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Kultur: Diskussion im Magnus-Haus: Total normal

Reich, Nation, Nationalstaat, Identität, Einheit. Bedeutungsschwere Begriffe, zumal wenn Deutsche über sie debattieren.

Reich, Nation, Nationalstaat, Identität, Einheit. Bedeutungsschwere Begriffe, zumal wenn Deutsche über sie debattieren. Denn da passt neben Leitkultur noch eine ganze Menge mehr hinein. Annähernd unsere ganze jüngere West-Ost-Vergangenheit mit ihren wenigen Höhen und zahlreichen Tiefen.

Wie viel, das zeigte eine Diskussion im Berliner Magnus-Haus mit Außenminister Joschka Fischer, dem ehemaligen Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Joachim Gauck, und dem Publizisten Robert Leicht. Gemeinsam mit dem Historiker Heinrich August Winkler sprach man über dessen zweibändige deutsche Geschichte "Der lange Weg nach Westen" . Der lange Weg in die (westliche) Normalität wäre auch ein passender Titel gewesen.

So war an diesem, bei aller Ernsthaftigkeit, launigen Abend von vielem die Rede. Von der untergegangenen DDR, der Wiedervereinigung, dem Kosovo-Einsatz der Bundeswehr, sogar von der RAF - eben "Großartiges und Hundsgemeines", wie es der Außenminister formulierte. Besonders intensiv beschäftigten sich die Herren allerdings mit Europa und der Rolle Deutschlands in Europa. Und damit waren sie auch gleich wieder bei der Nation und der so deutschen Frage nach der Identität. Einen richtigen Disput darüber gab es nicht. Aber in nicht unerheblichen Nuancen unterscheiden sich die Sichtweisen dann doch. Der Blick auf unsere Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wird eben geprägt von der individuellen Sozialisation.

Wer oder was sind wir? Darauf antwortet ein grüner 68er anders als ein 60-jähriger evangelischer Pfarrer aus dem Osten. Vor allem komme es darauf an, weise von unserer neuen Größe und Souveränität Gebrauch zu machen. Sagt der Minister. Je weniger Egoismus, desto mehr (außen)politischer Gestaltungsspielraum. Insofern bedeute Europa für ihn die Überwindung des Nationalstaates, nicht aber der Nation.

Das klingt irgendwie nach einem komplizierten, sehr theoretischen Konstrukt. Dürfen wir uns denn nicht auch in aller Bescheidenheit heimisch fühlen im neuen Staatengebilde? Der gelernte DDR-Bürger Gauck warnte denn auch vor zu viel und zu schneller "Supranationalität". Gerade der Osten, der ja noch nicht richtig in der Bundesrepublik angekommen sei, könnte sich damit ziemlich schwer tun.

Auch der 61-jährige "westdeutsche" Winkler kann mit dem Nationalstaat von heute mehr anfangen als der knappp zehn Jahre jüngere Grünen-Politiker. Und er modifizierte dafür einen Satz des Zeithistorikers Karl Dietrich Bracher. Der hatte mehrmals (vor der Einheit) Westdeutschland als eine "postnationale Demokratie unter Nationalstaaten" charakterisiert. Winkler nennt die jetzige Bundesrepublik dem folgend "einen postklassischen Nationalstaat". Aber in positivem Sinne. Nation sei nun etwas Westliches, Modernes. Deutschlands Sonderweg habe mit 1989/1990 endlich ein Ende gefunden.

Deutschland normal? Antiwestlicher, antimodernistischer Sonderweg endlich ade? Da wollte Joschka Fischer nicht ohne weiteres zustimmen. Für ihn ist der Weg nach Westen bisher nur äußerlich abgeschlossen, nicht aber im Innern. Nie wieder Auschwitz - als Rekurs schon im Kosovo-Krieg als Argument genutzt - werde weiterhin deutsche Politik mit bestimmen. Da ist wohl einiges dran. Der 9. November, mörderischer Rechtsextremismus, ein Bundeskanzler, der einen Aufstand der Anständigen fordert. Irgendwie unnormal, diese neue deutsche Normalität.

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