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Kultur: Doktor Klaus Jekyll und Mister Jacques Hyde

Zwischen Höhenflug und Absturz : "Die letzte Vorstellung" - (k)ein Brel-Musical im Schiller-TheaterVON MANUEL BRUGIm Privatfernsehen gibt es diese wunderbare Mini-Playback-Show.Da dürfen Kinder sich als Erwachsene verkleiden und ihren Lieblingsstar imitieren, mit Perücke und Schminke, so richtig TV-professionell eben.

Zwischen Höhenflug und Absturz : "Die letzte Vorstellung" - (k)ein Brel-Musical im Schiller-TheaterVON MANUEL BRUGIm Privatfernsehen gibt es diese wunderbare Mini-Playback-Show.Da dürfen Kinder sich als Erwachsene verkleiden und ihren Lieblingsstar imitieren, mit Perücke und Schminke, so richtig TV-professionell eben.Weil das Herzeigen kleiner Mädchen in hautengen Kleidern und mit Kußmund - auch wenn sie nur Whitney Houston spielen - sofort unter den Verdacht der Beihilfe zu Päderastie geraten könnte, hat man diesem Fernsehvergnügen die Prominenten-Playback-Show beigesellt.Da kann sich dann Jürgen Marcus als Barry Manilow versuchen oder Harald Juhnke als Frank Sinatra.Nach fünf Minuten ist alles vorüber.Perücke ab, Jürgen Marcus ist wieder Jürgen Marcus und Harald Juhnke Harald Juhnke. Im Berliner Schiller-Theater, das nun seit einigen Jahren nicht mehr von den Staatlichen Bühnen Berlin sondern von der Deutschen Entertainment GmbH betrieben wird, meint man mitunter einer Aufzeichnung der Prominenten-Playback-Show beizuwohnen.Nur heißt sie "Brel - die letzte Vorstellung" und dauert nicht fünf Minuten, sondern zu lange drei Stunden.Und ist großspurig als Musical-Uraufführung angekündigt. Als Musical-Elemente sind auszumachen: Zweimal dreht sich - sehr eindrucksvoll - die Drehbühne; es gibt zwei rote Vorhänge, viele bunte Glühbirnen, ein Fenster, eine Strickleiter; einmal fällt Schnee, zweimal wird eine Kiste geöffnet, in der ein toter Thunfisch liegt; mehrfach schlurft - Achtung: running gag! - ein Herr über die Bühne, der Noten und Orangen verteilt, verlorene Mikrophone wieder ansteckt und überhaupt durch einen blauen Arbeitskittel als Inspizient ausgewiesen ist. Dann ist da noch eine Don-Quichote-Rüstung.Als Mann von La Mancha, dem sogar mit einer Seilwinde zu einem Strampelflug (noch ein Musical-Element!) verholfen wird, träumt darin der wackere deutsche Barde Klaus Hoffmann ("Ich will Gesang, will Spiel und Tanz") einen unmöglichen Traum: einmal Jacques Brel sein! Jacques Brel war ein Hänfling mit Pferdegebiß, ein mal mürrischer, dann wieder sehr charmanter Belgier, der in Paris Erfolg hatte und der in den Fünfziger und Sechziger Jahren Chansons sang, die zu den gern gesungenen Marschliedern der ersten WGs gehörten: "Ne me quitte pas", "Le Bourgeois", "Ces gens là", "Amsterdam" und viele schöne mehr.Wenn man sie mitsang, war man wenigstens ein bißchen gegen das Establishment - auch wenn man schon immer mit derselben pennte.Mitte der Sechziger hatte Brel dann keine Lust mehr, stieg aus, suchte seinen Frieden in der Südsee.1977 nahm er eine letzte Platte auf und starb 1978 an Lungenkrebs. Offenbar ist Klaus Hoffmann unrettbar von diesem nostalgisch anmutenden Brel-Virus infiziert, auch wenn das den Nachgeborenen ein wenig sentimental vorkommt.Doch Sentimentalität an sich ist etwas Schönes.Und so ist es schön, toll, mitreißend und ein wunderbare Leistung, zu sehen und zu hören, wie dieser Klaus Hoffmann sich 180 Minuten lang mit seinem Idol identifiziert, wie er seine Lieder in stimmigen Übersetzungen und den manchmal ein wenig schmusigen Arrangements des Brel-Orchesterleiters François Rauber herausschreit, keift und dann wieder zärtlich flüstert; dabei die Gitarre als seine letzte, unsterbliche Geliebte umarmend.Hieße der vielleicht neunzigminütige Abend "Klaus Hoffmann singt Brel", er wäre eine Schau.Klasse, mitreißend, ehrliche Musikantenarbeit. Doch diese "letzte Vorstellung" verkauft sich als Musical, und das ist einfach Etikettenschwindel.Die Geschichte einer nie stattgefundenen letzten Probe des Jacques B.schleppt sich ohne Dramaturgie dahin, auf fast leerer Bühne, ohne andere Spieler.Stellt nur den armen Hoffmann aus, der sich durch mal seichte, mal rüde und meistens blöde Zwischentexte haspeln muß, die nichts klären, die keinen Witz und keinen Verstand haben.So stürzt jeder Höhenflug, und davon bringt Hoffmann einige zustande, unweigerlich ab, sobald die Musik des fabelhaften 25köpfigen Orchesters unter Hans-Wolfgang Bleich wieder verklingt. Doktor Klaus Jekyll und Mister Jacques Hyde: keine letzte, eher eine schizophrene Vorstellung.Die nur dann gut ist, wenn Klaus Hoffmann Klaus Hoffmann ist, der Lieder von Jacques Brel singt.Den Rest kann man getrost vergessen.

MANUEL BRUG

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