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Die Wagners

© Jörg Schulze

Die Wagners im Interview: „Wenn sie es kann, soll sie es werden“

Wolfgang & Katharina Wagner über gelassene Väter, ideologiekritische Töchter – und die Zukunft der Bayreuther Festspiele.

Herr Wagner, Ihre Tochter gibt dieses Jahr ihr Bayreuth-Debüt. Wer ist aufgeregter: der Vater oder der Festspielleiter?

WOLFGANG WAGNER: Keiner von beiden. Warum sollte ich aufgeregt sein? Das ist eine ganz normale, organische Entwicklung.

Sind Sie wirklich so cool? Vor jeder Premiere gibt es ein Zittern. Warum sollte das bei Ihnen anders sein?

KATHARINA WAGNER: Bei ihm ist es wirklich nicht so. Egal, wer es macht, er bleibt immer ruhig. Zum Beispiel im vergangenen Jahr. Mir war es bei der „Rheingold“-Premiere, wie bei jeder Premiere, ungemein übel vor Aufregung. Aber mein Vater steht seelenruhig an der Seitenbühne und sagt: Jetzt warten wir mal ab, was passiert.

Und vor wem haben Sie als Debütantin mehr Gamaschen: vor dem Vater oder dem Festspielleiter?

KW: Eher vor dem Festspielleiter, denn in diesem Fall ist er nun einmal mein Chef. Natürlich ist das schon eine etwas komische Situation, weil die Rollen vermischt sind. Aber wir kommen damit gut klar. Wenn wir arbeiten, dann arbeiten wir. Ganz professionell.

Glaubt man den gängigen Klischees über Ihren Vater, dann ist dies nicht ganz einfach. Er gilt als autoritär und stur.

KW: Aber diese Klischees stimmen ja auch nicht.

Kein einziges?

KW: Doch, eins. Er kann kein Hochdeutsch und spricht nur Fränkisch.

Er ist kein bisschen stur?

KW: Nein! Er ist hartnäckig an der Sache interessiert, das ist etwas ganz anderes.

Oder autoritär, herrisch?

KW: Nein!

Herr Wagner, es heißt, Ihre Tochter sei Ihnen in vielem sehr ähnlich. Stimmt das?

WW: Ja.

Wie haben Sie sie an Richard Wagner herangeführt?

WW: Da habe ich eigentlich keine besonderen Anstrengungen unternommen. Sie ist in dieser Umgebung groß geworden und hat eben einen Nerv für das Werk ihres Urgroßvaters.

KW: Im Festspielhaus gab es immer irgend etwas Interessantes zu sehen, auf der Bühne, den vielen Probebühnen. Und mein Vater hat immer erlaubt, wenn ich mit in eine Oper ging: „Du darfst raus gehen, wenn es Dir langweilig wird.“

Langeweile bei den Bayreuther Festspielen? Gibt es das überhaupt?

WW: Das gibt es schon immer wieder einmal. Selbst bei Aufführungen, die als große Erfolge gelten.

Der Name Richard Wagner als Programm und Verpflichtung – oder man wird besser Klempner?

WW: Es gibt auch Wagners, die wären besser Klempner geworden

KW: Leider tendiert meine Begabung als Klempnerin gegen null. Also musste ich mich beruflich für Richard Wagner entscheiden.

Mit einem Vater im Rücken, der Bayreuth geprägt hat wie seit seinem Großvater und Gründer Richard W. niemand. Keine leichte Sache.

WW: Diese Gefahr ist hier nicht gegeben, denn ich halte es mit Sokrates: Ich weiß, dass ich nichts weiß. Ich sage ihr prinzipiell gar nichts, mache keine Vorschriften. Weil ich darauf vertraue, dass sie es kann, soll sie es auch machen.

KW: Allerdings kennt man als Tochter die Gesichtszüge des Vaters besser als die anderer Intendanten. Und wenn ich manchmal seine Mimik sehe, dann weiß ich genau, was er sich als Kommentar gerade verbeißt. Trotzdem: Das Handwerkliche habe ich total von meinem Vater gelernt. Das Tolle an unserem Verhältnis ist diese gemeinsame Basis, selbst wenn wir ästhetisch ziemlich weit auseinander liegen. Und weil wir beide wissen und respektieren, dass die Beherrschung des Handwerks die Grundvoraussetzung für jede Regie ist, kracht es zwischen uns beiden auch nicht.

WW: Genau. Wenn ich einen Regisseur auf die Menschheit loslasse, weiß ich ja auch nicht, was der eigentlich vorhat. In diesem Sinne, siehe oben, gilt: Ich weiß, dass ich nichts weiß, und der Regisseur weiß es im Zweifel besser. Wenn ich genügend Vertrauen in dessen Beherrschung des Handwerks habe, dann soll er machen. Mich haben immer eigenständige, nicht genormte Persönlichkeiten für die Festspiele interessiert.

In der Regie gilt also: Anything goes?

WW: Im Grunde ja. Wobei meine Tochter diesen Sommer in einer ganz schwierigen Situation steckt. Wenn einer aus der Familie hier in Bayreuth arbeitet, dann wird das besonders kritisch beäugt. Und das nicht mal in erster Linie aus künstlerischen Gründen. Diese Kritik, gut oder weniger gut begründet, muss man halt über sich ergehen lassen. Ich weiß, dass sie das kann und dass es gut wird.

KW: Ich erinnere mich noch genau an die Situation, in der mein Vater mir das Angebot gemacht hat. Das war in Budapest, wo ich „Lohengrin“ inszeniert habe. Da zog er mich nach der Premiere zur Seite und sagte: „Schätzchen, jetzt weiß ich, dass Du auch einen Opernchor gut in Szene setzen kannst. Willst Du die „Meistersinger“ in Bayreuth machen?“ Vorher hatten wir nie darüber gesprochen. Mein Vater kennt die „Meistersinger“ extrem gut, und es war ihm immer sehr wichtig, dass die in Bayreuth von einem Regisseur gemacht werden, der gleichfalls mit dem Stoff bestens vertraut ist.

Aber Chorregie und Repertoirekenntnis hätten auch einen „Fliegenden Holländer“ als Debüt ergeben können. Warum ausgerechnet die „Meistersinger“?

WW: Die „Meistersinger“ schienen mir besser geeignet, denn diese Oper ist im Grunde doch eher ein Einführungswerk – was nicht bedeutet, dass sie einfach wären. Die „Meistersinger“ berühren direkter und unmittelbarer als die anderen Wagner-Opern. Dieser dramatische Stoff ist eingängiger und unmittelbarer als der der anderen Werke.

KW: Für mich gilt das jedenfalls. Für „Tristan und Isolde“ oder den „Parsifal“ braucht es eine höhere Reife. In den „Meistersingern“ liegen die Themen und Emotionen für jemanden wie mich, der noch keine 30 ist, einfach näher am eigenen Horizont der Lebenserfahrung.

Dafür spielen andere Schwierigkeiten hinein, etwa die heikle Rezeptions- und Interpretationsgeschichte des Werks. Sind die „Meistersinger“ unsere Nationaloper?

WW: Quatsch, das ist doch Blödsinn.

Immerhin schleppt kaum eine andere Oper derart viel historischen Ballast mit sich herum, nicht nur wegen der Nazi- Zeit.

KW: An diesen Beobachtungen ist sicherlich einiges dran. Ganz besonders mit Blick auf den Schlussvortrag von Hans Sachs, beim dem es oftmals ziemlich deutschtümelnd zugeht ...

WW: ... Was ganz falsch ist. Denn es geht nicht um die Frage, was deutsch ist, sondern was Kunst ist. Dass Sachs und die Meistersinger in Nürnberg angesiedelt sind, liegt an der historischen Vorlage, ist im Grunde aber unbedeutend. Urdeutsch ist da rein gar nichts.

KW: Aber es stimmt schon, dass die „Meistersinger“ dieses schwere geschichtliche Marschgepäck mit sich schleppen. Ich lese das Stück durchaus ideologiekritisch.

Herr Wagner, Ihre Tochter arbeitet mit einem echten Newcomer-Team: Auch Sebastian Weigel, der „Meistersinger“-Dirigent, debütiert auf dem Grünen Hügel, und auch bei den Sängern setzen Sie nicht auf alte Bayreuth-Hasen. Ist das nicht ein bisschen viel Risiko auf einmal ?

KW: Jetzt könnte ich meinem Vater ins Wort fallen und ganz platt sagen: no Risk, no Fun.

Sieht der Festspiel-Leiter das auch so?

KW: Darf ich mich noch einmal vordrängen? Nachdem mein Vater Sebastian Weigel und mich verpflichtet hatte, war schon die Frage, wie wir die Rollen besetzen, wie viel Rollen- und Bayreuth-Erfahrung sein sollte. Als wir dann mit unseren Vorstellungen zu meinem Vater kamen, sagte er nur: „Riskiert’s! Es wird schon gut!“

Herr Wagner, Sie werden dieses Jahr 88 und leiten die Bayreuther Festspiele fast ein Menschenleben lang. Wenn Sie die Leitung einmal abgeben, wird dies eine tiefe Zäsur sein.

WW: Und daraus folgt, das meine Nachfolge vieles ganz anders machen muss. So wie ich damals hier ganz neu angefangen habe, 1951.

KW: Wobei die Nachfolge an ein großes, erfolgreiches Lebenswerk anknüpfen kann. Der Laden läuft, sehr gut sogar. Was aber nicht heißt, bei allem Tun und Lassen daran zu denken, wie würde er es machen, sondern von seinem Mut zu neuen Wegen und von seiner steten Risikofreude zu lernen, diese zu erhalten und fortzuschreiben.

Über Ihre Nachfolge, Herr Wagner, entscheiden nicht Sie, sondern der Stiftungsrat der Festspiele, nach den in der Stiftungssatzung festgelegten Regeln. Trotzdem wird in der Debatte in erster Linie der Name Ihrer Tochter Katharina genannt.

WW: Es wird sich zeigen, was sie kann.

Und wenn Sie es kann?

WW: Ich bin da ziemlich optimistisch ... Dann wird es genauso werden, umkämpft, was einer als Neuer macht. Wenn sie es kann und will, dann soll sie es werden.

Das Gespräch in Bayreuth führte Peter Siebenmorgen.

Wolfgang Wagner wurde am 30. August 1919 in Bayreuth geboren. Er leitet die Bayreuther Festspiele seit 1951, zunächst an der Seite seines Bruders Wieland, der 1966 stirbt. Seit 1973 hat Wolfgang Wagner einen Vertrag auf Lebenszeit. Künstlerisch eher konventionell, verpflichtet er immer wieder auch innovative Regisseure wie Patrice Chéreau oder Christoph Schlingensief. Es heißt, die Festspielleitung ruhe inoffiziell seit Jahren in den Händen seiner zweiten Frau Gudrun (63).

Katharina Wagner ist die Tochter von Gudrun und Wolfgang Wagner und wurde am 21. Mai 1978 in Bayreuth geboren. Sie studierte in Berlin Theaterwissenschaften, ihre vierte und vorerst letzte Inszenierung war Puccinis „Trittico“ an der Deutschen Oper. Am 25. Juli debütiert Katharina Wagner mit den „Meistersingern“ auf dem Grünen Hügel. Nächste Woche beginnen die Proben. Ginge es nach ihren Eltern, soll sie die neue Chefin der Festspiele werden.

Peter Siebenmorgen

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