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Künstlercollage. 1964 schuf David Smith seine unbetitelte Arbeit mit Sprayfarben und diversen Schablonen.

© Hauser & Wirth / Estate of David Smith

Die Wiederentdeckung vernachlässigter Nachkriegskünstler: Später Segen oder neuer Fluch?

Viele Nachkriegskünstler, die zu Lebzeiten ein Nischendasein fristeten, werden gerade auf dem Kunstmarkt wiederentdeckt - zum Beispiel der abstrakte Expressionist David Smith.

„Spürt der Betrachter den Grad der Hingabe, der in ein Kunstwerk fließt? Die riesige Leidenschaft, aggressive Vitalität und totale Überzeugung?“ Kein Künstler der Postmoderne würde solche Worte wählen. Die Sätze des amerikanischen Bildhauers und Malers David Smith sind die eines idealistischen, ja existentialistischen Künstlers. Geboren 1906 in Indiana, zählte Smith, der 1965 bei einem Autounfall starb, zur Generation der abstrakten Expressionisten. In New York, wo er sich nach einer Schweißerlehre in einer Autofabrik der Art Students League anschloss und 1927 die Künstlerin Dorothy Dehner heiratete, war er bald mit Jackson Pollock, Willem de Kooning, Arshile Gorky und John D. Graham befreundet.

Im Gegensatz zu ihnen, den Malern gestischer Abstraktion und des Action Painting, versuchte Smith, Skulptur und Malerei, Drei- und Zweidimensionalität, Form und Farbe, Figuration und Abstraktion zu verbinden. „Er kämpfte für die Gleichberechtigung von Malerei und Skulptur, was ihn zu einem Außenseiter machte“, erklärt Peter Stevens, der Geschäftsführer des Nachlasses, zur Eröffnung der Ausstellung „Form in Colour“ der Galerie Hauser & Wirth in Zürich.

Er entmystifizierte seine Skulpturen, machte sie nahbar

Lange wurden die Plastiken, die Smith aus Metallabfall und ausrangiertem Werkzeug wie auch aus präzise geschnittenen und zusammengefügten Stahlelementen schweißte und anschließend patinierte oder bemalte, von Kritikern wie Künstlerkollegen als „dekorativ“ gering geschätzt, nun tauchen seine Werke vermehrt auf – wie in der Ausstellung „Abstract Expressionism“, die am 2. Februar im Guggenheim Bilbao eröffnet. Beinahe zwei Dekaden vor dem Beginn der Postmoderne verflüssigte Smith die Grenzen zwischen Volumen und Fläche und löste die Hierarchien zwischen Malerei und Skulptur auf . Ein radikaler Schritt, mit dem er seine Skulpturen entmystifizieren, sie nahbar machen wollte wie die Felsen und die Natur, in der er abgeschieden in den Adirondack Mountains im Bundesstaat New York arbeitete.

Ähnlich seiner Zeit voraus war Smith mit seinen Spray Paintings. Für sie legte er Fundstücke wie Äste, Schrauben oder Bolzen auf Papier oder Leinwand, besprühte die Flächen mit Emaillelack aus der Dose und entfernte die Objekte anschließend. Der Effekt war eine Art dreidimensionale Zweidimensionalität. „Skulptur kann Malerei sein und Malerei kann Skulptur sein und keine Autorität kann dem Künstler seine Entscheidung verbieten.“ Smith bestand auf der Totalität des schöpferischen Prinzips: „Die Konzepte von Skulptur und Malerei gründen nicht auf verschiedenen ästhetischen Standards oder Impulsen. Der kreative Geist ändert sich nicht, nur weil sich das Medium ändert“, erkannte er bereits 1952.

Galerien und Händler reißen sich um Nachlässe von „Hidden Champions“

Mit dieser Haltung blieb Smith lange verkannt – wie zahlreiche andere Künstler, die in den vergangenen Jahren wiederentdeckt und vom Markt erobert wurden. Immer mehr Sammler favorisieren diese teils über Jahrzehnte auch preislich unterschätzten „Hidden Champions“ oder Nischenkünstler. Galeristen und Händler reißen sich um Nachlässe und übersehen dabei hin und wieder, dass nicht jedes vergessene Talent ein verborgener Star ist. Vermeintlich vernachlässigte Künstler um buchstäblich jeden Preis ins Rampenlicht zu zerren, ist die falsche Strategie. Um nicht missverstanden zu werden: Es ist unbedingt zu begrüßen, dass Ausnahmetalente gefeiert werden – so wie die in Kuba geborene Carmen Herrera, die als 89-Jährige zum ersten Mal ausstellte, vergangenes Jahr eine Retrospektive im New Yorker Whitney Museum hatte und endlich im Alter von 101 den ihr gebührenden Platz in der Topriege der abstrakten Minimalisten einnimmt.

Ebenso werden die italienische Autodidaktin Carol Rama oder die Iranerin Monir Shahroudy Farmanfarmaian, 1924 geboren, inzwischen angemessen gewürdigt. Der Markt korrigiert seine Versäumnisse. Andererseits tangiert das Phänomen des globalen Markts, der momentan eher zurück als nach vorne blickt, nicht zuletzt den Markt der jungen Künstler. Deren zuletzt oft spekulative Preise verfallen zum Teil signifikant, manchmal zu Recht, manchmal in unverhältnismäßiger Fallhöhe. Auch hier muss eine Korrektur folgen. Die Preise für Werke von David Smith bewegen sich im realistischen Spektrum von 150 000 bis acht Millionen Dollar. Vergleicht man sie mit Preisen für Arbeiten von Willem de Kooning oder Jackson Pollock, wirken sie moderat – mit Ausnahme jener Rekordsumme von 23,8 Millionen Dollar, für die Larry Gagosian 2005 die monumentale Stahlskulptur „CubiXXVIII“ aus dem Jahr 1965 bei Sotheby’s ersteigerte.

Der Trend zu Solitären jener Generation von Künstlern der Moderne, für die das heroische Prinzip des Schöpferischen noch identitätsstiftend war, wird anhalten. Denn die endlosen Aneignungen und Referenzen der Postmoderne drehen sich als ermüdender Loop nur noch um sich selbst. Plötzlich klingt ein Satz wie der von David Smith wieder aufregend: „Ich mache eine Arbeit, weil sie näher als alles andere, was ich tun kann, erklärt, wer ich bin. Mein Werk ist meine Identität.“

Eva Karcher

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