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Kultur: Die zerstörten Hoffnungen des Libanon

Befragt: Ilham Makdisi, Historikerin aus Beirut

Frau Makdisi, wie verfolgen Sie die Entwicklungen in Ihrer Heimat?

Ich habe viele Verwandte im Libanon, meine Mutter lebt in Beirut. Ich halte mich telefonisch auf dem Laufenden, was allerdings immer schwieriger wird – manche Leute erreiche ich nicht mehr. Aber die Krise berührt mich als Nahost-Expertin auch professionell.

Wo sehen Sie die Konfliktlinien?

Es ist sicher keine Auseinandersetzung zwischen zwei Staaten. Der Libanon hat Israel weder den Krieg erklärt noch sich an Angriffen oder Drohungen beteiligt. Das Land wird gegen seinen Willen in einen Krieg hineingezogen. Wenn Israel den libanesischen Staat und seine Bevölkerung für etwas bestrafen will, an dem weder die Bevölkerung noch der Staat Schuld tragen, ist das illegitim und völkerrechtswidrig.

Bestraft werden soll die Hisbollah – und die ist Teil der libanesischen Regierung.

Das Verhältnis zwischen Staat und Hisbollah ist kompliziert. Es gab ernste Bemühungen der libanesischen Regierung, die Hisbollah zu entwaffnen und in die Armee zu integrieren. So etwas geschieht natürlich nicht über Nacht. Ja, es ist eine sehr heikle Situation, ja, die Regierung ist schwach – aber das Land zu bombardieren, um der libanesischen Staatsführung eine Lektion zu erteilen, ist kontraproduktiv: Es wird für die Regierung nun noch schwieriger, die Hisbollah zu entwaffnen, weil man ihr vorwerfen wird, dem Druck Israels und der USA nachzugeben. In der Gesellschaft vertieft sich die Spaltung zwischen Kritikern der Hisbollah und denjenigen, die nun erst recht auf die Hisbollah bauen, weil sie sagen: Irgendjemand muss uns doch gegen diese Aggressoren verteidigen. Es besteht die Gefahr, dass diese Spaltung entlang sektiererischer Linien verläuft, die den ganzen Bürgerkrieg wieder anfachen könnten.

Sehen Sie Auswege aus der Konfrontation?

Selbst wenn eine diplomatische Lösung gefunden wird, ist der Schaden nicht mehr gutzumachen. Er beschränkt sich nicht auf Todesopfer, Infrastrukturschäden und Investitionsausfälle. Die schlimmste Folge sind die zerstörten Hoffnungen derer, die 15 Jahre nach dem Bürgerkrieg glaubten, dass dieses Land lebensfähig und lebenswert sein könnte, dass man im Libanon Geschäfte aufbauen und Kinder aufziehen kann. All das wurde in wenigen Stunden zerstört.

Der Schriftsteller Amos Oz schreibt in der „FAZ“, die Hisbollah schade auch der libanesischen Zivilgesellschaft.

Aber mit dem, was die Israelis tun, gießen sie nur Öl ins Feuer! Wer hat sie gebeten, um der libanesischen Zivilgesellschaft willen zu intervenieren? Auch unter israelischen Politikern gibt es den Trend, die Bombardements als Dienst an der libanesischen Regierung darzustellen. Ich bin da, mit Verlaub, skeptisch.

Ilham Makdisi, 34, stammt aus Beirut, lehrt Geschichte in Boston und ist zurzeit Fellow des Arbeitskreises Moderne und Islam am Berliner Wissenschaftskolleg. Die Fragen stellte Jens Mühling.

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