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Kultur: Die Wahrheit der Bildmaschine

In Michelangelo Antonionis Spielfilm "Blow Up" von 1966 stößt ein Fotograf auf etwas Unerwartetes. Am Rand des Wahrnehmbaren, in den unklaren Zonen der fotografischen Bildauflösung und der Körnung der lichtempfindlichen Substanzen, meint er erkennen zu können, was er nicht suchte und mit dem bloßen Auge nicht zu sehen vermochte: ein Verbrechen, einen leblosen Körper, versteckt im Gebüsch.

In Michelangelo Antonionis Spielfilm "Blow Up" von 1966 stößt ein Fotograf auf etwas Unerwartetes. Am Rand des Wahrnehmbaren, in den unklaren Zonen der fotografischen Bildauflösung und der Körnung der lichtempfindlichen Substanzen, meint er erkennen zu können, was er nicht suchte und mit dem bloßen Auge nicht zu sehen vermochte: ein Verbrechen, einen leblosen Körper, versteckt im Gebüsch. Die Überprüfung seiner Wahrnehmung vor Ort ergibt keine Resultate; wenn es die Leiche gibt, die er auf seinen Fotografien zu sehen glaubte, dann ist sie inzwischen fortgeschafft.Im Katalog zu der Ausstellung "wohin kein auge reicht - von der entdeckung des unsichtbaren", die derzeit im Rahmen der 1. Triennale der Fotografie in den Hamburger Deichtorhallen gezeigt wird, verweist Ludwig Seyfarth auf das Beispiel der Frau eines unter Stalin in Ungnade gefallenen Parteifunktionärs, die in ihrem privaten Fotoalbum fein säuberlich das Bild ihres Mannes aus allen Erinnerungsfotografien herausgeschnitten hat: als könnte sie ihn, indem sie sein Abbild aus den fotografischen Dokumenten entfernt, aus ihrer Lebensgeschichte streichen.Beide, die Frau des Funktionärs wie auch der Fotograf in Antonionis Film, arbeiten am gleichen Phänomen: beiden geht es um den Wahrheitsgehalt der Fotografie. Seit Daguerre am 19. August 1839 der Öffentlichkeit seine Methode vorstellte, unter Ausnutzung der Lichtempfindlichkeit bestimmter Substanzen sozusagen objektive Abbildungen der Realität auf Bildplatten herzustellen, ist die mythologisch verklärte Wahrhaftigkeit dieser Abbildungsmaschinerie einer der steten Pole der Beschäftigung mit der Fotografie. Auch im Rahmen der ersten Hamburger Triennale der Fotografie, durch die ein Arbeitskreis um den Fotografen und Galeristen F. C. Gundlach die Hansestadt zu einem international erstklassigen Standort für Fotografie aufzuwerten versucht, ist die Frage nach der Wahrhaftigkeit des fotografischen Bildes, nach seinen Grenzen und Erweiterungsmöglichkeiten eines der großen Themen, die sich durch die vielfältigen Ausstellungen, Symposien und Nebenveranstaltungen ziehen. Sieben Museen und Ausstellungsinstitute und zahlreiche Galerien sorgen dafür, daß einen Sommer lang die Fotografie in Hamburg die sichtbarste aller Kunstformen ist: Fotografien von Andy Warhol in der Kunsthalle und "Zeit Blicke", eine Retrospektive zum 30jährigen Bestehen des Bundes Freier Fotodesigner (BFF) im Museum für Kunst und Gewerbe, "Bilder einer Großstadt" im Altonaer Museum und "Stadtluft - der urbane Raum als Medium der Macht" im Kunstverein, "Jochen Lempert, 365 Tafeln zur Naturgeschichte" im Kunsthaus und "Industriefotografie, Aufnahmen aus Hamburger Unternehmensarchiven" im Museum der Arbeit und, und, und.Am weitesten wagen sich dabei die Deichtorhallen vor, die gleich drei Ausstellungen präsentieren. Gezeigt wird eine Werkschau von Weegee, der in den 40er Jahren in New York mit seinen ungeschminkt spektakulären Reportagen von den Katastrophen des großstädtischen Lebens, von Verbrechen, Bränden, Verwüstungen dafür berühmt wurde, daß er den Betrachter zurückwirft auf sein voyeuristisches Interesse an der Fotografie. Die Ausstellung "Digitale Fotografie" führt in die Gegenwart und zeigt die Auseinandersetzung jüngerer Künstler mit den unbegrenzten Möglichkeiten der Bildmanipulation.Den weitesten Raum jedoch beansprucht die Ausstellung "wohin kein auge reicht - von der entdeckung des unsichtbaren", konzipiert vom Arbeitskreis Fotografie und Wilhelm Schürmann, die einen Überblick versucht über die verschiedenen Formen und Verwendungen von Fotografie sowie die Veränderungen der optischen Alltagswelten, die sie ausgelöst hat. Rund 300 Bilder aus über 100 Quellen sind hier zusammengetragen: aus der Kamera von Künstlern und dem Mikroskop von Wissenschaftlern, Schnappschüsse und erkennungsdienstliche Porträtreihen, Bilder aus dem Kameraauge der Bomben, Bilder aus dem Internet, streng inszenierte und gefundene Bilder, Bilder mit einer Legende und Legenden mit einem Bild, beabsichtigte und unbeabsichtigte Bilder. Auch wenn der aufgeblasene Ausstellungstitel der Fotografie einen Entdeckungswert zuschreibt, wo sie nur Blickwinkel und Entdeckungen fixiert, ist diese Ausstellung in ihrer Vielfalt, ihrem befruchtenden Nebeneinander von high und low, von Kunst und Nichtkunst, von Dokumentation und Reklame, von Trash und Szenenfotografie eine ganze Triennale wert.

"wohin kein auge reicht - von der entdeckung des unsichtbaren", "Digitale Fotografie", "Weegee", in den Deichtorhallen, bis 5. 9. "Andy Warhol, Photography", Kunsthalle, bis 22. 8., "Stadtluft - der urbane Raum als Medium von Macht", Kunstverein, bis 29. 8., "Industrie und Fotografie", Museum der Arbeit, bis 12. 9., "Zeit-Blicke. 30 Jahre Foto-Design in Deutschland", Museum für Kunst und Gewerbe, bis 29. 8.

STEFAN HENTZ

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