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Internetdebatten - wie die aktuelle über Sexismus - werden allzu oft von diffusen Ängsten befeuert.

© dpa

Diskussionen im Netz: Sexismus-Debatte und andere - es fehlt Empathie!

Sexismus, Rassismus, Urheberrecht: Das Netz diskutiert, schafft aber keinen wirklichen Diskurs. Während eine kleine Elite Fragen immer differenzierter behandelt, beschränkt sich ein abgehängtes Diskussionsprekariat auf destruktive Zwischenrufe. Was lässt sich dagegen tun?

Eigentlich könnte der Blick auf die letzten zwei Wochen im deutschsprachigen Internet glücklich machen: wie da zwei Diskussionen ihren Lauf nahmen; wie beide – die über Rassismus in Kinderbüchern ebenso wie die über Sexismus und Belästigung – den Sprung vom Zwischenruf zur differenzierten Analyse schafften; wie sich dabei bemerkenswerte Beiträge bemerkenswert gut verbreiteten; wie die Begrifflichkeiten schärfer, die Vorstellungen davon, was an welcher Stelle genau diskutiert werden kann, präziser wurden. Ja, das könnte sogar Anlass für Stolz sein!

Aber, ach, wie kann es das, wenn nur die wenigsten an der Entstehung einer Diskussion beteiligt sind: die mit dem Mut, der Zeit und auch dem intellektuellen Vermögen, an ihr „dranzubleiben“, wenn sie über die Reflexzonen von „Muss alles anders“ und „Soll alles bleiben“ hinausgreift. Das schöne Dossier über Rassismus und Sexismus, zu dem das Web in den letzten zwei Wochen geworden ist: Umfassend rezipiert und klug ergänzt hat das nur eine kleine Elite.

Außen rotierte und rotiert derweil ein abgehängtes Diskussionsprekariat um irrwitzige Fragen: Müssen wir jetzt auch noch Goethe zensieren? Darf ich Kolleginnen nicht mehr anlächeln? Von diffusen Ängsten getrieben werden bei Twitter, in Foren, Blogs und Online-Kommentarspalten wirre Zukunftsszenarien entworfen und Kontinuitäten beschworen, als sei allein die Anregung einer gesellschaftlichen Fortentwicklung das Ende jedes Geschichtsbewusstseins. „Darf man jetzt auch nicht mehr…“ – für Diskutantinnen und Diskutanten ist es auf die Dauer ermüdend, sich immer wieder mit Sätzen auseinanderzusetzen, die so beginnen.

Was soll man da antworten? „Wenn der Rechteinhaber selbst das Werk verändert, hat das nichts mit Zensur zu tun.“ Und: „Wer beim Thema Belästigung sofort befürchtet, nicht mehr mit Frauen reden zu dürfen, hat ganz andere Probleme.“ So etwas verfängt nicht bei denen, die die große Angst vor dem Neuen umtreibt. Und letztlich bleibt dem Diskussionsprekariat auch immer noch ein Blitztrumpf: „Haben wir keine wichtigeren Probleme?“ Wer da klarzumachen versucht, dass auch Fragen, die nicht Mord und Totschlag betreffen, wichtig sein können, verzettelt sich endgültig.

Wie dem begegnen? Die Diskussionen einfach nicht mehr führen? Eine denkbar schlechte Lösung. Innerlich und äußerlich verhärten und dorthin zurückziehen, wo Einvernehmen ist? Das vertieft nur Gräben und endet damit, dass zwei Seiten sich gegenüberstehen und jeder Zwischenton schon Verrat ist.

Negativbeispiel Urheberrechtsdiskussion

Wohin das führt, demonstriert die dieser Tage etwas in den Hintergrund geratene Diskussion um das Urheberrecht. Dass sich in ihr bis heute keine vernünftigen Ideen entwickelt haben, wie in der Zukunft mit schöpferischer Arbeit Geld zu verdienen und zugleich die Freiheit des Internets sicherzustellen sei, kann symptomatisch für das stehen, was folgt, wenn der Austausch von Ideen aufgrund allgemeiner Ermüdung ergebnislos abgebrochen wird. Hier die Verteidiger einer alten publizistischen Ordnung, dort die Open-Access-Apologeten – zwei Lager reden konsequent aneinander vorbei, weil sie das Interesse des jeweils anderen für uninteressant halten.

Was im Virtuellen fehlt, ist Empathie! Das mag auch daran liegen, dass im Netz aus wüsten Diskussionen besonders selten rationale Diskurse oder zielführende Debatten hervorgehen: weil das Internet zu groß ist, als dass konkurrierende Positionen ernsthaft abgeglichen werden müssten. Den Beiträgern reicht es ja oft, zu pöbeln und dann die „Likes“ der Gesinnungsgenossen abzuwarten. Für die Verständigung der Gesellschaft über ihre Werte, die zunehmend anhand dieses Hin-und-Her-Geschimpfes stattfindet, ist das – nun ja – suboptimal.

Was also tun? Den Überfluss der Inhalte künstlich limitieren? Versuchen, in eine Zeit zurückzukehren, als öffentliche „Debatten“ aus fünf aufeinander Bezug nehmenden Feuilletonbeiträgen bestanden? Das wäre barbarisch. Systemtheoretisch darauf vertrauen, dass das Medium schon annehmbare Kommunikations-, Handlungs- und Machtformen hervorbringt? Das ist zynisch. Die Frage bleibt: Wie lassen sich möglichst viele so an einem Austausch von Gedanken und Positionen beteiligen, dass dieser nicht zu einem Grabenkampf verkommt?

Um an dieser Stelle nun einmal klein anzufangen: Vielleicht hülfe ja bereits die Einführung eines Chat-Symbols, das – wie ein in den Streit eingestreutes Lächeln im „richtigen“ Leben – ein Gegenüber dazu auffordert, kurz gedanklich die Seiten zu wechseln. Vielleicht findet das Netz, das bereits jetzt ein großartiger Diskussionsort ist, aber auch eine andere kommunikative Wende. Gut täte sie ihm in jedem Fall.

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