zum Hauptinhalt

Kultur: Die Welt und ihre Bevölkerung: Völker müssen wandern

In Nord und Süd teilt sich der Globus, in arm und reich. Der Blick auf den neuen UN-Bericht zur Entwicklung der Weltbevölkerung legt den Gedanken an neue Begriffspaare nah: Die Welt teilt sich in alt und jung.

In Nord und Süd teilt sich der Globus, in arm und reich. Der Blick auf den neuen UN-Bericht zur Entwicklung der Weltbevölkerung legt den Gedanken an neue Begriffspaare nah: Die Welt teilt sich in alt und jung.

Die Menschheit, die 2050 so jung ist wie nie, wird mehr als drei Millionen Menschen über 100-Jährige haben. Die Zahl der über 80-Jährigen wird fünfmal so hoch sein wie heute. Denn 39 Industrieländer machen eine der allgemeinen ganz entgegengesetzte demographische Entwicklung durch. Hier wird die Bevölkerungszahl in 50 Jahren unter dem Wert des Jahres 1999 liegen. Ohne Zuwanderung, so der Bericht, würden die Zahlen schon ab 2003 zurückgehen.

Europa - Kontinent der Greise

Japan wird das Land mit den meisten über 100-Jährigen sein. Der älteste Kontinent aber ist Europa. Mit dem Wohlstand und der Selbstbestimmung der Frauen sinken die Kinderzahlen, das ist die schlichte demographische Bilanz der Industrienationen nach dem Zweiten Weltkrieg. Kulturelle Ausprägungen, wie etwa katholische Traditionen, die bei vielen Menschen die Einstellung zu Familie oder Verhütung bestimmen, wirken allenfalls verzögernd. Die skandinavischen und nordeuropäischen Länder sind mit den sinkenden Geburtenraten vorangegangen, aber in den beiden letzten Jahrzehnten waren auch katholische Länder wie Italien oder Spanien Schlusslichter in der europäischen Bevölkerungsstatistik.

In den Industrienationen liegen die Geburtenraten unter der magischen Grenze von 2,1 Kindern pro Frau, die Bevölkerungsstatistiker für nötig halten, um die vorhandene Bevölkerungszahl zu erhalten. Als alarmierend werden dabei immer wieder zwei Entwicklungen empfunden: Wenig Nachwuchs, das läuft irgendwann auf Arbeitskräftemangel hinaus. Noch mehr aber drückt die Sorge um die Sozialsysteme. Immer weniger Junge müssen eine ständig wachsende Altersbevölkerung tragen. "Mehr Kinder!" ist deshalb ein regelmäßig wiederkehrendes Postulat. Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber, CSU, hat für alle Eltern kürzlich 1000 Mark pro Monat und Kind unter sechs Jahren gefordert.

Familienministerin Christine Bergmann, SPD, regt an, die nächste Stufe der Familienförderung, die das Familienurteil des Bundesverfassungsgerichts verlangt, nicht in Kindergeld, sondern in Betreuungskosten zu stecken. Zwar schützt Finanzminister Hans Eichel seine Kasse vor Forderungen aus der SPD-Fraktion. Doch es ist klar, dass mit dem näherrückenden Wahlkampf die Familie für die rot-grüne Koalition und für die Opposition zum Thema werden wird.

Dabei wissen Politiker genau, dass die Geburtenrate über finanzielle Stimulation nicht gesteigert werden kann. Mehr Familienförderung ist ein Gebot gesellschaftspolitischer Gerechtigkeit gegenüber den Eltern, aber keine Bevölkerungspolitik.

In den europäischen Ländern ist mit allen nur denkbaren Konzepten um das dritte Kind pro Familie gekämpft worden, mit mehr Geld, Betreuung, Elternurlauben. Die Statistik zeigt: Die Ein-Kind-Familie wird seltener. Das Ideal der hoch entwickelten Industrienationen ist die Zwei-Kind-Familie. Doch eine wachsende Zahl von Frauen und Männern bleibt ganz kinderlos. Bei 1,4 liegt die Geburtenrate in Deutschland, das weder betreuungs- noch steuerfreundlich für Familien ist. Bei 1,6 in Frankreich, das Ganztagsschulen kennt. Selbst in Schweden, wo vergleichsweise ideale Finanz- und Betreuungskonzepte die Geburtenrate kurzfristig angehoben haben, hat sich die Entwicklung wieder bei 1,5 eingependelt.

Die Industrienationen brauchen Zuwanderung. Das ist mittlerweile Konsens bei den Sozial- und Familienpolitikern aller Parteien in Deutschland, sogar der Union. Die deutsche Bevölkerungsstatistik sähe ohne die Zuwanderer der letzten vierzig Jahre bereits ganz anders aus. Bis Mitte der 60er Jahre kamen jährlich noch über eine Million Kinder zur Welt, davon weniger als 5 Prozent Kinder von Zuwanderern. 1997 hatten über 13 Prozent der 812 000 Neugeborenen in Deutschland ausländische Eltern.

Die Erfolgreichen gehen zurück

Vorsichtig weist der jüngste Familienbericht der Bundesregierung, der sich ausschließlich mit ausländischen Familien beschäftigt, auf wenig beachtete Trends hin. Es stimmt zum Beispiel nicht mehr, dass Familien ausländischer Herkunft deutlich höherer Kinderzahlen aufweisen als deutsche Familien. Denn die Wirkungen von Wohlstand und Mädchenbildung verändern in der zweiten und dritten Generation der zugewanderten Bevölkerung (also ziemlich rasch) die Geburtenraten.

In Zuwandererfamilien stehen die Generationen und die Familie stärker zusammen, um Erfolg und Vorankommen der Familienmitglieder abzusichern. Die deutschen Familien sind individualisierter. Migration, so der Bericht, ist inzwischen sehr oft eine Hin- und Herbewegung. Dabei kehren nicht die Erfolglosen zurück, sondern vor allen die gut Integrierten, die ihren ökonomischen Erfolg in Deutschland in ihren Herkunftsländern wiederholen wollen. Vielleicht lernen ihre Kinder durch den Schutz der Familien die Stärken, die in der globalisierten Welt zählen: sich in verschiedenen Kulturen und Sprachen zu bewegen und zu behaupten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false