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Kultur: Die Verdammten der Macht

Ein Höhepunkt der Saison: Andrea Breth entdeckt Schillers „Don Carlos“ am Wiener Burgtheater neu

Wer die Bühne der Wiener Burg, dieses Escorials des deutschsprachigen Theaters, beherrschen will, muss Macht wollen. Nicht nur ein bisschen, sondern ganz. Kein Drama fordert das zwingender als Schillers „Don Carlos“, in dem die Macht absolut – und absolut deprimierend – triumphiert. Ort und Stück hat jetzt ein infernalisches Trio denkwürdig zur Deckung gebracht: Andrea Breth als Regisseurin, Sven-Eric Bechtolf als König Philipp und Martin Zehetgruber als Bühnenarchitekt.

Die Sensation dieses „Don Carlos“ ist seine rücksichtslose, wütende Gegenwärtigkeit. Philipp, Chef der spanischen Supermacht, ist ein wohlrasierter fitter Manager in den besten Jahren, Meilen and more entfernt von den bärtigen Opas der Aufführungstradition. Das kann keiner so wie Bechtolf: In weißem Bademantel und Schlappen, das Haar angeklatscht kommt er, wie auch sein Stab, direkt aus dem Wellnessbereich der Sommerresidenz Aranjuez. Man gibt sich beim Sekt privat launig, General Alba (Nicholas Ofczarek) lutscht Oliven, Beichtvater Domingo (Cornelius Obonya) hat die Gruppe eben noch mit dem Camcorder gefilmt – da schwört sie der Chef übergangslos auf die Endlösung der Protestantenfrage in Flandern ein: Prost auf die Inquisition!

Man spürt, wie ein Frösteln durch die Wiener geht: dass das nicht gegen, sondern auf die natürlichste Weise mit Schillers Sprache funktioniert. Und es wird noch viel kälter, wenn die sterile Lounge mit weißen Fauteuils und Fernseher, der eine tonlose Meeresbrandung zeigt, verschwindet und der Vorhang aufgeht über Zehetgrubers Escorial: der Machtzentrale des Terrors.

Ein gigantisches Behörden-Labyrinth kreist auf der Drehbühne: ins Unendliche sich spiegelnde Glasbüros von spartanischer Kargheit, Fluchten von Aktenschränken und von Klinikbetten – der oberste Herrenmensch wohnt mit Familie und Entourage auch hier. Neonfahl beleuchtet, ziehen in stummen Sequenzen Einsame der Nacht ihre Bahn: der Chef persönlich, die kleine Infantin auf dem Dreirad, die Putzfrau. Und einmal fährt alptraumhaft ein glosender, brennender Stoffhaufen vorbei: Reste von Inquisitionsopfern.

Diese moderne Hölle könnte eigentlich eine ideale Startrampe abgeben für den Marquis Posa (Denis Petkovic), der eben aus dem unterdrückten Flandern zurückgekehrt ist. Doch die pessimistische Realistin Breth mag der Reinheit der Melodie nicht trauen, mit der Posa dem Herrscher die Menschenrechte vorträgt: Der virile Macho, frische Schmisse im Dreitagebart-Gesicht, der mit umsichtigen, schnellen Blicken jede Situation sichert, hat bereits den Habitus des angestellten Staatsterroristen. Wie im Spiegel kann sich Philipp lächelnd, eine Orange schälend, selber erkennen, wenn Posa seine Sätze mit dem Zeigefinger schneidend skandiert. Der Mächtige riecht den Willen zur Macht, an dem es seinem liebeskranken, weinerlich-narzisstischen Sohn so gebricht.

Dieser Carlos (Philipp Hauß) kommt hier kaum in Betracht, da mag er in seiner Bomberjacke noch so mit seinem Colt wedeln und das strähnige Haar raufen. Derart kann er auch seine Ex-Verlobte, die verwöhnt-zickige Königin (Johanna Wokalek), nur befremden, die den Machismo Posas - wir sind in Spanien - entschieden attraktiver findet.

Die Frauen sind im geschlossenen System selbst noch mal ghettoisiert. Gekaufte Geschöpfe, leben sie katzengleich in fließenden Hausgewändern in Erwartung der Männer tagträumerisch dahin. Zwei jähe Überschreitungen gibt es allerdings. Die Strindbergsche Eifersuchtsszene, die Philipp seiner Frau wegen Carlos macht – der intrigante Domingo hat ihm Zweifel an seiner Vaterschaft eingeredet –, lässt die Regisseurin zwischen Vater, Mutter und Kind auf unerhörte Weise eskalieren. Erst dreht Philipp eine groteske Runde auf dem Dreirad, sperrt das Mädchen drauf, Akt hilfloser Besitzergreifung, in einen Kleiderspind und provoziert eine extreme Attacke Elisabeths: Im Handgemenge erobert sie das Kind zurück, will sich – und dem Mädchen? – mit der Rasierklinge an den Hals, und dem eingreifenden Philipp spritzt Blut an Gesicht und Hemd. So hat die Französin Elisabeth die Herrschaft von Gottesgnaden zumindest symbolisch beschädigt.

Eine Gegenwelt, wenngleich in heimlicher Regie der Macht, verkörpert die Prinzessin Eboli (Christiane von Poelnitz). Erst empfängt sie Carlos zum Rendezvous in einem von Riesendoggen bewachten Treibhaus – die Brüste, die sie ihm aus dem Mieder entgegenschnellen lässt, betrachtet der Verwirrte wie Gleichungen mit mehreren Unbekannten. Dann finden wir die Zurückgewiesene in einem Sadomaso-Kabinett voll halbnackter Jünglinge mit schwarzen Augenbinden, unter ihnen als einziger Sehender der König, eine Zigarette rauchend. Für ihn stöhnt die Prinzessin, im Mieder an die Wand gefesselt, ihren Rachemonolog lustvoll-träumerisch, während zwei Jungs ihre Schenkel mit Öl massieren. Nicht einmal ihre Fantasien gehören der Frau, sondern dem – vermutlich impotenten – Herrscher.

Die Anatomin Andrea Breth wagt sich da tief hinein bei der Vivisektion totalitärer männlicher Macht. An deren Körper findet sie das Politische, nicht dort, wo es gemeinhin bei „Don Carlos“ gesucht wird: beim Disput der Menschenrechte. Zwangsläufig heißt bei ihr das Stück „Don Felipe“, und in Sven-Eric Bechtolf hat sie den idealen Virtuosen der Ambivalenz: weich und hart, Täter und Opfer. Sein Philipp leitet sich direkt von seinem Hofreiter in Schnitzlers „Weitem Land“ her: Beide, der Glühlampenfabrikant wie der Weltherrscher, sind Studien männlicher Selbstdestruktivität.

Ihre Bilder, ihre Erzählenergie bezieht diese Aufführung sichtbar vom großen Kino. Daraus macht Andrea Breth auch kein Hehl, wenn sie in der eben erschienenen Monografie von Klaus Dermutz (Residenz) auf das Mafiaepos „Der Pate“ verweist. Die Herstellung eines symbolisch aufgeladenen Kinorealismus – mit Filmlicht (Alexander Koppelmann) und differenziertester Geräusch- und Musikbeschallung (Bert Wrede) – ist allerdings auch für den Theaterbetrieb eine Kraft-, mithin Machtprobe: sechs Schließtage im letzten Monat!

Das Wirkungsideal zeitigt zudem ein ironisches Paradox: Schillers Sprache, dem Diktat der Kinonatürlichkeit unterworfen, muss ihr Primat – Kino spricht in erster Linie durch Bilder – immer wieder abtreten. Hier drängt sich der Einfluss von Zehetgruber, dem Großmeister symbolischer Tableaus, mächtig vor. Bemerkenswerterweise sind diese wortlosen Momente die großartigsten der Aufführung: Wer wird das Kind auf dem Dreirad zwischen Aktenschränken vergessen?

Andres Müry

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