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Kultur: Die verlorenen Gärten des Paradieses Autoren-Austausch mit arabischen Ländern

Um acht Uhr abends ruft der Muezzin stimmgewaltig, um neun Uhr nochmals. Dazwischen ist die Lesung einer deutschen Schriftstellerin und eines syrischen Lyrikers im Damaszener Freiluftauditorium eingeklemmt.

Um acht Uhr abends ruft der Muezzin stimmgewaltig, um neun Uhr nochmals. Dazwischen ist die Lesung einer deutschen Schriftstellerin und eines syrischen Lyrikers im Damaszener Freiluftauditorium eingeklemmt. Schneller als sonst habe sie deshalb vorgetragen, gibt die Kölnerin Ulla Lenze nachher zu – erster Kardinalfehler des Neuankömmlings in Arabien: Der Einheimische führt in einem solchen Fall die Spitzen von Daumen, Zeige- und Mittelfinger nach oben zusammen und sagt dazu: „Schwej, schwej“ – immer mit der Ruhe.

Das Kennenlernen des fernen Kulturkreises und das literarische Reflektieren darüber – das haben sich sechs Goethe-Institute im arabischen Raum vorgenommen und deutsche Schriftsteller für einen Monat in Städte des Morgenlandes eingeladen: José Oliver nach Kairo, Ulla Lenze nach Damaskus, Silke Scheuermann nach Beirut, Hans Pleschinski nach Amman, Norman Ohler nach Ramallah und Steffen Kopetzky nach Rabat. In dieser Zeit führen die Autoren als Stadtschreiber ein elektronisches Tagebuch über ihren Aufenthalt und veröffentlichen die Eindrücke im Internet.

„Midad“ heißt das Projekt der Goethe-Institute (www.goethe.de/midad), poetisch und beziehungsvoll wurde das arabische Wort für „Tinte“ als Titel gewählt. Im Herbst wird die Aktion umgedreht: Dann kommen Schriftsteller aus den sechs arabischen Ländern nach Deutschland und betätigen sich dort gleichfalls als Stadtschreiber: in München, Stuttgart, Köln, Frankfurt am Main, Berlin und Hamburg. Im Anschluss werden sie Gäste auf der Frankfurter Buchmesse sein, die diesmal die arabische Welt als Schwerpunkt hat.

Nach Köln ist der syrische Dichter Osama Esber eingeladen, von dessen Lyrik es noch keine Übersetzungen gibt. So lauschen viele der rund 100 Zuhörer an jenem Abend im Damaszener Altstadtpalais ausschließlich dem Rhythmus seiner Verse, der Melodie aus harten und weichen Wortklängen. Denn mehrere Besucher gehören der versprengten Gemeinde der Deutschsprachigen in Damaskus an. Einige andere sind Syrer, die im Goethe-Institut Deutsch lernen.

Dieser Abend ist kein Flächenprogramm, eher eine zarte Gegenbewegung auf hohem Niveau im Kampf der Kulturen. Ulla Lenze liest erst aus ihrem Roman „Schwester und Bruder“, dann aus ihren Tagebucheintragungen der letzten Wochen. Ihr Damaskus-Aufenthalt geht zu Ende. Von den hohen Gehsteigen in der Stadt erzählt sie, den verschleierten Frauen, die sie gerne fotografieren würde, und ihren von Unsicherheit geprägten Restaurantbesuchen, den distinguierten Kellnern dort: „Der sich erhärtende Verdacht, aus einem Land der Barbaren, der Unkultiviertheit zu kommen“, schreibt sie am 24. Mai, wenige Tage nach ihrer Ankunft.

„Kein Syrer sieht die Leute aus dem Westen als Barbaren an, das hat uns nicht gefallen“, hört man nachher aus einer Runde deutscher Damen. „Da hat sie Angst und Vorurteile mitgebracht“, meint eine von ihnen mit unüberhörbar bayerischem Akzent. Aber sonst wären Ulla Lenzes Beobachtungen „schon nachvollziehbar gewesen“. In vielem habe man sich wiedergefunden. Und auch ein junger Syrer bestätigt: „So empfinden Fremde, wenn sie das erste Mal hier sind.“ Er kenne das, er habe mehrere ausländische Freunde.

Das mit den Ängsten gibt Ulla Lenze zu: Medienberichte über die Region und Warnungen von Freunden und Bekannten hätten dazu beigetragen, dass sie „mit einem mulmigen Gefühl“ nach Damaskus gekommen sei. Und das Internet-Tagebuch als „bestelltes Kunstwerk“? Dies sei eine neue Erfahrung für sie, „denn ich schreibe zeitgleich zum Hiersein. Und ich muss alle paar Tage was rauslassen.“ Letztlich empfinde sie diese Form der Arbeit aber als inspirierend.

Ulla Lenze schreibt in einer ihrer Tagebuchaufzeichnungen angesichts eines Parks in Damaskus: „Ein Garten des Friedens, fast wie auf den Broschüren der Zeugen Jehovas, die das Paradies darzustellen versuchen. Hoffentlich verirrt sich George W. Bush niemals hierher.“ Das hoffen vermutlich viele Menschen. Auch jene, die nicht im Paradies leben.

Stfan May

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