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Dunkle Wolken über der Gemäldegalerie: Die Sammlung Alter Meister könnte auf Jahre auseinander gerissen werden.

© Mike Wolff

Diskussion um die Gemäldegalerie: Meister und Moderne

Risikospiel: Im Streit um die Zukunft der Berliner Museumslandschaft wird der Ton schriller.

Ist die Berliner Gemäldegalerie aus dem Dornröschenschlaf erwacht? Während die Debatte über ihre Umnutzung als „Galerie des 20. Jahrhunderts“ und den Umzug der Alten Meister auf die Museumsinsel sich erhitzt, herrscht plötzlich Betrieb im Museum (siehe Kasten). Schnell noch einmal Rembrandt, Dürer, Caravaggio, Tizian und Botticelli besuchen, bevor sie auf Jahre im Depot verschwinden?

So viele Liebhaber hatte das Haus noch nie. Seit die Staatlichen Museen im Juni ihre geplante Rochade bekanntgaben – das 20. Jahrhundert plus die Sammlungen Pietzsch und Marx in die Gemäldegalerie, die Alten Meister knapp zur Hälfte ins Bode-Museum und der Rest ins Depot, bis die Museumsinsel um einen Neubau ergänzt ist –, machen sich alle für die Alten Meister stark. „Rettet die Gemäldegalerie“ titelten unisono „Die Zeit“ und die „Süddeutsche“. Die „FAZ“ schimpft über einen zerstörerischen Kulturkampf und das Schielen auf Besucherzahlen. Von der Amputation des kostbarsten Kunstschatzes der Republik ist die Rede, von Rangierbahnhof, Verbannung, gar Barbarei.

Experten und Initiativen appellieren an Kulturstaatsminister Bernd Neumann und Hermann Parzinger, als Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz oberster Dienstherr der Museen. Der Verband Deutscher Kunsthistoriker protestiert „aufs Schärfste“ gegen die verantwortungslosen Pläne, auf „unabsehbare Zeit lediglich eine massiv reduzierte Auswahl an Kunstwerken“ zu präsentieren, „bis der Galerieneubau im Kasernengelände am Kupfergraben verwirklicht wäre“ (Tsp. vom 5.7.). Die Rede ist von „deutlich nach 2018“. Ein internationaler Appell, den der Harvard-Kunsthistoriker Jeffrey Hamburger anregte, trägt bereits 8000 Unterschriften. Es sei eine Tragödie, dass „wieder einmal die Vergangenheit der Gegenwart weichen soll“.

Das Kulturbürgertum macht mobil. Großer Bahnhof für die Kunst, man denkt an Stuttgart 21 – ein begrüßenswertes Engagement. Allerdings fragt sich, gegen was oder wen genau da gewettert wird. Denn mit dem Streit gerät ja endlich in den Fokus der breiten Öffentlichkeit, dass Berlin einer der weltweit bedeutendsten Museumsstandorte ist. Mit Paris, New York, London oder der Eremitage können die Bestände der Staatlichen Museen es locker aufnehmen. Ein Bewusstsein dafür kann nicht schaden, wenn noch mehr Geld dem Bund entlockt werden soll, der zu 75 Prozent an der Stiftung Preußischer Kulturbesitz beteiligt ist – den Rest tragen die Bundesländer. Berlin hat nämlich ein Problem: zu wenig Platz und nicht genug Geld, um alle Museumsinsel-, Schloss- und Kulturforumsträume zu realisieren. Auf mindestens 150 Millionen Euro wird der Zusatzbau vis-à-vis dem Bode-Museum geschätzt. Und so wie es jetzt ist, kann es auf keinen Fall bleiben: Auch die Neue Nationalgalerie kann nur ein Drittel ihrer Sammlung zeigen – und wird ab 2015 für drei Jahre geschlossen, zwecks Generalsanierung.

Zum anderen kann man weder Parzinger noch Gemäldegalerie-Chef Bernd Lindemann noch Udo Kittelmann als Leiter der Nationalgalerie der Bilderstürmerei bezichtigen. Das Fernziel der Museen, wie Parzinger und Co. es leidenschaftlich verteidigen, seit der Bund am 12. Juni zehn Millionen Euro für die Gemäldegalerie-Umrüstung zusagte, dieses Fernziel ist richtig. Bedeutet es doch, die Berliner Museumslandschaft sinnvoll zu ordnen. Die alte Kunst von der Antike bis zum 19. Jahrhundert auf der Museumsinsel in einem „Berliner Louvre“ zusammenzuführen, einem Universalmuseum für Skulpturen, Gemälde und Archäologie, dazu die außereuropäischen Sammlungen im Humboldtforum im Schloss zu präsentieren, das ist und bleibt eine großartige Vision.

Ebenso visionär: die Verwandlung des wenig publikumsfreundlichen Kulturforums in ein Zentrum für die Klassische Moderne und die Gegenwartskunst. In der umgerüsteten Gemäldegalerie wäre endlich genug Raum für die Schätze der Nationalgalerie, für Kirchner, Beckmann, Feininger, Dix, Kokoschka. Sie profitierten dann vom Versprechen der Politik, für die Schenkung der Sammlung Pietzsch mit Werken des Surrealismus und abstrakten Expressionismus Räume bereitzustellen. Die Sammlung, betont Kulturstaatssekretär André Schmitz in der „Zeit“, „schließt eine Lücke, die die Kulturbarbarei der Nazis gerissen hat“. Auch für Teile der im Hamburger Bahnhof arg beengten Sammlung Marx, für Beuys, Warhol, Rauschenberg, Kiefer wäre ein Umzug ein Segen. Und die Nationalgalerie kann Wechselausstellungen präsentieren, nach Art der MoMA- und der Gerhard-Richter-Schau. Was spricht dagegen, mehr Zuschauer zu gewinnen, für die alte Kunst in Mitte und die neue in Tiergarten?

Es waren die Nazis, die die „Brücke zur Zeitgenossenschaft“ abbrachen, schreibt Schmitz. Wenn die Kunststadt Berlin ihrer Geschichte treu bleiben und die Brücke wieder schlagen will, muss sie beides pflegen, Historie und Avantgarde. Schon deshalb ist es falsch, die Meister gegen die Moderne auszuspielen oder umgekehrt. Die Stadt braucht für beides Platz.

Aber die Kritiker der Rochade haben in einem Punkt recht. Wer Vorgeschichte und Details des Vorstoßes für die Gemäldegalerie-Umnutzung betrachtet, hat allen Grund, den Herren des Verfahrens zu misstrauen. Es waren ja die Staatlichen Museen selber, die nach dem Mauerfall auf den Bau der bereits fertig geplanten Gemäldegalerie drangen, obwohl die Wiedervereinigung der geteilten Kunstschätze neues Nachdenken erfordert hätte. Der schöne, 1998 eröffnete Bau von Hilmer & Sattler und Albrecht ist präzise um die jetzigen Exponate herum konzipiert; eine Umnutzung wäre ein Verrat an dieser Architektur. Schon damals gab es die Louvre-Vision, den „Masterplan 3“: Warum plante man nicht flexibler? Und was ist mit dem Kupferstichkabinett? Sollen die Radierungen, Zeichnungen und Drucke samt der weltgrößten RembrandtSammlung auch ins Universalmuseum auf der Insel? Noch ein Neubau?

Lindemann wurde vom ZehnMillionen-Euro-Zuschlag des Bundes bei einer Reise in Tokio überrascht. Auch ist vorab kein schlüssiges Konzept für eine Interimslösung mit ihm erarbeitet worden. Das legt dann doch die Vermutung nahe, dass hier weniger geplant als gewurstelt wird. Warum wird nicht mit mehr Nachdruck von seiten der Museen und der Kulturpolitiker des Landes wie des Bundes auf eine Beschleunigung gedrungen? Warum werben Neumann und seine Kollegen in den Ländern bei den Haushältern nicht dafür, allen voran Klaus Wowereit?

Zumindest müsste Neumann der verdutzten Öffentlichkeit erklären, wie er sich die Finanzierung denkt, wo doch schon der Wiederaufbau des Schlosses aus Spargründen verschoben wurde. Die Sanierung des Pergamonmuseums ab 2013, der neue Eingangsbereich, die aktuelle Renovierung des Kunstgewerbemuseums und dann des Mies-van-derRoheBaus, all das kostet Hunderte Millionen Euro, bis über 2020 hinaus. Und warum wird nicht nach einem größeren Zwischendomizil für die Gemälde gefahndet, zum Beispiel im Kronprinzenpalais?

Wenn eine Familie umzieht, kündigt sie die alte Wohnung erst, wenn der neue Mietvertrag unterschrieben ist. Hier stürmt man kopflos Richtung Zukunft. Vielleicht geht es nicht ohne Risiko, ohne Überrumpelungstaktik, wenn sich in Berlins Museumslandschaft etwas bewegen soll. Aber die Hälfte der Gemäldesammlung eine Dekade oder länger ins Depot zu verfrachten – dieser Preis ist zu hoch.

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