zum Hauptinhalt

Kultur: Die Welt als Villa und Vorstellung Tätige Muße: Andrea Palladio und das Veneto, eine Ausstellung in seiner Heimatstadt Vicenza

Doppelwesen sind die Villen Andrea Palladios. Zuallererst dienen sie den Repräsentationsbedürfnissen ihrer wohlhabenden Bauherren und sprechen in ihren Formen von deren stilvollem Leben.

Doppelwesen sind die Villen Andrea Palladios. Zuallererst dienen sie den Repräsentationsbedürfnissen ihrer wohlhabenden Bauherren und sprechen in ihren Formen von deren stilvollem Leben. Zugleich aber sind sie die Schaltzentralen landwirtschaftlicher Großbetriebe von vor 400 Jahren. Kultiviert im lateinischen Wortsinne ist beides, das dem humanistischen Ideal nachstrebende Leben jener vermögenden Oberschicht wie auch der Grund und Boden, den sie rings um ihre Landsitze bearbeiten ließ.

Beides ist Vergangenheit. Im 19. Jahrhundert wurden etliche der zu eng, zu unbequem und zu alt gewordenen Villen zweckentfremdet. Bisweilen verkamen sie als Holzlager oder Truppenquartier. Erst in den vergangenen Jahrzehnten erfuhren sie erneute Wertschätzung und Pflege. Ihre einstige Doppelfunktion ist heute nur mehr zu erahnen. Lange Zeit trat ihre ökonomische Rolle hinter die architekturhistorische Bedeutung zurück.

Heute erfordert eine materialistische Fundierung der Kunst- und Baugeschichte keinen Wagemut mehr. So betritt auch die breit angelegte Ausstellung „Andrea Palladio und die venezianische Villa von Petrarca bis Carlo Scarpa“, die das „Internationale Architektur-Studienzentrum“ in Vicenza veranstaltet, kein interpretatorisches Neuland mehr. Ohnehin ist Vicenza, jene mittelgroße, selbstbewusste Stadt im Veneto, gesegnet mit Bauten ihres größten Bürgers (1508-80), der dort das Handwerk des Steinmetzen erlernte, von einem Humanisten entdeckt und gefördert wurde und fast durchweg in ihrem Umkreis tätig war, ehe er gegen Ende seines Lebens zum Staatsarchitekten Venedigs aufstieg.

So ist die gegenwärtige Ausstellung – natürlich in einem der von Palladio entworfenen Stadtpaläste – nicht die erste, die sein Werk umfassend vorstellt. Doch 1973/74 kam der Erfolg der damaligen Werkschau noch beinahe überraschend; sechs Jahre später verstand es sich dann schon von selbst, den 400. Todestag mit einer Übersicht über das weltweite Nachwirken seiner Baugedanken zu feiern. Die jetzige Ausstellung kommt ohne kalendarischen Anlass aus – hat aber das entscheidende Plus, mit einem Kombiticket zum Besuch von 17 Villen und Bauwerken von der Frührenaissance bis zur Gegenwart zu locken. Zwar gelang es nicht, die teilnehmenden Häuser zu gemeinsamen Öffnungszeiten, gar ohne mehrstündige Mittagspausen zu bewegen, noch war es den Veranstaltern vergönnt, die privaten Eigentümer ausgerechnet einiger der spektakulärsten Villen zum Mitmachen zu überreden.

Das sind mitnichten Ärgernisse bloß von Kennern. Denn Palladios Architektur – und das hebt ihn über seine zahlreichen, heute zumeist wenig bekannten Kollegen hinaus – zeigt eine Entwicklung von bemerkenswerter Folgerichtigkeit, die in dem radikalen Bau der allseitig gleich gestalteten „Rotonda“ gipfelt. Durch Palladio entsteht überhaupt erst jener Typus der landwirtschaftlichen Villa, der für das intensiv genutzte Venetien kennzeichnend wird. Und zugleich formuliert er in seinen staunenswert vielfältigen Experimenten jene Formensprache, der sich seine Nachfolger bis zum Untergang der venezianischen Republik bedienen sollten, von der schier übermächtigen Ausstrahlung in aller Herren Länder einmal ganz abgesehen.

Die ungemein materialreiche Ausstellung beschränkt sich, ihrem Titel gemäß, nicht auf Palladio, rückt sein Werk aber doch in den Vordergrund. Villen gab es mitnichten nur im Veneto; es gab sie im Umkreis von Rom, und es gab sie rings um das Florenz der Medici. Gemeinsam ist der Villenbaukunst der Bezug auf die Antike, auf das „Haus der Alten“, das in dem einzigen überlieferten Architekturtraktat der Antike, jenem von Vitruv, sowie in den Aufzeichnungen von Plinius dem Jüngeren beschrieben wird. Und es gab die ersten Ausgrabungen: etwa der Hadriansvilla in Tivoli bei Rom.

Palladios Werk lässt sich in dieser Perspektive als Geschichte von produktiven Missverständnissen beschreiben. Es ging den Humanisten der Renaissance nicht eigentlich um Neuerung, sondern um die Anverwandlung der Antike, bis ins persönliche Auftreten hiein. So hatte der Bezug auf „die Alten“ enorm legitimierenden Charakter. Und was Palladio bei seiner, vom Gönner Giangiorgio Trissino bezahlten Studienreise 1545-47 in Rom gesehen und gezeichnet hatte, konnte er danach mit eben jener Autorität der antiken Überlieferung einsetzen.

Jener Trissino hatte unweit von Vicenza eine eigene Villa entworfen, die auf der Scheidelinie des mittelalterlich verwurzelten Kastells und der neuzeitlichen Villa als der in die Natur sich öffnenden Bühne kultivierten Lebens steht. Von ihm aus führt der Weg zu Palladios eigenen Entwürfen.

Die aber reagieren auf eine einschneidende wirtschaftliche Veränderung. Mit dem Vordringen der Türken geriet die Seerepublik Venedig in Abhängigkeit von Getreideimporten. Dieser existenzgefährdenden Lage folgte die Kolonisierung der terraferma, des Hinterlandes der Lagunenstadt. Aus Stadtbürgern wurden Großgrundbesitzer, aus Kennern antiker Schriften die Verfasser landwirtschaftlicher Handbücher. Beide Rollen flossen ineinander. Offiziere der Seerepublik widmeten sich dem Getreideanbau oder gar der Seidenraupenzucht.

Dieser Doppelrolle lieferte Palladio die passgenaue Architektur. Er kam zum rechten Zeitpunkt. Denn indem Palladio – der als Aufsteiger aus dem Handwerk eine Ausnahmeerscheinung unter den Künstler-Architekten vom Schlage eines Raffael oder Michelangelo bildete – antike Motive wie vor allem die dem Tempel geziemende Säulenfront im Privathaus einsetzte, schuf er den Grundherren den Rahmen, den sie zu ihrer Selbstdarstellung wünschten. Zugleich aber fasste er die bis dahin achtlos hingestellten Wirtschaftsgebäude oder oft nur -schuppen mit dem Haupthaus zu organischen Einheiten zusammen – und schuf so die architektonische Entsprechung der sozialen Rangordnung von padrone und contadini. Der aus dem freskengeschmückten piano nobile durch Säulenfronten auf seine wohl bestellten Felder hinausblickende, zugleich der geistvollen Muße des antiken otium hingegebene Grundeigentümer: Das ist der Bauherr, dem Palladio das bauliche Gewand maßschneiderte.

Die Ausstellung zeigt dazu ein weites Panorama, in dem gelehrte Traktate ebenso ihren Platz finden wie anrührend naiv gemalte Exvotos, die von den Gefahren der Landarbeit künden, vom Achsbruch bis zum Blitzschlag. Auf Altarbildern und Portraits finden sich gemalte Hinweise auf die Bautechnik der Renaissance, und wunderbar exakte Federzeichnungen geben Auskunft über Details etwa der Kanalisierung des venezianischen Flachlandes, eine wesentliche Voraussetzung seiner wirtschaftlichen Potenz. Und es kommen die großmaßstäblichen Modelle von Palladios Bauten erneut zu Ehren, die schon 1973/74 ob ihrer Detailtreue Staunen erregten.

Palladio war übrigens kein Luxusarchitekt; er begnügte sich im Gegenteil mit dem gebräuchlichen Ziegelstein, den er zu antikischen Säulen und Gewölben formte und unter Putz kaschierte. Erst spätere Generationen verloren jenes strenge Maß, das selbst den ausgreifendsten Anlagen Palladios wie dem wunderbaren Komplex der Villa Barbaro in Maser (ab 1549) zu Eigen ist, die Paolo Veronese mit Fresken ausstattete. Im 18. Jahrhundert, als die villegiatura ihre letzte und vielleicht höchste Blüte erlebte, entstanden Riesenbauten wie die Villa Contarini in Piazzola, die eher eine Stadt für sich bildet, samt Wohnbauten für die Landarbeiter; und schließlich die gigantische Villa Pisani in Stra (ab 1736), mit der die politisch so bedeutende Familie dieses Namens selbstbewusst, ja selbstüberheblich neben die Schlösser der europäischen Aristokratie trat.

Einst fuhr man mit dem Prunkschiff von Venedig hierher. Dem heutigen Reisenden zeigt sich das Veneto, was es seit damals war: als eine Landschaft unablässigen Tätigseins. Palladio schuf ihr mit seinen Villen das Bild einer Versöhnung von Geist und Ökonomie.

Vicenza, Palazzo Barbaran da Porto, bis 3. Juli. Katalog bei Marsilio, 45 €. – 7-Tages-Karte für Ausstellung und 17 weitere Örtlichkeiten 20 €. Informationen unter www.cisapalladio.org

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false