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Allzeit erreichbar, geübt im Multitasking: Telefonieren und Autofahren

© dpa

Digitaler Burnout?: Ständig in Alarmbereitschaft

Der Informatikprofessor Alexander Markowetz weiß, warum Smartphones gefährlich sind, diagnostiziert den „Digitalen Burnout“ – und rät zur Diät.

Es ist im Zuge der stetig voranschreitenden Digitalisierung unseres Alltags inzwischen üblich geworden, Warnungen auszusprechen, auf die vielfältigen digitalen Gefahren hinzuweisen oder am besten gleich heftig Alarm zu schlagen. Sie kennen dich! Sie haben dich! Sie steuern dich! Digitale Demenz. Digitale Junkies. Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen. Wie das Digitale unsere Wirklichkeit auflöst – gerade auf dem Sachbuchmarkt ist im digitalen Ressort Alarmismus Trumpf, und das dazugehörige Vokabular wird dann zumeist der Medizin entnommen.

Der Bonner Informatikprofessor Alexander Markowetz reiht sich da mit seiner Untersuchung über das Alltagsregiment der Smartphones gut ein: „Digitaler Burnout“ heißt sein Buch, auf dessen Rücken kongenial und ganz in Schwarz die Formulierung vom „digitalen Dauerstress“ prangt. „Die Langzeitfolgen der technischen Entwicklung und unserer vehementen Nutzung kann man derzeit nur erahnen“, gesteht Markowetz, weiß aber sicher, „dass sich bereits heute deutliche Folgen für unsere Gesundheit abzeichnen. Und diese sind enorm.“

Im Schnitt sind wir demnach 53 Mal am Tag mit den Smartphones beschäftigt.

Medizinisch bleibt Markowetz zwar im Folgenden oft im Vagen, von „nachlassender Schaffenskraft“ spricht er, von „übermäßiger emotionaler und psychischer Anstrengung, von der Beeinträchtigung der Produktivität und des Glücks eines jeden Einzelnen, vom „Gefühl, dass das alles nicht gesund sein kann“. Und er mutmaßt auch mehr, als dass er das belegen kann, dass die steigende Anzahl psychischer Erkrankungen, insbesondere der Erschöpfungsdepression, wie der Burnout medizinisch korrekter heißt, mit der Digitalisierung kausal im Zusammenhang steht.

Alexander Markowetz
Alexander Markowetz

© Wido Wirsam/Verlag Droemer Knaur

Aber er hat immerhin beeindruckende Zahlen bei der Hand. Mit seinem Team an der Universität Bonn hat Markowetz eine App entwickelt, die sogenannte Menthal App, um das Verhalten von Smartphone-Besitzern zu untersuchen, mit Daten von inzwischen über 60 000 Menschen. Im Schnitt sind wir demnach 53 Mal am Tag mit den Smartphones beschäftigt. Alle 18 Minuten schicken wir WhatsApp-Nachrichten oder Mails, surfen, spielen oder telefonieren wir (Letzteres aber eher weniger). In der Summe sind das zweieinhalb bis drei reine Smartphone-Stunden am Tag.

Multitasking ist schädlich - und Frank Schirrmacher wusste das auch alles schon

Ausgehend von solchen Zahlen analysiert Markowetz dieses Verhalten als suchtähnlich, inklusive Ausführungen zum Dopamin-Stoffwechsel. Er beklagt unseren auf diese Weise fragmentierten Alltag, der der Produktivität alles andere als förderlich ist, und konstatiert, dass die pausenlose Smartphone-Nutzung auch keinen Raum mehr zur Kontemplation und Muße lässt, was wiederum unglücklich macht und die Kreativität einschränkt. Natürlich zieht Markowetz die eine oder andere wissenschaftliche Studie zu Rate; oder er arbeitet mit der „Flow Theory“ des aus den USA stammenden Psychologen Mihály Csíkszentmihályi. Insgesamt sind seine Erkenntnisse jedoch nicht übermäßig neu oder überraschend. Vieles davon, die Suchtthese, der Nachweis der Abträglichkeit des Multitaskings für das menschliche Hirn, die Rede vom Kampf um die Ware Aufmerksamkeit, hat man etwa schon in Frank Schirrmachers Traktat „Payback“ von 2009 nachlesen können. (Schirrmacher taucht, anders als Manfred Spitzer oder Miriam Meckel seltsamerweise nicht in Markowetz’ Leseliste auf.)

Zudem regiert in „Digitaler Burnout“ häufig auch der so beliebte „gesunde Menschenverstand“, insbesondere im zweiten Teil, in dem es darum geht, wie man „der Probleme Herr werden“ kann, wie wir die Kontrolle über unser Denken und die Maschinen zurückgewinnen können.

Zu einer „digitalen Diät“ rät der Autor, zu internetfreien Tagen oder Abendstunden, zu Schlafzimmern ohne elektronische Geräte. Oder er schlägt eine „digitale Kommunikationsetikette“ vor, auf dass wir unseren „digitalen Präsentismus“ wieder reduzieren mögen – was einleuchtend ist, aber einer kollektiven Anstrengung und Selbstbesinnung bedarf. Oder Alexander Markowetz insistiert, im Hinblick auf die „Rettung“ der „Smart Kids“, dass Eltern ihren Kindern beibringen sollten, auch in der analogen Welt tolle Dinge zu erleben und viel Selbstbewusstsein zu tanken. „Kinder müssen lernen, dass die Aufmerksamkeit, die ein soziales Netzwerk ihnen gibt, keine echte Liebe ist.“ Ob sie da wirklich nicht von selbst draufkommen? Von der „digitalen Daueralarmbereitschaft“ spricht der besorgte Professor an einer Stelle – sein Buch beweist einmal mehr, dass die Daueralarmbereitschaft auch auf analoger Seite besteht.

Alexander Markowetz: Digitaler Burnout. Warum unsere permanente Smartphone-Nutzung gefährlich ist. Verlag Droemer Knaur, München 2015. 220 S., 19,99 €.

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