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Kultur: Dienstags? Nie!

SCHREIBWAREN Steffen Richter hat Lust auf einen ewigen Sonntag „Faulheit“, schreibt Immanuel Kant 1798, sei vermutlich das „verächtlichste“ der Laster. Der große Königsberger Aufklärer wird wegen seines 200.

SCHREIBWAREN

Steffen Richter hat Lust auf einen ewigen Sonntag

„Faulheit“, schreibt Immanuel Kant 1798, sei vermutlich das „verächtlichste“ der Laster. Der große Königsberger Aufklärer wird wegen seines 200. Todestages in diesem Jahr noch oft zitiert und zelebriert werden. Konnte der irren? Wenig später jedenfalls schickte Joseph von Eichendorff im selben Königsberg seinen „Taugenichts“ in die Welt. Mit einem Gegenprogramm. Der nämlich hatte genug an der Landstraße und seiner Geige. Und dabei war ihm „wie ein ewiger Sonntag im Gemüte“.

Arbeit und Stress, bezeugen Statistiken, führen zu Herzinfarkt und anderen Krankheiten. Außerdem steigern sie Scheidungs- und Selbstmordrate. Die Muße zum Leitbild für 2004 zu erklären, das wäre doch mal ein Vorsatz! Der derzeitige Berliner Lesebetrieb fördert das Vorhaben. Nicht, dass er in den Winterschlaf gefallen wäre. Aber er berappelt sich nur allmählich. Das liegt auch daran, dass einige Großveranstalter anderes zu tun haben. Die Literaturwerkstatt ist mit ihrem Umzug in die Kulturbrauerei beschäftigt. Und das Literarische Colloquium hat mit Etatkürzungen zu kämpfen. Im Januar fehlen also zwei exquisite Programme. Das ist schmerzhaft, hat aber den Vorteil, dass das Publikum in der Hängematte bleiben kann.

Zumindest bis zum 12.1. Dann sollte man sich gemessenen Schrittes in den Roten Salon der Volksbühne begeben. Um 20 Uhr lesen die Schauspieler Milan Peschel, Fabian Hinrichs und Laura Tonke aus der wunderbaren Enzyklopädie der Faulheit (Eichborn Berlin). Zwei Jahrtausende Kulturgeschichte umfasst diese Verteidigung des Nichtstuns, die der kürzlich verstorbene Kulturwissenschaftler Wolfgang Schneider zusammengestellt und kommentiert hat. Und es sind beileibe nicht nur Sonderlinge und Käuze, die eine Lanze fürs Dösen brechen. Schon Aristoteles erklärt kategorisch: „Arbeit und Tugend schließen einander aus“. Und Nietzsche ist überzeugt, dass „wer von seinem Tage nicht zwei Drittel für sich hat“, ein Sklave sei. Ganz zu schweigen von Einstein, Borges, Neruda, Bloch, Twain und dem schlagenden Argument eines Alexandre Dumas: „Der Mensch ist nicht erschaffen, um zu arbeiten. Der Beweis: Er wird müde davon.“

Wäre da nicht Luther gewesen, der mit seiner „Tatgesinnung“ die Arbeit geadelt hat. Wäre da nicht Marx, der die (freilich befreite) Arbeit zum Vehikel der menschlichen Selbsterschaffung erkoren hat! Dabei ist schon die Etymologie des Wortes verräterisch. In allen europäischen Sprachen geht Arbeit auf Mühsal, Plage, Qual und Not zurück. Keiner weiß das besser als Guillaume Paoli von der sozialen Avantgarde-Truppe „Die glücklichen Arbeitslosen“. Angesichts der Beschäftigungszahlen und des Strukturwandels der Gesellschaft lohnt es, über eine Umcodierung der Werte nachzudenken.

Vielleicht ist uns schon geholfen, wenn wir einfach einen Gang zurückschalten – anstatt mit Glück verheißenden Ganzheitslehren aus dem Morgenland das Burnout-Syndrom zu kompensieren. Muße soll indes nicht heißen, dumpf dahin zu vegetieren. Um Freiräume für wirklich Wichtiges geht es. Denn nur „in der heiligen Stille der Passivität“, fasst Friedrich Schlegel zusammen, „kann man sich an sein ganzes Ich erinnern und die Welt und das Leben anschauen.“ Diese weisen Worte will zumindest der neue Verfasser der „Schreibwaren“ beherzigen, der künftig an dieser Stelle eine Schneise durch den Dschungel des Lesebetriebs schlagen und die Termine ausrufen wird. Wie die meisten guten Vorsätze dürfte auch dieser bald zum Teufel sein. Gelegentlich aber sollte man sich an die gesundheitsfördernde Wirkung des Nichtstuns erinnern und – einfach nur vorhanden sein.

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