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Kultur: Die Welt ist ein Zirkus

Unmöglich, was sich Terry Gilliam da vorgenommen hat.Er will sein Publikum in einen Rausch versetzen, ihm einen Drogentrip im Stil von "Trainspotting" bieten, mit dem Unterschied, daß hier alles teurer aussieht.

Unmöglich, was sich Terry Gilliam da vorgenommen hat.Er will sein Publikum in einen Rausch versetzen, ihm einen Drogentrip im Stil von "Trainspotting" bieten, mit dem Unterschied, daß hier alles teurer aussieht.Andererseits will er auch aufklären, zeitkritisch sein, den amerikanischen Traum demontieren.Wir befinden uns 1971 im US-Staat Nevada.Knapp und präzise erklärt Gilliam den historischen Hintergrund: Wochenschauaufnahmen von Helikoptern, Demonstranten, die den Abbruch des Vietnamkrieges fordern, dickflüssiges Blut, das auf die Leinwand kleckert.Um dieser chaotischen, brutalen Welt zu entfliehen, rasen zwei Männer in ihrem roten Chevrolet durch die Wüste: der Journalist Raoul Duke (Johnny Depp) und sein Anwalt Dr.Gonzo (Benicio Del Toro).Doch der Krieg holt sie überall ein.Wenn sie im Hotelzimmer den Fernseher einschalten, scheinen die US-Piloten vom Bildschirm aus an die Zimmerdecke zu fliegen, und das Autorennen in der Wüste, über das Duke berichten soll, ähnelt einem Kriegsschauplatz.

Gilliams Vorlage, der Kultroman "Angst und Schrecken in Las Vegas" von Hunter S.Thompson, las sich bereits wie im Rausch geschrieben.Thompson hatte seinen Redakteuren unbearbeitete Texte zugeschickt, wirre Aufzeichnungen ohne stilistische Kontinuität, die später "Gonzo-Journalismus" genannt wurden und ihn zur Ikone der Popkultur machten ("Gonzo" war eine damals geläufige Bezeichnung für den standhaftesten Trinker an einer Bar).1971 erfolgte der erste Teilabdruck von Thompsons Aufzeichnungen im "Rolling Stone", und daß es bis zur Verfilmung fast 30 Jahre gedauert hat, verwundert nicht: Allenfalls ein Regisseur mit überbordender Phantasie kann eine Aneinanderreihung von Abenteuern umsetzen, die sich im Grunde nur im Kopf des Süchtigen abspielen.Und wenn man Terry Gilliam etwas nicht vorwerfen kann, dann ist es ein Mangel an Phantasie.

Seine Protagonisten nehmen Gras, Acid, Kokain, Äther und Meskalin, trinken dazu Tequila und Budweiser."Hast du Äther, das Meskalin wirkt nicht": So klingen fast all ihre Gespräche.Auf ihrer Odyssee laufen ihnen Engel und buddhistische Mönche über den Weg; sie sehen blutüberströmte Verkehrstote, werden von Fledermäusen verfolgt und sind in den Hotels, die sie aufsuchen, von Außerirdischen umgeben.Solch eine Nummernrevue von Wahnvorstellungen könnte unerträglich sein, hätte sich Gilliam nicht doch noch entschlossen, Distanz zu seinen Figuren zu wahren.

Die beiden Hauptakteure spielen phantastisch, aber sie bleiben als Schauspieler zu erkennen.Johnny Depp hat sich für die Rolle des Raoul Duke eine Halbglatze zugelegt und ließ sich, was die Wahl der darstellerischen Mittel angeht, vom traurigen Pokergesicht Buster Keatons inspirieren.Der gebürtige Puertoricaner Benicio Del Toro karikiert einen schwitzenden Latino und führt uns einen Schwabbelbauch vor, von dem wir lange Zeit nicht wissen, ob er digital erzeugt wurde - er sieht einfach zu schlimm aus, um wahr zu sein.Prägnante Kurzauftritte von Ellen Barkin, Cameron Diaz und Gary Busey sowie eine Reihe bizarrer Komparsen verstärken den Eindruck einer Zirkusveranstaltung.Gilliams Kritik am amerikanischen Traum geht nach hinten los, denn eine so prunkvolle Welt kann nicht schlecht sein.Selbst wenn Dr.Gonzo ein Hotelzimmer vollkotzt, spürt man die Sorgfalt des Requisiteurs.Auch tragische Dimensionen bleiben aus, wir erfahren nie, wie sich die Freunde in einer friedlicheren Zeit verhalten hätten."Fear and Loathing" vermittelt nicht mehr als einen Rauschzustand.Aber der ist intensiv und schadet nicht der Gesundheit.

Central, Cinemaxx Colosseum sowie Potsdamer Platz (OV), Delphi (OmU) Filmkunst 66, Hackesche Höfe, Nord, Rollberg und Zoo Palast

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