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Kultur: Die verschmähte Baukunst des Rationalismus

Giorgio Grassis Entwürfe für das Neue Museum - Eine Ausstellung in der Berliner Hochschule der KünsteVON NIKOLAUS BERNAURationalismus ist gerade im Berlin der "Kritischen Rekonstruktion" ein Schlagwort geworden, um selbst banalste Fassaden- und Grundrißraster zu verteidigen.Doch welche Sprengkraft die Forderung nach strengen Regeln für Proportionen, Material-, Raum- und Erschließungstypologien bis heute haben kann, mußte gerade der Italiener Giorgio Grassi oft genug erleben.

Giorgio Grassis Entwürfe für das Neue Museum - Eine Ausstellung in der Berliner Hochschule der KünsteVON NIKOLAUS BERNAURationalismus ist gerade im Berlin der "Kritischen Rekonstruktion" ein Schlagwort geworden, um selbst banalste Fassaden- und Grundrißraster zu verteidigen.Doch welche Sprengkraft die Forderung nach strengen Regeln für Proportionen, Material-, Raum- und Erschließungstypologien bis heute haben kann, mußte gerade der Italiener Giorgio Grassi oft genug erleben.Immer wieder gelingt es ihm, nicht nur die Fachkollegen, sondern auch das breitere Publikum in engagierte Bewunderer oder radikale Gegner zu spalten.In Berlin gewann er zwar 1994 den Wettbewerb für die Museuminsel, seine Erweiterung für das Neue Museum am Kupfergraben wurde jedoch als "Gefängismauer" geschmäht.Nicht weniger scharf war die Ablehnung seiner Pläne für ABB am Potsdamer Platz: "Legosteine aus Backstein".Die Ausführung der Projekte scheiterte letztlich: an den mehr Glitzerglamour oder auch nur schlicht Nutzfläche suchenden Bauherren, an der stuckverliebten "Gesellschaft Historisches Berlin", an der ängstlichen Politik.Und vielleicht auch ein wenig an der akademischen Kühle seines Ansatzes, die sich mit dem Chaos des Alltags scheinbar nur schwer vereinbart. Es ist also nicht zufällig, daß gerade die Hochschule der Künste in einer gelungenen, von der Züricher Eidgenössisch-Technischen Hochschule übernommenen Ausstellung drei deutsche Museumsentwürfe Grassis zeigt.Gemeinsam ist ihnen der intellektuelle und ästhetische Anspruch.In allen drei Arbeiten geht es um den Umgang mit Geschichte, mit bestehender Bausubstanz, um das Neben- und Miteinander von Neu und Alt.Charakteristisch sind die Zeichungen: Mit nur vier Mitarbeitern erstellt, werden selbst Schraffuren handwerklich ausgezogen und nicht etwa mit Folie aufgeklebt.Der Computer ist Tabu.Kaum einmal eine Perspektive, die den Betrachter täuscht.Der Entwurf für das Wallraf-Richartz-Museum von 1996 in Köln sollte die Ruine der St.Albanskirche mit ihrem Kriegs-Mahnmal wieder in den altstädtischen Kontext einbinden, ohne die Zerstörung zu kaschieren.Hart setzen sich die gewaltig aufsteigenden, fast völlig geschlossenen und nur durch schmale Treppenschächte geschlossene Galerieflügel von der Ruine ab.Das Felix-Nußbaum-Haus in Osnabrück, das nun nach Plänen von Daniel Libeskind gebaut wird, sollte nach Grassis Vorstellungen von 1995 das alte kulturhistorische Museum der Stadt regelrecht umdrehen, ihm mit einem wieder nach außen weitgehend geschlossenen, zu den Innenhöfen dafür weit aufgerissenen Anbau eine neue Ausrichtung geben. Ähnlich radikal wolte Grassi auch in die Struktur der Berliner Museumsinsel eingreifen.Vor allem das Pergamonmuseum hätte darunter zu leiden gehabt.Doch seine Ideen für den Umgang mit dem Neuen Museum sind bis heute bestechend.Zu sehen sind Grassis Pläne für den Wettbewerb von 1994 sowie dessen Überarbeitung bis 1997. Sie sind die Sensation der Ausstellung, denn nicht einmal die Berliner Denkmalpflege, die 1994 wesentlich für die Preisvergabe an Grassi votierte, kannte bisher diese Überarbeitungen.Der Stiftung Preußischer Kulturbesitz gelang es, Grassi zum Stillschweigen zu verpflichten und so eine öffentliche Diskussion über seine Pläne und letztlich über das Ausmanövrieren des Architekten zu verhindern.Die Berliner Museumsdirektoren hatten sich von vorneherein gegen Grassis Entwurf verschworen.Vor allem Grassis unprätentiöse Erschließung durch einen schmalen Ziegelneubau am Kupfergraben und das mangelnde Platzangebot wurden kritisiert.Seine Konzeption für die Ergänzung des Neuen Museums bot nicht genug Glamour - gerade das aber faszinierte die Denkmalpfleger.Denn Grassis Umgang mit der Kriegsruine ist geradezu eine Etüde zur aktuellen Denkmalpflegetheorie: Die Spuren der Zerstörung werden ebenso gezeigt wie die der Baugeschichte; neue Bauteile werden zwar in den Proportionen, der Typologie und im Grundriß, selbst in den Materialien aus dem Altbau abgeleitet, ohne aber dessen Details zu kopieren.Ein Balanceakt, den etwa Josef Paul Kleihues beim Liebermann-Haus unter dem Beschuß der Berliner "Stuckfraktion" zugunsten des Historismus verlor. Grassis Pläne für das Neue Museum hingegen zeigen, daß er eine neue Epoche im Umgang mit historischer Bausubstanz in Berlin einleiten könnte.Die Überarbeitung der Neubauteile des Projektes allerdings macht jetzt den Widerstand der Direktoren gegen Grassi nachvollziehbar: Denn die Qualität des Wettbewerbsentwurfes - seine Radikalität - wurde unter dem Druck der Raum- und Funktionsforderungen nivelliert, ohne tiefgreifende Verbesserungen für den Verkehrsfluß oder das Gesamtkonszept der Sammlungen zu gewinnen.Die - hervorragenden - Zeichnungen offenbaren, wie sehr Grassi sich vergewaltigt fühlte. Ein Schicksal, das dem jetzt mit dem Auftrag betrauten Engländer David Chipperfield erspart bleiben sollte - doch erneut werden die Überarbeitungen der Pläne für das Neue Museum verborgen gehalten.Vielleicht bietet die HdK ja bald eine weitere Sensation, dann nicht mehr historischer, sondern aktueller Art: Die Pläne zum Wiederaufbau des Neuen Museums, letzter Stand. Hochschule der Künste, Hardenbergstraße 33, bis 6.Mai, täglich 9 - 20 Uhr.- Die Pläne zur Museumsinsel sind publiziert in: Giorgio Grassi, I progretti, le opere e gli scritti, Electa, Mailand 1996, 128 DM.

NIKOLAUS BERNAU

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