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Kultur: Diese Platten sind ein Hit

Neues Bauen in Berlin: Sanierung des Roten Viertels Hellersdorf

Die Plattenbausiedlungen im Osten Berlins haben mit einem schlechten Image zu kämpfen. Allerdings gibt es mittlerweile Beispiele für Plattenbausanierungen, die ungeahnte Qualitäten zeigen.

Eines von ihnen ist die Sanierung des „Roten Viertels“ in Hellersdorf. Das Viertel, das sich rings um den Cecilienplatz erstreckt, wurde zwischen 1986 und 1990 nach Entwürfen eines Planerkollektivs unter Leitung von Heinz Graffunder erbaut. Die Planer gruppierten fünf- und sechsgeschossige Wohnblöcke des Typs WBS 70 zu geschlossenen Karrees mit großzügigen Wohnhöfen. Akzentuiert wurde das Viertel durch zwölfgeschossige Punkthäuser am Cecilienplatz, der mit zahlreichen Läden und Gaststätten das Zentrum des Viertels bildet. Allerdings hatte das Wohngebiet auch Nachteile. In den Fünf- und Sechsgeschossern fehlten Aufzüge, ein Teil der Wohnungen musste ohne Balkon auskommen, und die grauen Hausfassaden ließen zu wünschen übrig. Zudem boten viele Wohnungen nur kleine Zimmer, winzige Küchen und enge Bäder.

Diesen Problemen wollte der Eigentümer, die Wohnungsbaugesellschaft Hellersdorf, mit einer aufwändigen Sanierung des Viertels zu Leibe rücken. Die Planung übernahm das Berliner Büro Casanova-Architekten, das schon zahlreiche Plattenbausanierungen bewältigt hat. Das Ergebnis ist eine Überraschung: Denn die Plattenbauten bewiesen während der Sanierung eine kaum glaubliche Wandlungsfähigkeit.

Schon ihr Äußeres erfuhr eine erstaunliche Metamorphose. Fast alle Fünf- und Sechsgeschosser wurden mit Aufzügen nachgerüstet, die außen an die Treppenhäuser angebaut wurden. Folgerichtig wurden die alten Außenwände der Treppenhäuser geradezu fließbandmäßig ausgebaut und durch normierte Fertigteilelemente mit Aufzugtüren ersetzt. Anschließend mussten nur noch die vorgefertigten Aufzugsschächte an die Fassade montiert werden. Ähnlich rationell erfolgte der Anbau zusätzlicher Balkone, der ebenfalls mit vorgefertigten Betonelementen durchgeführt wurde. Und auch der Bau der Öffnungen für die neuen Balkontüren war kein Problem: Sie wurden einfach in die Außenwände hineingesägt. Komplettiert wurde der Umbau des Äußeren der Gebäude durch die üblichen Wärmedämmfassaden.

Die Umbauten brachten nicht nur praktischen Nutzen, sondern auch ästhetischen Gewinn. In Anlehnung an ein Farbkonzept des britischen Architekten John Thompson verwirklichten Casanova-Architekten ein spannendes Wechselspiel aus weißen und roten Fassadenflächen. Zusätzliche Akzente setzen die gläsernen Aufzugschächte, die in siebzehn Rottönen schimmern, und das grüne Glas der neuen Balkonbrüstungen. Das Spiel der Farben verleiht dem Viertel ein Bild, das elegant und unverwechselbar zugleich ist.

Nicht weniger flexibel zeigten sich die Plattenbauten in ihrem Inneren. Denn der Wohnhaustyp WBS 70 ist aus Grundeinheiten von einer Größe von sechs Metern Breite und zwölf Metern Tiefe zusammengesetzt, innerhalb derer die Wände beliebig versetzt werden konnten. Doch auch in die tragenden Wände ließen sich problemlos große Öffnungen hineinsägen, und selbst die Decken zwischen den Etagen konnten durchbrochen werden, um Maisonettewohnungen zu schaffen. Dank dieser Flexibilität gelang eine fast unbegrenzte Vielfalt an Wohnungsgrundrissen. Anstelle der fensterlosen Kochnischen entstanden große Küchen mit Fenstern, und auch ein Teil der Bäder konnte mit Fenstern versehen werden.

Als Sahnehäubchen dürften aber die Atelierwohnungen gelten, die aus einigen Dachgeschosswohnungen entstanden sind. Diese wurden nicht nur umgebaut, sondern auch um neue Penthäuser und vorgelagerte Dachterrassen erweitert. Die Bewohner der Erdgeschosse erhielten dagegen Mietergärten, in denen sie ebenfalls die Natur genießen können. Diese Vielfalt an Wohnungsgrundrissen beweist, dass Plattenbau und Individualität kein Gegensatz sein müssen.

Aber auch in wirtschaftlicher Hinsicht ist die Sanierung ein Erfolg. In gut einem Jahr wurden die 2.000 Wohnungen des „Roten Viertels“ für rund 400 Euro pro Quadratmeter saniert und umgebaut. Im Vergleich zu den durchschnittlichen Sanierungskosten für Altbauten, die bei fast 1000 Euro pro Quadratmeter liegen, ist diese Summe ungewöhnlich niedrig. Und auch die große Nachfrage nach den sanierten Wohnungen sollte ein Anlass sein, um über die geplanten Abrisse von Plattenbauten noch einmal neu nachzudenken.

Matthias Grünzig

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