. Zille hat Dinge aufgenommen, an die andere Fotografen nicht gedacht haben: Müllhalden am Rande der Stadt, arme Leute, Kinder auf einem Sandhaufen, Gartenfeste. Ihn hat nicht das Spektakuläre interessiert, sondern die Geschichten am Rande. Das macht ihn zu einem sehr modernen Autor, der ein Bewusstsein davon hat, dass die Vor- und Nachgeschichte eines Ereignisses oft mehr aussagt als der eigentliche Höhepunkt.

Hat Zille fotografiert, um Vorlagen für seine grafischen Bilder zu gewinnen?

FRECOT: Nein. Man glaubt das zwar immer, aber das ist wohl nicht so. Die Fotografie ist bei Zille sehr autonom, im Grunde war er ein Autorenfotograf. Ich vermute, dass er die Fotografie eingesetzt hat, um in Serien bestimmte Lebenswirklichkeiten aufzunehmen. Eine Art privates Tagebuch. Es gibt nur ganz wenige Fotografien, deren Bildinhalte dann in Zeichnungen wieder auftauchen.

Das Foto von Erich Salomon zeigt eine Herrenrunde in einer Gartenlandschaft.

FRECOT: Es ist im August 1930 aufgenommen, da muss es einen sehr heißen Tag in Berlin gegeben haben. Wir sehen das Reichskabinett bei einer Sitzung. Der damalige Kanzler Heinrich Brüning hat offensichtlich entschieden, dass es sich im Garten besser regieren läßt. Da sitzen nun teils auf weiß lackierten Stühlen wie aus einem Wintergarten, teils auf schweren altdeutschen Stühlen lauter ältere Herren, stiernackig und glatzköpfig. Wenn ich mir das Bild anschaue und nicht weiß, wer das ist, dann würde ich denken, das sind irgendwelche Agrarier, die sich auf eine Landwirtschaftsmesse vorbereiten. Das ist das Genie von Erich Salomon, dass er der politischen Sphäre diese Privatheit zu geben vermochte.

DOMRÖSE: Kompositorisch ist der Wald im Hintergrund besonders wichtig. Salomon hat die Aneinanderreihung von Köpfen und Stühlen durch die Bäume dahinter verlängert. Wenn man das Bild unter den Bäumen abschneidet, ist es nur noch die Hälfte wert.

Weiter zu Laszlo Moholy-Nagy: Oskar Schlemmer in Dandy-Pose. Ein Porträt?

FRECOT: Nein. Auch wenn wir nicht wüssten, dass es sich um Oskar Schlemmer handelt, wäre es noch ein sehr gutes Foto. Die Bedeutung des Bildes liegt in der ganz ungewöhnlichen Perspektive. Moholy-Nagy hat Oskar Schlemmer in Askona auf dem Balkon eines Hotels fotografiert. Offenbar hat der Fotograf einen Stock höher gewohnt und gesehen, wie sich sein Künstlerfreund unten sonnt. Durch den steilen Blick bekommt das Bild etwas Unwirkliches. Weil das Gitter des Balkons einen Schatten auf den Kopf von Schlemmer wirft, ist das Bild wie in einem Fischernetz gefasst.

DOMRÖSE: Es geht, wie überhaupt bei der Moderne, um das ganz konkrete Angehen gegen Sehweisen und Kompositionsvorstellungen, gegen eine Ästhetik, die althergebracht war. Man arbeitet mit Perspektiven, mit Druntersichten unter Draufsichten, um klar zu machen: Wir wollen etwas anderes.

Mit Georgi Petrussow kommen wir beim Kriegsende in Berlin an und kehren zur Reportagefotografie zurück.

FRECOT: Petrussow war ein russischer Kriegsreporter, der schon vor dem Krieg zu den namhaften Fotografen der Sowjetunion gehörte. Er hat im Range eines Hauptmanns den gesamten Zweiten Weltkrieg mit seiner Kamera mitgemacht. Er gehörte im April 1945 zu den russischen Truppen, die in Berlin einmarschierten und er muss sehr weit vorne gewesen sein. Es gibt immer wieder Bilder von ihm, wo die Pferde- und Menschenleichen auf den Straßen noch dampfen. Zu diesem Foto muss man eines sagen: Petrussow hat das Negativ retuschiert. Das ist aber nicht als Manipulation zu verstehen. Es ist ihm nie darum gegangen, eine historische Wirklichkeit zu verändern. Er wollte nur eine Wirklichkeit, wie hier die zerstörte Stadt mit den umherwandernden Menschen, durch einen kleinen Theatereffekt zusätzlich dramatisieren: Deshalb hat er hinter den Fassaden mit Retuschefarbe mehr Licht eingefügt. In Moskau nannten sie Petrussow auch den "König der Dunkelkammer".

DOMRÖSE: Petrussow wollte zeigen, was Krieg bedeutet. So riecht Krieg, so schmeckt Krieg, so gefährlich ist es. Das ist seine Stärke, da ist er auch den amerikanischen Kriegsfotografen überlegen.

Bei Arno Fischer sehen wir elf Jahre später noch immer Berlin in Trümmern.

DOMRÖSE: Das Besondere an dem Bild ist für mich das Unbestimmte des Augenblicks. Man weiß nicht, was kommen wird. Mitte der fünfziger Jahre hatte sich Deutschland schon geteilt, es gab zwar noch keine Mauer, aber es gab den Osten und Westen und es gab die Erinnerung an die Zeit davor. Das sehen wir nicht nur an den Ruinen, sondern auch durch die Typen auf dem Bild: Der Mann links trägt immer noch ein Hitlerbärtchen - das ist doch verrückt. Es ist eine Art Zwischenzeit, und die Zuschauer wirken wie Zaungäste der Geschichte. Natürlich überwiegen noch die alten Männer. Kompositorisch ist das perfekt gesehen. Fischer gehörte zu den Fotografen, die aus dem Bauch heraus fotografieren. Da hat man drei Sekunden Zeit, denn im nächsten Augenblick sitzen und blicken die Leute ganz anders. Die Szene zeigt den 1. Mai, die große Kundgebung Unter den Linden, da hätten sich auch ganz andere Fotos machen lassen.

Die jüngsten Bilder stammen von Michael Schmidt. Wie alt ist er?

DOMRÖSE: Michael Schmidt ist 45. Er gehört zu der ersten Generation der Autorenfotografen. Die Arbeit heißt "Waffenruhe" und schildert die Situation West-Berlins Mitte der achtziger Jahre. Es ist eine poetische Auseinandersetzung mit einem gewissen Lebensgefühl der westlichen Stadthälfte. Schmidts Bilder funktionieren nur, wenn sie in größeren Serien gezeigt werden. Autorenfotografie der damaligen Zeit bedeutete immer auch, sich von dem Glauben zu verabschieden, dass ein einzelnes Bild alles sagen kann. "Waffenruhe" ist nicht Frieden, nicht Krieg, es ist etwas dazwischen, und Schmidt hat versucht, für diesen Seelenzustand Bilder zu finden.

Ist mit dem 20. Jahrhundert das Jahrhundert der Fotografie zuende gegangen?

FRECOT: Für mein Empfinden war das 20. Jahrhundert das Jahrhundert des Films, des bewegten Bildes. Das Jahrhundert der Fotografie war das 19. Jahrhundert.

DOMRÖSE: Da möchte ich widersprechen. Das 20. Jahrhundert war tatsächlich ein Jahrhundert der Fotografie, weil sie begann, frei zu wirken. Die Fotografie im 19. Jahrhundert hat immer im Konkurrenzverhältnis zur Malerei gestanden, das änderte sich dramatisch. Im 20. Jahrhundert war die Fotografie das Medium, das die prägendsten Spuren hinterlassen hat und es noch immer tut. Und auch wenn jetzt viele schon einen Abgesang auf die Fotografie singen: Im 21. Jahrhundert werden in der Nachrichtenübermittlung die elektronischen Bilder zwar noch schneller und wichtiger werden, aber die künstlerische Fotografie wird gerade deshalb eine um so größere Rolle spielen.

Was ist ein gutes Foto?

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