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Kultur: Dienst ohne Vorschrift

Berlin in den dreißiger Jahren: Volker Kutschers dritter Gereon-Rath-Krimi

Juli 1931: Im Berliner Humboldthain findet die Polizei einen toten Nazi, mit einer Schusswunde im Fuß und Stichwunden in der Brust. Wurde der SA-Mann von der Rotfront ermordet? Die Mordkommission findet das Projektil einer Remington 51, nicht gerade typisch für Kommunisten. Und die Kippe einer Zigarettenmarke aus den USA namens „Kämmel“.

Camel ist die Marke von Abraham Goldstein, genannt „Handsome Abe“, Auftragskiller eines Brooklyner Gangstersyndikats, zur Zeit Gast im Berliner Hotel Excelsior. Seit seiner Ankunft wird er observiert, auf Geheiß von „Vipoprä“ Bernhard Weiß, der Goebbels’ Hetzblättern keine Schlagzeilen à la „Jüdischer US-Gangster mordet in Berlin“ liefern will. Weshalb sich Kommissar Gereon Rath schon seit Tagen vor Goldsteins Hotelzimmer langweilt. Goldstein scheidet somit als Verdächtiger aus. Oder doch nicht?

Wäre da nicht ein privater Auftrag – die Suche nach einem verschwundenen Geschäftspartner von Unterweltboss Johann Marlow, dem Rath eine Gefälligkeit schuldig ist –, Volker Kutschers Kommissar wäre kaum wiederzuerkennen. Dienst nach Vorschrift statt karriere- und lebensgefährdender Solonummern scheint das neue Motto Raths zu sein, seit seiner eigenwilligen Suche nach dem „Kinomörder“ („Der stumme Tod“, 2009)

„Gereon Raths dritter Fall“ steht zwar auf dem Umschlag des gewohnt dicken, über weite Strecken packend erzählten, atmosphärisch dichten Bandes. Aber im Mittelpunkt stehen zunächst andere. Allen voran Raths Freundin Charly Ritter, inzwischen im Vorbereitungsdienst im Amtsgericht Lichtenberg, wo sie sich nicht nur mit einem Chauvi-Chef herumschlagen muss, sondern auch mit einer obdachlosen Schwarzfahrerin, die ihr durchs Fenster entwischt. Das Mädchen hatte Angst – und Charlys Instinkt sagt ihr, dass sie es finden muss. Nur dass Gereon Rath von ihrem Interesse an dem Straßenmädchen nichts wissen will. Und deshalb zu spät erkennt, dass all die Fälle, vom erstochenen Nazi bis zum verschwundenen Geschäftspartner Marlows zusammengehören. Kutschers Kommissar wirkt in vielem, nicht zuletzt seinem Desinteresse an Politik, wie ein Mensch der Gegenwart. Und als Mann muss er sich an die „neue Frau“, wie es damals hieß, erst gewöhnen. Charly erweist sich als ebenbürtige Kriminalistin – und ist mit ihrem Hang zu Extratouren am Rande der Legalität Rath ziemlich ähnlich

Der Blick auf die sich in den Weimarer Jahren rasant wandelnden Geschlechterverhältnisse gehört zum Charme der auf acht Bände angelegten Rath-Reihe. Und die genau recherchierte Erzählung der untergehenden Weimarer Republik im Medium des Kriminalromans.

1931 hat die Wirtschaftskrise Deutschland fest im Griff – und die Demokratie wird von links wie rechts bekämpft. Noch findet der Rechtsstaat mutige Verteidiger, bieten Polizeipräsident Albert Grzesinski und sein Vize Bernhard Weiß, den Extremisten die Stirn. Doch die Rufe nach einem harten Durchgreifen werden unter Raths Kollegen lauter – angesichts erschossener Kollegen und Gangster wie Goldstein. Dabei ist „Handsome Abe“ ein Killer mit Zivilcourage, wie der Leser bald erfährt. Sein Leben lang verachtete er die „Schwarzhüte“ und „Kaftanträger“, wie sein Vater einer war, aber im Berliner Scheunenviertel wird er Frieden mit der väterlichen Religion schließen. Die Geschichte von Goldsteins Familie ermöglicht Volker Kutscher, das Panorama des Berliner Judentums zwischen Assimilation und Tradition zu entfalten.

„In this town the street gangs wear uniforms“, wundert sich der Gangster, als am 12. September 1931 SA-Schläger das Café Reimann stürmen und jüdische Gäste angreifen. Für Rath ist der Anblick der organisiert vorgehenden Nazis ein Schock – aber noch hat er Vertrauen in die Republik. „Keine Sorge, bis zur Olympiade kriegen wir das schon hin“, lautet sein Versprechen. Oliver Pfohlmann

Volker Kutscher: Goldstein. Gereon Raths dritter Fall.

Verlag Kiepenheuer & Witsch Köln 2010.

544 Seiten, 19,95 €.

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