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Kultur: Die Welt war Zeuge

Ab nach Canossa: Paderborn erinnert an den Bußgang Heinrichs IV.

Es muss ein Jahrhundertwinter gewesen sein. Von Goslar aus, wo er das Weihnachtsfest des Jahres 1076 gefeiert hat, macht sich König Heinrich IV. mit seiner Familie und wenigen Getreuen auf nach Italien. Der Chronist Lampert von Hersfeld hat ihren Alpenübergang eindringlich geschildert: Die Pferde wollen am verschneiten Mont Cenis nicht weiter und verenden; die Männer kriechen beim Abstieg auf allen vieren; die Frauen, unter ihnen Königin Bertha, werden von den gemieteten Bergführern auf Rinderhäuten hinuntergezerrt.

Über Turin, Pavia und Parma führt die Reise zur Burg Canossa südwestlich von Reggio in der Emilia. Dorthin hat sich Papst Gregor VII. eilig vor seinem Widersacher zurückgezogen. Vom 25. bis zum 28. Januar 1077 steht Heinrich im wollenen Büßergewand vor dem Burgtor, die nackten Füße im Schnee. Nach drei Tagen wird der von Gregor mit dem Kirchenbann belegte deutsche König empfangen und, nachdem er sich mit ausgebreiteten Armen dem Papst zu Füßen geworfen hat, wieder in die Gemeinschaft der Christen aufgenommen. Vor 900 Jahren, am 7. August 1106, starb Heinrich IV. in Lüttich. Seine Unterwerfungsgeste ist als „Gang nach Canossa“ in die Weltgeschichte eingegangen.

Der Canossagang des Saliers steht im Mittelpunkt einer großangelegten Ausstellung in Paderborn. Tatsächlich sind es gleich drei Ausstellungen, die die Stadt, das Erzbistum Paderborn und der Landschaftsverband Westfalen-Lippe gemeinsam stemmen: Im Museum in der Kaiserpfalz werden die handelnden Personen, im Diözesanmuseum die alles treibende Kraft der mittelalterlichen Kirchenreform, in der Städtischen Galerie das Nachleben Canossas als politischer Kampfbegriff von Bismarck bis zu den Nazis vorgestellt. Insgesamt zeigt man rund 700 Objekte. Für eine gelungene Präsentation vielleicht ein paar hundert zu viel.

Mit Macht versuchen Matthias Wemhoff und Christoph Stiegemann, die Direktoren der beiden Paderborner Museen, an den phänomenalen Erfolg ihrer Karolinger-Ausstellung von 1999 anzuknüpfen. Geboten wird keine aufs Einzelereignis beschränkte Geschichtsdeutung, sondern ein Epochenüberflug. „Erschütterung der Welt“, so der Untertitel des Unternehmens, nimmt den in Canossa kulminierenden Investiturstreit zum Anlass, bei dem sich der Römische König und der Papst aus Rom um das Recht streiten, Erzbischöfe, Bischöfe und Äbte in Amt und Würden zu setzen. Hinterfangen wird er durch einen fast hundertjährigen Machtkampf zwischen dem sakralen Königtum, dessen Tradition bis zu den Karolingern zurückreicht, und den Reformern der Papstkirche, denen es nicht nur um Unabhängigkeit, sondern um die Erneuerung des Glaubens geht. Simonie, also der Kauf kirchlicher Ämter, und die damals weit verbreitete Priesterehe sind ihre Schreckbilder.

Erschütterung der Welt: Man denkt unweigerlich an Ereignisse wie den Holocaust, den Fall der Mauer oder den 11. September. Und tatsächlich hat Canossa ähnlich umwälzend gewirkt. Bischof Bonizo von Sutri, ein Parteigänger Gregors, konstatierte erschreckt: „Als die Nachricht vom Bann über den König zu den Ohren des Volkes gelangte, da ward unser ganzer römischer Erdkreis erschüttert.“

Es geht um irdische Macht- und Rangfragen. Die Ausstellung findet dafür ein starkes Bild: zwei Throne, die sich gegenüberstehen. Der antike Marmorsessel diente als Papstthron; eine Leihgabe aus der Lateransbasilika. Die bronzenen Thronlehnen stammen aus Heinrichs Lieblingspfalz Goslar. Seit Karl dem Großen waren die „deutschen“ Könige zugleich Herrscher über Oberitalien – und damit Schutzherrn der Päpste und der gesamten lateinischen Christenheit. Um ein Gemeinwesen, das später als Heiliges Römisches Reich deutscher Nation bezeichnet worden ist, zu regieren, war man auf die Unterstützung des Papstes, der Fürsten und Bischöfe angewiesen. Der Historiker Bernd Schneidmüller hat die fragile Machtbalance des Reiches als „konsensuale Herrschaft“ charakterisiert.

Heinrich IV. kündigte dieses Einvernehmen als erster Monarch auf. Mit dem sächsischen und süddeutschen Adel, der mit Rudolf von Rheinfelden sogar einen Gegenkönig gewählt hatte, lag er beständig über Kreuz. Später wandten sich selbst Getreue wie Erzbischof Adalbert von Bremen von ihm ab. Die historische Forschung hat sich bemüht, in Heinrichs durch Entführung und Missbrauch geprägter Jugend den Schlüssel zu seinem Fehlverhalten zu finden. In der Ausstellung bleibt seine Persönlichkeit genauso blass wie die seiner Gegner.

Stattdessen entzünden die Kuratoren ein Feuerwerk frühromanischer Kunst. Man geht zwischen kostbaren, mit goldstrahlenden Miniaturen illuminierten Handschriften, filigranen Elfenbeinschnitzereien und Goldschmiedearbeiten umher – und fröstelt ob des gewaltigen irdischen Anspruchs, der hinter all der Himmelspracht steckt.

Paderborn, bis 5. November. Der zweibändige Katalog (Hirmer) kostet in der Ausstellung 45 €, im Buchhandel 75 €.

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