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Kultur: Die Wahrheitstaucherin

Der Polit-Thriller „Baltic Storm“ versucht den Untergang der „Estonia“ zu enträtseln

Der Traum jedes Journalisten ist es, die ganz große Geschichte zu finden, den ungeheuerlichen Skandal aufzudecken, gegen alle Widerstände die Wahrheit ans Licht zu bringen. Am Anfang steht dabei oft ein Albtraum für die Betroffenen – Ein nicht aufgeklärtes Verbrechen oder ein tödlicher Unfall. Für Jutta Rabe war die ganz große Geschichte der Untergang der schwedisch-estnischen Fähre Estonia im September 1994. 852 Menschen starben damals in der Ostsee. Nach 14 Fernsehdokumentationen über die Tragödie hat die Hamburger Journalistin aus der Geschichte jetzt auch noch einen Spielfilm gemacht. Herausgekommen ist die Kinoversion einer Verschwörungstheorie, in der Ex-KGB-Agenten und Pentagon-Mitarbeiter die Strippen ziehen: „Baltic Storm“.

Genauer gesagt sind es „skrupellose“ Ex-KGB-Agenten und „zynische“ Pentagon-Mitarbeiter – soviel Klischee muss sein, in einem Film, der laut der Produktionsfirma Top Story keine „europäische Titanic“ sein soll, sondern ein Polit- Thriller in der Tradition von „JFK“, Oliver Stones Klassiker über das Kennedy-Attentat. Der seeerfahrene Jürgen Prochnow („Das Boot“) spielt den schwedischen Anwalt Erik Westermark, der auf der Estonia seinen Sohn verloren hat und die offiziellen Erklärungsversuche der von Schweden, Estland und Finnland eingerichteten Untersuchungskommission nicht akzeptieren will. Er trifft auf die Journalistin Julia Reuter (Greta Scacchi). Zusammen gehen sie auf die furchtlose Suche nach der Wahrheit.

Die Hinweise eines ehemaligen Stasi- und KGB-Agenten (Dieter Laser), der seine karge Rente aufbessern will, führen die beiden auf die Spur eines geheimnisvollen Deals zwischen einem ehemaligen sowjetischen Geheimwissenschaftler und dem Pentagon. Dem ist, wie erfahrene Verschwörungstheoretiker wissen, alles zuzutrauen. Personifiziert wird das Amt durch Donald Sutherland, der als einziger eine mehrdeutige Figur spielen darf, die zwar üble Geschäfte macht, aber Stil hat und am Ende die düstere Wahrheit offenbart – übrigens auf einem geheimen Army-Stützpunkt in der Nähe von Goslar, der den konspirativen Namen „Sektor Neun“ trägt. Alle anderen Hauptfiguren sind von Autor und Regisseur Reuben Leder dazu verdammt, als eindimensionale Charaktere der einzigen Spur zu folgen, die der Film hergibt und die der Zuschauer schon zu Beginn des Films erklärt bekommt.

Das Problem an „Baltic Storm“ ist die für den Zuschauer undurchsichtige Verstrickung von Dichtung und Wahrheit. Der Film beginnt mit Fakten, die zum Teil in Form von Originalszenen aus Nachrichtensendungen eingebaut werden. Er erwähnt auch die Untersuchungskommission, die tatsächlich fragwürdig gearbeitet hatte, etwa als sie zu Beginn ihres ersten Berichtes ankündigte, dass „niemand angeklagt“ werden solle. Doch statt sich auf reale Widersprüche der Untersuchung zu konzentrieren, die die Journalistin Jutta Rabe aufdeckte, hat die Filmproduzentin Jutta Rabe fiktive Hintergründe zu den Fakten hinzugestrickt. Der Plot um Pentagon und KGB soll erklären, wie es zu der angeblichen Bombenexplosion an Bord gekommen ist, die, wie Rabe überzeugt ist, die tatsächliche Ursache für die Katastophe war. Rabe sagt, eine 15. oder 16. Dokumentation der Fakten würde nichts mehr ändern. Ein Spielfilm könne eher die Öffentlichkeit mobilisieren und den Druck auf die schwedische Regierung erhöhen, eine neue, unabhängige Untersuchung der Katastrophe in Auftrag zu geben.

Im Film heißt Jutta Rabe Julia Reuter und ist eine selbst- und furchtlose Frau, die sich selbst durch einen Brandanschlag, bei der ihr Sohn beinahe getötet wird, nicht abschrecken lässt. Es entsteht also die eher seltene Konstruktion, dass eine Produzentin einen Film produziert, in der die heldenhafte Hauptfigur sie selbst spielt.

Baltic Storm widmet sich einem Stoff, der auch nach neun Jahren an Brisanz nichts verloren hat. Ein spannender Thriller wird nicht daraus. Aber immerhin hat die schwedische Regierung eine Vorab-Aufführung des Films für Überlebende und Angehörige in einem öffentlichen Gebäude untersagt. Der Stoff, aus dem Verschwörungstheorien sind.

In 13 Berliner Kinos, OV: Cinestar im Sony Center

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