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Diedrich Diederichsen

© dpa

Diedrich Diederichsen und René Pollesch reden über Pop: Glück und Versprechen

Es gibt nur einen Diedrich Diederichsen. Und dieser lud zur Premiere seines schon allseits gewürdigten Buchs „Über Pop-Musik“ im HAU – mit René Pollesch.

Diedrich Diederichsen hat an diesem Abend in Berlin im Hebbel am Ufer in der Stresemannstraße eine Art Heimspiel, ein fast ausverkauftes dazu. Geladen wurde zur Premierenveranstaltung seines allseits schon ausführlich besprochenen und gewürdigten pophistorischen Großwerkes „Über Pop-Musik“, und alle sind sie gekommen: die versammelte Pop-Kritik der Republik, die alte Berliner Subkultur, einstige und langjährige „Spex“-Abonnenten, junge Pop-Theorie-Anhängerinnen, Rainald Goetz.

Doch man kennt das aus dem Sport: Heimspiele haben es gelegentlich an sich, daneben zu gehen. Sie sind nicht automatisch erfolgversprechend, weil das Publikum hinter einem steht. Vergleicht man den HAU-Abend mit Diederichsens Auftritten auf der Leipziger Buchmesse, wo er für den Sachbuchpreis der Messe nominiert war und auf diversen Bühnen knapp, präzise und auch luzide Auskunft gab, und in Köln auf der lit.cologne, wo er ein vergnügt-denkwürdiges Gespräch mit Rainald Goetz geführt haben soll, dann war diese Buchpremiere kein wirklicher Schocker: mehr so mittelmäßig, ein grundsolides Unentschieden. Was allerdings weniger an Diederichsen lag, sondern an seinem mit ihm auf dem Podium sitzenden Gesprächspartner, dem Diskurstheater-Regisseur René Pollesch.

Der hatte, wie er mehrmals betonte, aus „Über Pop-Musik“ nur ein paar Kapitel lesen können, und wollte weder mit Pop-Initiationserlebnissen aufwarten noch sonst irgendwelche Fragen vernünftig verstehen oder beantworten. Zumindest seine Sympathie mit einer von Diederichsens Hauptthesen bestätigte er, dass nämlich Popmusik ihre ganze Kraft, Größe, Kunst und Vollständigkeit erst durch den Rezipienten erhalte: „Das mit der Rezeptionsästhetik leuchtet mir ein. Sprache und Handlung finden auch bei uns im Theater auf verschiedenen Ebenen statt.“

Jede Menge Interviews, aber nicht für die "Bild"

Nun denn. War Diederich Diederichsen ob der Unvorbereitetheit und Nonchalance seines Beisitzers gar irritiert? Nur gut, dass dieses Nicht-Gespräch zusätzlich von der „Taz“–Redakteurin Doris Akrap moderiert wurde und Diederichsen ungeachtet von Polleschs Anwesenheit Fragen gestellt bekam. Wobei er eigentlich nur Stichworte benötigt, um in medias res gehen zu können. Selbst als die erste Frage lautet, ob er bei der vielen Resonanz auch der „Bild“-.Zeitung ein Interview habe geben müssen.

Hat er nicht gemusst. Aber die möglichen Fragen der „Bild“ (nach Lieblingsliedern etc.) führen ihn sogleich zum Summen eines Popsongs, zur Melodie, dazu, dass all das mit dem Aufkommen von Aufzeichnungsgeräten und Studioproduktionen nebensächlich geworden sei.

Muter und wirr durch die Pop-Musik.

Dieser Mann ist Pop: Diedrich Diederichsen.
Dieser Mann ist Pop: Diedrich Diederichsen.

© Mike Wolff

Es geht dann einigermaßen munter, aber auch etwas wirr durch verschiedene Abschnitte des Buches, nicht zuletzt mithilfe von Bild- und Videobeispielen: beginnend mit einem Foto der Diederichsen-Brüder als kleine Jungen vor einem Radio, die „Über Pop-Musik“ voransteht, über einen Small-Faces-Auftritt 1964 im Beat-Club bis hin zu einem Werbefilm der Stadt Koblenz, der musikalisch von Pharrell Williams’  Superhit „Happy“ begleitet wird. Jener veranlasst Diederichsen bei aller Skepsis zum Popgeschehen von heute zu der Feststellung, dass das immerhin ein Fortschritt und  „Happy“ musikalisch um vieles besser als Bobby McFerrins „Don´t Worry, Be Happy“ sei.

Diederichsen ist milde gestimmt an diesem Abend, ganz elder statesman des Popdiskurses, der selbst der „Bescheuertheit“ eines Eric Clapton noch was abzugewinnen weiß. Auffallend aber ist, dass bei seinen Verweisen auf den Rezipienten und den dauernden Bezugnahmen der Moderatorin (und von Verleger Helge Malchow vorab) auf die vielen Rezensionen, das Buch selbst ein gutes Beispiel für eine gelungene Rezeptionsästhetik darstellt.

Denn so wie einige Leser „Über Pop-Musik“ zum Meisterwerk zusammenpuzzeln dürften (und es sicher andere nach ein paar Seiten sofort wütend weglegen), so unterschiedlich begeistert fiel die Kritik aus. Jeder Rezensent (tatsächlich alles Männer) hatte dabei seinen eigenen (Pop)-Zugang, projizierte das eigene Popverständnis in die Lektüre. Für die einen ist es ein erfülltes Versprechen, für andere lediglich ein Versprechen – aber eben ganz im Sinne von Diederichsen, dass, wie im Fall von Popmusik, das Versprechen an sich ja schon einen Wert darstellt. „Es gibt nur einen Diederich Diederichsen“ hat im HAU übrigens keiner skandiert. Aber so ist es – und so wird es vermutlich auch in absehbarer Zukunft bleiben.

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