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Kultur: Die verpasste Chance

Henri Matisse und Berlin: Die Kunst des Franzosen war in der preußischen Metropole nicht immer gern gesehen

„Eingehüllt in einen schwarzen Schafsfellmantel, das wuschelige Fell nach außen, mit rötlichem, kurz-quadratisch geschnittenem Vollbart, mit markanten Zügen, die großen Augen von einer Brille bedeckt – eine Erscheinung, an der man nicht vorbeisehen konnte: Das war Henri Matisse“, erinnerte sich die Bildhauerin Marg Moll. Und Hans Purrmann wusste zu berichten, dass Matisse an Weihnachten 1908 in einem Hotel am Anhalter Bahnhof logierte und mit seinem Fell auf Berliner Straßen für Aufsehen sorgte. Das lokale Kunstleben nahm jedoch weniger an seinem bohemienhaften Habitus Anstoß als vielmehr an seinem ungewöhnlichen Œuvre.

Als Paul Cassirer, der bereits 1907 in seiner Kunsthandlung an der heute vom Kulturforum überbauten Victoriastraße einiges von dem Franzosen gezeigt hatte, ihm im Dezember 1908 Platz für seine zumeist aus Paris angelieferten Gemälde, Grafiken, Zeichnungen und Skulpturen überließ, spalteten sich Künstlerschaft, Kunstkritik und Publikum endgültig in leidenschaftliche Gegner und glühende Verehrer.

Cassirer selbst war völlig konsterniert: „Ich habe in meiner ganzen Laufbahn ein derartiges Managertum noch nicht erlebt. Nicht Kathreiners Malzkaffee oder Odol sind mit einer derartig geschmacklosen und rücksichtslosen Reklame lanciert worden wie Matisse“, klagte er über Purrmann. In der Tat hatte der aus der Pfalz stammende Maler sich in Paris zu einem unvergleichlich selbstlosen Impresario entwickelt, der sein eigenes Schaffen unter den Scheffel stellte, stattdessen Matisse in Deutschland propagierte und selbst von Freunden die Diagnose gestellt bekam: „Rheumatissemus“.

Die Ausstellung geriet zum Skandal, und Dutzende von Zeitungs- und Zeitschriftenartikel dokumentieren, dass die Kunst des Franzosen wie eine Bombe einschlug. Kirchner und Pechstein eilten eigens aus Dresden herbei und grüßten Heckel auf einer Postkarte ebenso lapidar wie entzückt: „Matisse z. T. sehr wüst“. Und Beckmann sah sich die Ausstellung gleich zweimal an. Trotzdem entstand der Mythos, sie sei vieler Proteste wegen nach zwei, drei Tagen geschlossen worden. Purrmann und Matisse waren zwar nach der Vernissage wieder abgereist, doch es hat letztlich niemand gewagt, die vom Künstler selbst vorgenommene Hängung anzutasten. Einen einflussreichen Verteidiger fand Matisse dabei in Max Liebermann. Dem Maler und Präsidenten der Secession war die Kunst des Kollegen zwar nicht ganz geheuer. Aber er wollte Toleranz gegenüber Neuem walten sehen. Wenig später schrieb er Matisse, er denke zwar anders über Kunst, doch habe er Respekt vor seiner Arbeit: „Das Wesentliche aber ist, dass man Ihre Werke nicht mit Gleichgültigkeit betrachten kann .“

Die Nachricht von den Querelen um die Retrospektive war schnell nach Frankreich gedrungen, und als Matisse nach Paris zurückkehrte, erwartete ihn ein Lorbeerkranz, auf dessen Schleife stand: „Dem Sieger auf dem Schlachtfeld zu Berlin.“ Tatsächlich empfand der Künstler seinen Aufenthalt an Spree und Havel als anstrengend, denn er hatte die schlimmsten Angriffe in der Pariser Presse bereits hinter sich und konnte auf eine wachsende Klientel zählen. Bewusst blieb ihm hingegen auch, dass der Anteil nicht nur hauptstädtischer, sondern auch Münchner, rheinischer und westfälischer Initiativen zur Förderung seiner Karriere beachtlich war und manch deftiges Wort wett machte. Im ganzen Reich war zwar kaum eine Matisse- Sammlung anzutreffen, die den Kollektionen russischer oder amerikanischer Liebhaber seiner Kunst an Größe und Bedeutung gleichgekommen wäre – mit Ausnahme des beachtlichen Ensembles, das Oskar und Marg Moll (Berlin/Breslau) seit 1907 zusammengetragen hatten. Doch die Anzahl der Sammler, die in Berlin, Breslau, Dresden, Chemnitz, Hamburg, Hagen, Frankfurt am Main oder München einiges von ihm besaßen, darunter hochkarätige Stücke, konnte sich sehen lassen.

Vieles stammte zwar aus Pariser oder Münchner Galerien, bis 1933 blieb Berlin aber nicht nur einer der bedeutendsten europäischen Kunsthandelsplätze, sondern auch für Matisse ein Dreh- und Angelpunkt. Zwischen 1913 und 1933 organisierten die Galeristen Wolfgang Gurlitt an der Potsdamer Straße und Alfred Flechtheim am Lützowufer mehrere Einzel- und Gruppenausstellungen mit Werken von Matisse. 1930 konnten Siegfried Rosengart und Justin Thannhauser in der Bellevuestraße mit 265 Werken eine der größten Retrospektiven des Künstlers realisieren, die jemals stattgefunden hat.

Die hauptstädtischen Museen gingen dabei fast leer aus. Es gelang zwar erst Heinz Berggruen in unseren Tagen, Werke von Matisse in der Stadt zu verankern. Doch immerhin war in den Zwanzigerjahren die neue Abteilung der Nationalgalerie, untergebracht im Kronprinzenpalais Unter den Linden, im Stande, Werke des Franzosen als Leihgaben zu zeigen. Direktor Ludwig Justi hätte zwar gerne ein solches erworben, doch gegen die hohen und jährlich steigenden Preise, die der Künstler erzielte, kam er mit seinem Etat nicht an. Stattdessen gelang es ihm, Privatsammler dafür zu gewinnen, ihm Werke wenigstens vorübergehend zu überlassen.

Doch auch damit war es 1933 vorbei. Während schon viele Kunstwerke, auch solche von Matisse, durch das NS-Regime aus deutschen Museen entfernt und unter anderem zu einer Sammelstelle für „entartete“ Kunst in Schloss Niederschönhausen gebracht wurden, um später über die Schweiz gegen Devisen veräußert zu werden, hatten die Berliner vor dem Krieg zuletzt 1937 Gelegenheit, Werken des Künstlers zu begegnen. Die Ausstellung der Preußischen Akademie der Künste am Pariser Platz kam auf Anregung des französischen Botschafters zustande; zweiter Schirmherr war kein anderer als der preußische Ministerpräsident Hermann Göring.

Nach 1945 oblag es den Kunstkommissionen der französischen Besatzungsmacht, nicht nur den verfemten Modernen wieder zu zeigen, der bereits 1930 als Klassiker gegolten hatte, sondern auch – von 1946 an – auf den jung gebliebenen 75-Jährigen und sein während der Kriegsjahre entwickeltes, innovatives Spätwerk aufmerksam zu machen, wie es jetzt in der Sammlung Berggruen gewürdigt wird.

Henri Matisse: Scherenschnitte. Sammlung Berggruen (Schlossstr. 1) bis 25. Mai. Katalog bei Prestel, 49,95 €.

Peter Kropmanns

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