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Kultur: Die Weisheit des Einhorns

Bildhauerin, Dichterin, Zeichnerin: Rebecca Horns große Retrospektive im Berliner Gropius-Bau

„Fragen Sie!“, legt Joachim Sartorius, Leiter der Berliner Festspiele noch einmal drängend nach. „Das ist eine ganz seltene Gelegenheit.“ Und schon geht ein Platzregen an Fragen nieder auf die sonst als so scheu und verschlossen geltende Künstlerin. Woher nimmt sie ihre Inspiration? Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit einem Komponisten? Wie verträgt sich die uhrwerkgleiche Präzision ihrer Maschinen mit dem freien Zeichnen?

Jetzt gleich dürfte es mit der heiteren Frage-Antwort-Stunde ein abruptes Ende haben, dieser Gedanke steht vielen hinter der Stirn im Kino-Saal des Martin-Gropius-Baus geschrieben. Doch Rebecca Horn nimmt diesen Platzregen offensichtlich als willkommene Erfrischung, geht bereitwillig noch auf das befremdlichste Ansinnen ein. Erklärt fast kichernd auf die Frage nach der musikalischen Kooperation mit Hayden Chisholm, dem neuseeländischen Komponisten: „Die beantworten wir gemeinsam, schließlich arbeiten wir auch zusammen und haben dazu das gleiche Haar.“ Dabei greift sie sich selbst in den feuerroten Schopf, ihr Markenzeichen – obwohl sie als Person eigentlich nicht auffallen will.

Sie als widersprüchlich zu bezeichnen, ist noch sanft ausgedrückt. Doch an diesem Tag will sich die exzentrische Künstlerin mit Wohnsitz in Berlin und Paris offensichtlich freuen, das spürt jeder, der sie bei der Pressekonferenz erlebt. Denn heute eröffnet sie ihre höchst persönlich eingerichtete Retrospektive an ihrem Wunschort Martin-Gropius-Bau und will die Menschen mitnehmen „auf eine Reise“, wie sie sagt. Die Rolle der charmanten Reiseleiterin in eigener Sache gelingt ihr trotzdem nicht; irgendwann zeigt sie den Fotografen doch die rote Karte, die sie am liebsten mit allen ihren Werken abgelichtet hätten.

Dabei braucht es eine persönliche Führung durch die Ausstellung mit ihren zwanzig Stationen eigentlich nicht. Der Besucher wird förmlich eingesogen in diesen Rundgang, wie von selbst von den „Körperextensionen“ zu den Installationen, vorbei an den großformatigen Zeichnungen zu ganzen Raumgestaltungen geschickt, um am Ende wieder vor einem beweglichen Federfächerpaar zu enden. Überall spinnt er sich seine eigene abstruse Geschichte zusammen, für die Rebecca Horn mit ihren absonderlichen Requisiten nur einen Anstoß gegeben hat. Gerade darin besteht auch eine tiefenpsychologische Qualität dieses alle Medien umfassenden Oeuvres: dass jeder seine individuellen Reiseerlebnisse macht, obwohl sie nur aus ihrem Künstlerkosmos gespeist sein können. All die Ferngläser, Schmetterlingsflügel, Spiegel, Schuhe, Pinselquasten, Vogeleier, die sie in Installationen verbaut, haben zwar ihre Hornsche Vorgeschichte, aber der Betrachter fügt sie sich selbst neu zusammen.

Auf den Plan tritt die im Odenwald geborene Künstlerin 1972 auf der documenta 5, mit 28 Jahren die jüngste Teilnehmerin. Harald Szeemann hatte ihren zwölfminütigen Film „Einhorn“ gesehen, bei dem eine 1,90 Meter große Frau mit nichts bekleidet als einem weißen Horn auf ihrem Haupt durch die Landschaft schreitet. Rekonstruieren ließ sich diese Performance am Ende für die documenta nicht; stattdessen schickte die Künstlerin einen männlichen Darsteller mit einer fünf Meter hohen mit schwarzem Stoff bespannten Stange als Kopfaufbau über die Kasseler Karlswiese, ebenfalls eine Inszenierung von höchster Eindringlichkeit. Im Gropius-Bau sind nun diese frühen Kostüme, Konstruktionszeichnungen, Fotodokumente zu sehen. Wie von selbst stellt sich die Assoziation mit der Malerin Frida Kahlo ein, die ebenfalls durch Krankheit zu Sanatoriumsaufenthalten gezwungen war und hier ihre eigene Kunstsprache mit Prothesen entwickelte. Gleichwohl lehnt Rebecca Horn den Vergleich ab, denn ihre Arbeiten suchten gerade die Verbindung zum anderen, seien nicht Rückzug wie bei Kahlo, sondern verklausulierte Formen der Kommunikation nach Monaten der Isolation in einer Klinik.

Von diesen frühen Arbeiten ausgehend lassen sich Rebecca Horns Werke auch als Schritte in die Welt begreifen. Begleitet werden sie von Zeichnungen, Gedichten, aus den Performances entwickelten Storyboards und schließlich Filmen, die zunehmend Raum gewinnen. Die Retrospektive im Gropius-Bau führt erstmals in Ausführlichkeit die Zeichnerin und Dichterin Rebecca Horn vor, denn nachdem anfangs nur Konstruktionsskizzen entstanden, zeichnet die Künstlerin seit drei Jahren mit Buntstiften, Tuschpinseln, Fingern auf körpergroßen Blättern, die sie selber „Bodylandscapes“ nennt. Das dichterische Werk, bislang verborgen in vorbereitenden Texten, drängt ebenfalls seit einigen Jahren mit den zunehmend monumentaler werdenden Installationen nach vorn. Zumal in Kombination mit den Oberton-Kompositionen Hayden Chisholms driften diese Verse allerdings ins Esoterische, verleihen den Installationen einen opernhaften Überbau. Schon bei Fabrizio Plessis und Günther Ueckers Retrospektiven im Martin-Gropius-Bau war diese Gefahr zu spüren. Auch Rebecca Horns Installation für die Lichthalle, „Das Universum in einer Perle“, überzeugt am Ende nicht; das Sublime ihrer frühen Installationen wird von der Materialschlacht aus vergoldeten Trichtern in 18 Metern Höhe, die sich bewegende Spiegelscheiben am Boden reflektieren, einfach nur erdrückt.

Doch diese Retrospektive kann unterm Strich nur gewinnen, anders als in Düsseldorf, dem Ausgangspunkt der seit zwei Jahren wandernden Werkschau, wo ihr in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen die Luft zum Atmen fehlte und die Großskulpturen noch hypertropher wirkten. Die 62-jährige Künstlerin erweist sich hier in Berlin als eine der ganz großen Bildhauerinnen unserer Zeit, als absolut singuläre Erscheinung durch die Wahl ihrer Materialien, den kinetischen Zauber ihrer tickenden, wankenden, rotierenden Maschinen, zugleich als Meisterin der Ungleichzeitigkeit. Denn parallel zu den gigantischen Lichtspielen, den frei flottierenden Gedichtzeilen, die sie etwa „Im Bauch des Wales“ zur Musik von Chisholm inszeniert, bedient sie immer auch noch die kleine Form, beherrscht sie den feinen poetischen Moment. Wer zu viel hat vom Glanz der Goldtrichter im Lichthof, braucht sich nur umzudrehen. An den Wänden flattern in Glaskästen die Buchseiten in den Werken von Kafka, Musil und anderen Dichtern sanft auf und ab.

Martin-Gropius-Bau, bis 15. Januar 2007. Niederkirchnerstr. 7. Katalog 32 €.

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