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Kultur: Die Wahrheit stirbt zuerst

„Die Lincoln Verschwörung“ – und Regisseur Robert Redford im Gespräch

Washington, 1865: Ein Anschlag erschüttert Amerika. Präsident Abraham Lincoln, dessen Unionisten gerade den Sezessionskrieg gegen die Südstaaten gewonnen haben, wird in einem Theater von hinten erschossen. Sein Außenminister überlebt schwer verletzt ein Attentat. Unter der harten Hand von Kriegsminister Edwin Stanton (Kevin Kline) schlägt der Staat zurück. Lincolns Mörder, der Schauspieler John Wilkes Booth, wird gejagt und erschossen, der Großteil der Konspiratoren schnell vor Gericht gebracht. Unter ihnen: die Mutter eines Verschwörers, Mary Surratt (Robin Wright), die stets ihre Unschuld beteuert. Als ihr Pflichtverteidiger darf sich der junge Frederick Aiken (James McAvoy) versuchen, ein Bürgerkriegsheld, der sich vom Südstaatlerhasser zum Menschenrechtskämpfer wandelt. Doch das Spiel scheint abgekartet. Stanton, ein Machtpolitiker, der mit seiner Brille nicht ohne Grund an Donald Rumsfeld erinnert, will Ruhe im Land.

Zunächst funktioniert der Film wie eine Geschichtsstunde.Robert Redford hat sich eine selten thematisierte Facette des Lincoln-Attentats vorgenommen und die Historie freundlich pädagogisierend in 120 Minuten bebildert. Aber Redford, der liberale Aufklärer, will noch auf etwas anderes hinaus: auf eine kritische Parabel für die Bush-Cheney-Rumsfeld-Politik nach den Anschlägen von 9/11. Hier wie dort ging es um das Aushebeln von Gesetzen im Dienste der Macht: Gefügige Militärtribunale ersetzten Zivilgerichte.

Fast 100 Jahre, nachdem D.W. Griffith das Lincoln-Attentat ins Zentrum seines rassistischen Klassikers „The Birth of a Nation“ gestellt hat, nutzt Redford seinen Film für ein aufrüttelndes Plädoyer: Die Nation soll sich ihrer Rechtstaatlichkeit wieder bewusst werden, für die der Sklavenbefreier Lincoln stand. „Unter den Waffen schweigen die Gesetze“, lautet ein Schlüsselsatz, mit dem der Chef des Tribunals seine Willfährigkeit entschuldigt. „Das sollten sie aber nicht“, entgegnet der Anwalt. Als handelte es sich um ein Melodram, versucht der Gerichtsfilm, moralische Eindeutigkeit herzustellen. Das mag sinnvoll sein in einem Land, das mit Rick Perry oder Michele Bachmann wieder Ideologen von ganz anderer Eindeutigkeit auf den Schild hebt.

Störend wirkt Redfords Hang zu einer Ästhetik des Pathos (Kamera: Newton Thomas Sigel). Über vielen Bildern liegt ein sanfter Lichtschleier, der die Figuren beinahe religiös überhöht und Helldunkel-Effekte wie in der sakralen Malerei hervorruft. So ist „Die Lincoln Verschwörung“ ein rechtschaffener, aber kunstgewerblich aufgehübschter Historienfilm geworden. Julian Hanich

Mr. Redford, kennt man in den USA die Geschichte von Mary Surratt, die zu Unrecht zum Tode verurteilt wurde?

Die Geschichte des Anschlags auf Lincoln kennt jeder, anders als den Kriegsgerichtsprozess gegen Mary Surratt, der eine unglaubliche Ungerechtigkeit darstellte. Der damalige Kriegsminister Edwin Stanton hat dafür gesorgt, dass diese Frau gehängt, begraben und vergessen wurde.

War das Rache oder politisches Kalkül?

Stanton war der Meinung, dass der Frieden zwischen Nord- und Südstaaten noch sehr fragil sei. Die Südstaatler waren aufgebracht, weil sie fanden, dass Lincoln ihnen mit der Sklaven-Befreiung ihren persönlichen Besitz weggenommen hatte. Als Lincoln ermordet wurde, versuchte Stanton Stärke zu demonstrieren und die Attentäter so schnell wie möglich an den Galgen zu bringen. Dass er anstelle von John Surratt dessen Mutter vor einem Militärgericht zur Verantwortung zog, war gegen die Verfassung. Die USA war und ist ein Rechtsstaat, genau das hat dieses Land so stark gemacht. Aber Stanton dachte, man müsse um des lieben Friedens willen das Gesetz brechen.

Sie ziehen den Vergleich zur Reaktion der Regierung Bush auf 9/11 …

Nach den Anschlägen vom September 2001 hat der damalige Verteidigungsminister Rumsfeld darauf gedrängt, dass die USA schnell auf die Anschläge reagieren. Auch er wollte Stärke demonstrieren, auf militärische Weise – und das ist meistens ein Fehler. Außerdem hat die Regierung Bush die Ereignisse ausgenutzt, um das amerikanische Volk für ihre eigenen politischen Interessen zu manipulieren. Sie haben die Menschen belogen, die nach den Anschlägen ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt hatten, und das Land unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung in einen Krieg gestürzt, bei dem es eigentlich nur um Öl ging. Dieser Betrug ist eine der größten Tragödien in der amerikanischen Geschichte.

Wie hätte eine adäquate politische Reaktion auf 9/11 aussehen müssen?

Eigentlich haben sich die Amerikaner richtig verhalten. Es gab eine breite gesellschaftliche Solidarität mit den Opfern des Anschlags, aber das politische Establishment hat diese Stimmung ausgenutzt. Ich hoffe, dass die Medien und die Menschen künftig klüger sind und die Politik ihrer Regierung stärker hinterfragen. Wobei wir bisher nicht sehr gut darin waren, aus der Geschichte zu lernen. Amerikas Geschichte ist eine Serie von Schleifen. Ich glaube, die Amerikaner haben ihr nie genug Aufmerksamkeit gewidmet, um zu verhindern, dass sich bestimmte Dinge wiederholen. Heute sind die Menschen besessen von der modernen Technologie. Aber im Internet, das ja als Erinnerungsspeicher funktionieren könnte, gibt es zu viel Information, Unterhaltung und Ablenkung. Wir beschäftigen uns nicht mehr eingehend genug mit den Dingen.

Als Gründer des Sundance-Filmfestivals haben Sie sich der Förderung des unabhängigen US-Kinos verschrieben. Wie ist es in Zeiten der Krise darum bestellt?

Independent-Filme hatten es immer schwer. Durch die Krise ist das Studio-System zusammengebrochen. Hollywood macht nur noch Filme, die garantiert genug Gewinn abwerfen. Es gibt eine Menge Hedgefond-Manager, die ihren Fuß ins Filmgeschäft bekommen wollen und sich auf ein Territorium begeben, von dem sie nichts verstehen. Dann werden sie nervös, ziehen ihr Geld wieder aus dem Projekt und der Filmemacher steht mit leeren Händen da. Gleichzeitig haben die jungen Filmemacher es heute dank Digitalkameras technisch leichter. Wir hatten dafür eine größere kreative Freiheit und wurden von den Studios besser unterstützt. Wenn das Budget eines Films unter zwei Millionen Dollar blieb, konnten wir damals in Hollywood machen, was wir wollten. Das wäre heute undenkbar.

– Das Gespräch führte Martin Schwickert.

Julian Hanich

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