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Kultur: Die Welt als Visum

Vor dem Verlust des Kosovo: Belgrad träumt von Europa – und bleibt Europas Albtraum. Eine Reise in die Unsicherheit

Von Caroline Fetscher

„Wenn Sie Nathan Coley’s Kunstwerk verstehen wollen, fragen Sie mich.“ Die junge Frau spricht die Besucherin an, als wollte sie diese vorsichtig beim Ärmel fassen. Dann fängt sie an zu erklären. Am Belgrader Museum für zeitgenössische Kunst arbeitet die angehende Kunsthistorikerin als unbezahlte Praktikantin, und näher kommt eine Studentin in Serbien an „Europa“ und seine aktuelle Kunstszene kaum heran. „Das hier ist für mich großartig“, gibt sie scheu zu Protokoll.

Beherbergt wird das Museum von einem modernistischen Glas- und Betonbau dicht am Ufer der Sava, nah der Flussbiegung, an der sie unterhalb der Altstadt und der Festung Kalemegdan in die Donau fließt. Zurzeit zeigt man, gesponsort vom British Council, die Werke von 17 Künstlern aus Großbritannien unter dem Titel „Breaking Steps: Mitempfinden und Humor in der britischen Gegenwartskunst“. Es ist das erste Mal seit 20 Jahren, dass britische Künstler hier in diesem Umfang wieder ausstellen. Zu ihnen gehören Turnerpreisträger wie Jeremy Deller oder Gillian Wearing, doch der angehenden Akademikerin erscheint es wichtig, dass die verstreut umherschlendernden Leute zwischen den Installationen, Videos, der Malerei und Fotokunst gerade diese Arbeit von Coley entdecken: „Kamuflirana Bajrakli“, was so viel heißt wie „die sich versteckende Bajrakli-Moschee“.

Extra für die Belgrader Ausstellung hat Coley, geboren 1967 in Glasgow, mit blau-weiß bemaltem Sperrholz eine ostentativ kindlich anmutende Replik der Belgrader Bajrakli-Moschee gebaut. Doch so schlicht das Werk wirkt, so dicht ist seine Zeichenfülle. Im März 2004, als im Kosovo bei „ethnischen Unruhen“ serbisch-orthodoxe Klöster in Flammen standen, zündeten radikale Fundamentalisten in Serbien im Gegenzug die einzige Moschee Belgrads an.

Das Kosovo, in dem die zu 90 Prozent albanischen Einwohner Unabhängigkeit anstreben, rangiert in Serbien derzeit auf den ersten Seiten der Titelblätter und liefert Graffiti-Schreibern Stoff. „Ne damo Kosovo“ (wir geben Kosovo nicht her), ist auf Hunderten von Wänden zu lesen, meist in kyrillischen, manchmal in lateinischen Buchstaben. Kyrillische Schrift, ob in Zeitungen, Büchern oder Schulheften, gehört zur nationalistischen Selbstbehauptung Serbiens und zu seinen immer schwerer und leerer werdenden Zeichen: Serbien, das inzwischen in einer Morgue der Signifikanten zu existieren scheint, im Reich der Zeichenleichen, der Fassaden und des massiven Selbstbetrugs über Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Antisemitismus und Ressentiments gegen Minderheiten wie die ungarische in der Vojvodina gehören neben Pornografie und Astrologieshows zum Repertoire der Massenmedien, die Serbiens Sackgasse auf ihre Weise spiegeln. Der wegen Völkermord angeklagte General, den sie nicht ausliefern wollen, das Kosovo, an dem sie sich festklammern, die Regierungsbildung, die nicht zustande kommt – es klemmt an allen Ecken und Enden. „Die meisten bei uns leben auf Pump“, sagt die Angestellte einer Fluggesellschaft, „daher die vielen Banken.“

Draußen vor dem Museum und neben den täglich grüner werdenden Weiden ist Nathan Coley’s Installation mit dem riesigen Neonschriftzug „There will be no miracles here“ zu sehen. Er passt zu einem Land, dessen Armutsrate sich im Verlauf eines Jahres verdoppelt hat und dessen Jugend vor allem den einen Wunsch hat: es wenigstens mal für ein paar Monate verlassen zu können. Davon, dass Serbiens Studenten, finanziert durch die Europäische Union, rund 500 Erasmus-Stipendien zur Verfügung stehen, hat die Studentin im Museum noch nie etwas vernommen. „Sehr interessant!“ Ihr Blick leuchtet auf, als sie vom Bemühen Europas um die junge Generation hört.

Doris Pack, Mitglied des Europaparlaments mit Schwerpunkt Südosteuropa, hat an der Konferenz „Forum Belgrad“ teilgenommen, die sich nun Europa und seiner Kultur widmete. Es wundert sie kaum, dass Studenten nicht einmal über die Stipendiumsangebote informiert werden. Leider, ruft die resolute Saarländerin und Christdemokratin in den Saal, leider habe sich in der serbischen Bürokratie niemand für „das Implementieren solcher Programme“ interessiert. Plötzlich ist Europa doch wieder ein ferner Kontinent.

Organisiert wurde das Forum von der regen Berliner Initiative „Europa eine Seele geben“. Im futuristischen Sava-Centar, einem gigantischen potemkinschen Dorf aus der Ära Tito mit fensterlosen Kongresssälen, an Intershops erinnernden Ladenzeilen und langen Bartresen, fanden sich über 200 Delegierte aus Ost- und Südosteuropa ein, um im Beisein von Europa-Parlamentariern darüber zu debattieren, welche Rolle die Kultur für Europa spielen kann, will, soll, muss, darf, wird. Überladene Podien mit mehr als einem Dutzend Sprechern von Rumänien, Bulgarien und Polen bis hin zu Sibirien verhießen den Turmbau zu Babel, gerieten mitunter aber trotzdem spannend.

Damir Imamovic war aus Sarajevo angereist. Als Sänger, der mit Elementen aus Jazz und Tradition experimentiert, ist der knapp 30-Jährige über Bosniens Grenzen hinaus bekannt. Ihn amüsierte der Zugang vieler aus dem „Westen“, wenn es um Kulturförderung in Südosteuropa geht, und dass das, was „multiethnisch“ aussieht, immer präferiert wird. „Wer Gelder will, sollte einen serbischen Bassisten und einen kroatischen Drummer in der Band haben“, erklärte Imamovic dem Publikum. Applaus und Gelächter bei den Einheimischen, von denen viele die westlichen Rituale des „Versöhnungszwangs“ satthaben, wie einer sagte. Auch die „Seele Europas“ ist womöglich nicht das vorrangige Problem der serbischen Künstler – eher schon das Gewissen Europas, ein Bewusstsein Europas für die Realität, die hier oft auf verlorenem Posten steht.

Viele wollen statt solcher Debatten lieber konkreten Druck auf korrupte Politiker erleben – vor allem aber das Zauberwort „Visum“ Wirklichkeit werden sehen. Brüssels Abgesandte registrieren das auf der Konferenz, je nach Temperament, stoisch oder ungehalten. „Nichts passiert über Nacht!“, will Doris Pack beschwichtigen. Trotz allen Unmuts – aufmerksam hört sich das serbische Publikum an, welche Erfahrungen Neueuropäer mit Brüssel machen, dass in Regionen und Städten oft mehr Potenzial steckt als in einer konstruierten „Nationalkultur“, und dass man der EU wie den eigenen Eliten gegenüber weiter kritisch bleiben müsse, wenn das ersehnte Ziel da ist.

Das Management des Belgrader Flughafens hat seine eigene Zukunftsmelodie auf eine Endlosschleife von Muzak gelegt, die den Reisenden gnadenlos begleitet. Elektronische Versionen von „Santa Lucia“, „A Whiter Shade Of Pale“, von der Mondscheinsonate oder „I Did It My Way“ wiederholen sich ohne Pause. Währenddessen versucht jenseits des Atlantiks Präsident Kostunica dem Sicherheitsrat der Uno beizubringen, dass das Kosovo Teil der „serbischen Identität“ sei.

There will be no miracles here.

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